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Die Akte Plato. Kai Kistenbruegger
Читать онлайн.Название Die Akte Plato
Год выпуска 0
isbn 9783738083729
Автор произведения Kai Kistenbruegger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
13) Portugal, Terras do Sado, 04. Juli 2007
Ein Poltern vor dem Fenster hatte der Diskussion ein jähes Ende beschert. Smith hatte als erstes reagiert und war in einer einzigen, fließenden Bewegung aufgesprungen und zum Balkon gehechtet. Er stürzte mit polternden Schritten nach draußen, während die anderen noch paralysiert in Richtung Fenster starrten, wie ein Rudel erschreckter Rehe angesichts der sich unaufhaltsam nähernden Scheinwerfer eines heranrasenden Wagens.
Jan kam nicht umhin, Smith für seine schnelle Reaktion zu bewundern. Die Schrecksekunde, der er wie alle anderen im Raum unterlag, hatte auf Smith anscheinend keinen Effekt. Ganz im Gegenteil, sein schnelles Handeln glich der verbissenen und emotionslosen Routine eines Boxers im Ring. Im Vergleich dazu wirkten alle anderen wie eine Herde verschreckter Schafe, die verzweifelt versuchten, durch ein betont lässiges Lächeln darüber hinwegzutäuschen, wie kläglich sie sich soeben blamiert hatten. Wenigstens hatte keiner von ihnen erschrocken aufgeschrien, was der ganzen Situation noch die Krone der Peinlichkeit aufgesetzt hätte.
Vor allem, weil es draußen anscheinend nichts zu entdecken gab. Jedenfalls nichts, das eine Erklärung für das Poltern hätte liefern können. Ratlos kehrte Smith unverrichteter Dinge nach ein paar Minuten zurück in den Raum. Doch im Gegensatz zu den anderen schien ihm der Vorfall keine Ruhe zu lassen, obwohl er sich mit augenscheinlich gelöster Miene zurück auf seinen Platz setzte. Während bei den anderen die Anspannung einer erleichterten Ruhe wich und vereinzelt wieder Gespräche aufflammten, warf Smith unaufhörlich einen unauffälligen Blick in Richtung Balkon, als würde er jede Minute damit rechnen, seine dunkelsten Vorahnungen bestätigt zu sehen.
Patterson hingegen schien wenig beunruhigt zu sein und verlieh seinem Vertrauen in die Sicherheitsmaßnahmen der Basis Nachdruck. Mit einem auffordernden Blick in Richtung Smith erklärte er die Angelegenheit für erledigt.
Jan war die unterschwellig brodelnde Spannung zwischen Smith und Patterson schon früher am Abend aufgefallen. Die Beziehung dieser auf ihre jeweils eigene Art sehr dominanten Männer war merklich angespannt. Patterson ließ keine Gelegenheit aus, Smith deutlich zu zeigen, wem in diesem Raum das letzte Wort gebührte, während in Smiths Antworten latent ein Hauch von Trotz mitschwang. Ungewöhnlich für einen Mann, der Loyalität augenscheinlich zum höchsten menschlichen Gut erhoben hatte.
„Wir reagieren alle etwas gereizt“, ergriff Patterson wieder das Wort. „Es ist allerdings auch schon ziemlich spät. Wir sollten zusehen, unsere Diskussion zu einem Ende kommen zu lassen, damit wir uns alle eine Mütze voll Schlaf gönnen können. Mr. Breitenscheidt, bitte fahren Sie fort. Wenn es geht, fassen Sie sich bitte kurz, so faszinierend das Thema auch sein mag.“ Er lächelte müde in dem Versuch, die angespannte Situation mit etwas Humor aufzulockern.
Breitenscheidt nickte fahrig und legte eine nachdenkliche Miene auf. Die Diskussion war unterbrochen worden, als Breitenscheidt gerade dazu angesetzt hatte, ihr Vorgehen bei der Suche nach potenziellen Ausgrabungsstandorten zu schildern.
Breitenscheidt war zwar Geologe, legte allerdings ein erstaunlich ausgeprägtes Faible für Humangeographie an den Tag. Genauer gesagt, wie er mehrfach mit kreisenden Bewegungen seiner Zeigefinger unterstrich, beschäftigte er sich mit den Auswirkungen der Erdoberflächenbeschaffenheit auf die kulturhistorische Entwicklung der Menschheit.
Jan wusste zwar nicht genau, was er sich darunter vorzustellen hatte, wagte es aber nicht, nachzuhaken. Obwohl Breitenscheidt sich redlich bemühte, die Fachterminologie auf ein Minimum zu reduzieren, fiel es Jan zunehmend schwerer, seinen Ausführungen zu folgen. Seine Erklärungen waren lediglich eine Aneinanderreihung von diffusen Gedankenfetzen und Sprüngen, untermalt mit verstörenden, nervösen Gesten, die in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt seines Vortrages zu stehen schienen. Alles, was Jan von über zwanzig Minuten Monolog verstanden hatte, ließ sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Auf Basis des schwachen Bildabdrucks hatte Breitenscheidt versucht, den Punkt geographisch einzugrenzen, der auf dem unscharfen Bild relativ ungenau und weitläufig markiert war. Er hatte mit modernen Karten die Topographie der gekennzeichneten Region analysiert, sie mit den geographischen Veränderungen der letzten 10.000 Jahre verglichen, und hatte letztendlich etwa zehn Kilometer von der Villa entfernt ein Areal aufgespürt, das er als ‚potenziell Erfolg versprechend’ betitelte.
