ТОП просматриваемых книг сайта:
Das Tagebuch der Patricia White. Gian Carlo Ronelli
Читать онлайн.Название Das Tagebuch der Patricia White
Год выпуска 0
isbn 9783742796523
Автор произведения Gian Carlo Ronelli
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich ging langsam auf den Schreibtisch zu.
»Ja, Baby. Gib‘s ihr!«, schrie er und zwinkerte mir zu.
Ich stützte mich auf der Tischplatte ab. Eine der Schranktüren stand einen Spalt offen. Silberne Schlüssel blitzten aus dem Dunkel hervor.
»Mein Autoschlüssel«, sagte ich und nickte zu dem Schrank.
Offensichtlich genervt drückte der Mann auf die Tastatur und lehnte sich dann weit in den Sessel zurück, als hätte der Klang des Wortes Autoschlüssel eine entspannende Wirkung auf ihn gehabt. Er grinste breit und präsentierte mir die Brotreste an seinen übergroßen Schneidezähnen.
»Unvorsichtig, unvorsichtig«, sagte er und verschränkte die Arme. »Habe bei meinem Rundgang gesehen, dass der Schlüssel steckt. Ist viel Gesindel unterwegs hier. «
Ich nickte und fragte mich, wie dieser Mann auf die Idee kommen konnte, nachts in Fahrzeugen zu überprüfen, ob Schlüssel steckten. Sehr nächstenlieb sah mir der Kerl nicht aus. Vermutlich hatte diese Aktion nur den einen Zweck, die miesen Einkünfte durch finanzielle Dankesbekundungen ein wenig aufzubessern. Er zog eine Schublade auf, in der Fünf- und Zehndollarnoten zum Vorschein kamen. Obenauf lag ein Schlüsselbund. Wieder lehnte er sich in den Sessel zurück und grinste.
»Sehr umsichtig von Ihnen«, sagte ich und griff nach meiner Brieftasche. Der Mann nickte. Wohl weniger, um meine Aussage zu bejahen, sondern als Bestätigung, ihm meinen Dank in Form von raschelnden Dollars zu bekunden.
Ich zog eine Fünfdollarnote aus dem Portemonnaie und warf sie in die Schublade. Der Mann rührte sich nicht.
»Sind schon einige Wagen gestohlen worden. Nur Scherereien. Die Polizei, Protokolle, Fragen. Und ohne Schlüssel hat man auch bei der Versicherung keine Chance.« Er nickte zweimal zur Lade.
Ich warf einen weiteren Schein auf die Tischplatte, was ihn letztlich dazu veranlasste nach dem Schlüsselbund zu greifen und ihn vor seinem Gesicht hin und her zu schwenken.
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, sagte er. »Ist nicht jeder Mensch so ehrlich wie ich.«
Ich beugte mich über den Schreibtisch und griff nach dem Schlüssel. Der Mann zog ihn schnell nach hinten, sodass meine Hand ins Leere fuhr.
»Zwanzig«, sagte er und nickte zur Schublade. Alkoholdunst begleitete das Wort. Beinahe zeitgleich sah ich ein Glas mit hellbrauner Flüssigkeit beim Monitor stehen. Brandy. Ich schüttelte den Kopf. Einerseits verneinte ich damit seine Forderung nach mehr Geld, andererseits – und das beunruhigte mich – bekämpfte ich das Verlangen, nach dem Glas zu greifen und einen kräftigen Schluck zu nehmen.
Das Grinsen des Mexikaners verschwand augenblicklich. »Nein?«
»Nein. Der Schlüssel.« Der Oberschenkel schmerzte. Meine Mundhöhle fühlte sich trocken und staubig an, als hätte ich Wüstensand nach oben gewürgt. Nur einen Schluck Brandy, um den Sand wieder hinunter zu schwemmen. Meine Arme begannen zu zittern. Eine Faust drückte von innen gegen meinen Brustkorb. Das Brennen, dieses Drücken, das trockene Würgen – alles würde sofort verschwinden, wenn ich nur einen einzigen Schluck machen dürfte. Oder zwei.