„Die geographischen Gegebenheiten sind wichtige Kriterien, die wir aus der Historie heraus bei der Gründung von Siedlungen und Städten berücksichtigen müssen“, nahm Breitenscheidt seinen Faden nach einer kurzen Pause wieder auf. „Für die Entwicklung einer Kultur sind Umweltfaktoren von nicht zu unterschätzender Bedeutung.“
„In der Archäologie nutzen wir dieses Wissen, um potenzielle Standorte für frühzeitliche Siedlungen ausfindig zu machen“, fügte Susanna Pullman hinzu. „Flussmündungen sind zum Beispiel bevorzugte Standorte für Stadtgründungen, ebenso wie Standorte, die sich durch geographische Vorteile mit relativ einfachen Mitteln verteidigen ließen. Berge oder andere Erhebungen, beispielsweise.“
Breitenscheidt nickte übertrieben heftig. „Alle Siedlungsgründungen lassen sich auf solche Umweltgegebenheiten zurückführen. Klima, Flora, Fauna. Der Mensch unterliegt von Natur aus einer Reihe von Grundbedürfnissen, die er unablässig zu stillen hat. Deswegen siedelt er sich bevorzugt an Stellen an, in deren Einzugsgebiet möglichst viele seiner Bedürfnisse befriedigt werden. Das bezieht sich auf das Angebot von Wasser und Nahrung, auf die Befriedigung sozialer Bedürfnisse, aber auch auf sein Verlangen nach Sicherheit.“
Breitenscheidt leckte sich nervös über die Lippen, während er erzählte. Alles an ihm machte auf Jan den Eindruck, als spielte er ein akribisch einstudiertes Theaterstück. Jede seiner Bewegungen wirkte überspitzt, fast überzeichnet, als hätte ein nur mäßig begabter Zeichner zum Stift gegriffen und den Stereotyp eines intelligenten, aber in sozialer Hinsicht unterentwickelten Sonderlings zu Papier gebracht.
Seine hypernervöse Art machte es beinahe unmöglich, ihm längere Zeit zuzuhören oder zuzusehen, ohne Abscheu oder Mitleid zu empfinden. Mit jeder in unerträglicher Monotonie verstreichenden Minute wuchs in Jan der Drang, aufzuspringen und Breitenscheidt jede einzelne seiner merkwürdigen Angewohnheiten Wort für Wort um die Ohren zu schlagen. Auch wenn es ihm seine gute Erziehung verbot, seinen Verdacht laut auszusprechen; Jan war überzeugt, genau den Breitenscheidt dargeboten zu bekommen, den Breitenscheidt ihnen zu zeigen beabsichtigte. Ein in jahrelanger Praxis kultiviertes Erscheinungsbild, als hätte er sich eine Maske übergestreift, mit der er seinen tatsächlichen Charakter vor der Welt zu verbergen versuchte.
„Verstehen Sie? Zwar hat uns der Computerabdruck lediglich eine ungefähre Ecke vorgegeben, in der wir mit der Suche beginnen können, aber mit dem Wissen um günstige Topographien für Siedlungsgründungen konnten wir das Areal auf drei vielversprechende Standorte einschränken. Dank eines kleinen Programms, das Black uns geschrieben hat.“
Er nickte kurz anerkennend zu Black hinüber.
„Wir graben an diesen drei Stellen bereits seit etwa drei Jahren mit zwei unterschiedlichen Teams“, erklärte Susanna. „Das erste Team untersteht mir. Wir suchen in einer Ebene, die fast vollständig durch eine Hügelkette von der Außenwelt abgeschottet ist und von Frischwasserquellen mit Wasser versorgt wird.
„Wir halten diese Stelle für hochgradig verheißungsvoll“, fiel Breitenscheidt ihr ins Wort. „Sie erfüllt viele unserer Kriterien, wie Nahrungsangebot und Verteidigungsfähigkeit.“
Susanna nickte. „Gleiches gilt auch für die Ausgrabungsgebiete des zweiten und des dritten Ausgrabungsteams, die Alissa unterstanden.“ Sie hielt plötzlich inne; für den Bruchteil einer Sekunde errötete sie, als ihr bewusst wurde, was sie mit ihrer Wortwahl implizierte. „Ich meine, Alissa unterstehen“, korrigierte sie mit belegter Stimme.
Jan versuchte, ihren Einwurf zu ignorieren. Es fiel ihm ohnehin