»Hören Sie, Mister. Ich …«
»Verdammte Scheiße! Geben Sie mir meinen Schlüssel! Jetzt!« Meine Faust donnerte auf die Tischplatte, angetrieben von Zorn, der sich wie ein Atomblitz in meinem Körper ausbreitete. Meine Muskeln spannten sich. Alles in mir schrie danach, diesen Mistkerl über den Tisch zu zerren und ihm den Arm, in dessen Hand sich der Schlüssel befand, aus dem Schultergelenk zu reißen. Aber so schnell diese unbändige Wut gekommen war, verschwand sie wieder, und ich erschrak vor mir selbst. Vor diesem Bild in Purpurrot, worin ich den Schlüsselbund aus den leblosen Fingern riss und den Arm auf den blutigen Stumpf zurück warf.
Der Mexikaner zuckte zusammen. »Schon gut.« Er hob beide Arme in die Höhe. »Nach allem, was ich gestern für Sie gemacht habe …« Er warf die Schlüssel auf den Tisch. »… hätte ich mir schon ein wenig mehr erwartet.«
Ich griff nach dem Schlüsselbund, bemerkte, dass meine Hand zitterte, steckte ihn in die Hosentasche und nickte dem Mann zu. Meine Absicht, die zerbrochene Fensterscheibe zu ersetzen, hatte sich nach diesem Gespräch in Luft aufgelöst. Allerdings hatte er mein Interesse geweckt.
»Und was genau haben Sie gestern alles für mich gemacht?« Mein Blick fiel abermals auf das Glas. Noch immer zitterte ich und war überzeugt, dass dieses goldbraune Elixier meinen Muskeln die Ruhe eines Neurochirurgen einflößen würde.
Das Grinsen kehrte in das Gesicht des Mannes zurück. »Das Päckchen!«, rief er aus. »Ich hab‘s noch gestern Abend bei FedEx aufgegeben. Express. Sollte heute Vormittag in der Stadt ankommen. Wie Sie es gewünscht haben.«
Ich hatte keine Ahnung, von welchem Päckchen dieser Mann sprach. »Ich habe mich doch bedankt«, sagte ich, da ich davon ausging, dass dieser schleimige Kerl ohne Bezahlung nicht einmal furzen würde.
Er nickte. »Sehr großzügig. Ach …« Er tippte auf die Brusttasche seines beigen Hemdes. »Die Quittung.« Mit einem Blick durch das Fenster stand er langsam auf. »Was, zum …« Sein Hals wurde länger. Dann zog er die schwarze Stoffhose nach oben und schlurfte an mir vorbei. »Bin gleich wieder da«, murmelte er und riss die Tür auf. »He Sie!«, hörte ich ihn noch brüllen. Kurz darauf schlug die Tür mit einem Klacken ins Schloss.
Durch das Fenster sah ich einen blauen Wagen die Schotterstraße entlang fahren. Wild gestikulierend lief der Mexikaner über die Parkfläche.
Ich nahm an, dass er mit Stadt New York City gemeint hatte. Aber ich würde es bald wissen. Denn auf besagter Quittung sollte neben Informationen über das Päckchen auch die Empfängeradresse stehen. Ein weiterer Anhaltspunkt auf dem Weg zurück in mein vergessenes Leben.
Die Musik nervte und nachdem ich sie abgeschaltet hatte, genoss ich die Stille. Ich setzte mich auf den Bürostuhl und blickte auf das Glas. Wieder überkam mich diese Lust, danach zu greifen. Aber etwas in mir hinderte mich daran. Ich durfte diesen Brandy nicht trinken. Aber was war so schlimm daran? In Anbetracht meiner Situation war es doch keine Katastrophe, wenn ich einen kleinen Schluck von diesem köstlichen Brand als Beruhigung zu mir nahm. Nein, es konnte nicht falsch sein. Jeder Mensch auf dieser Welt hätte Verständnis dafür. Nur ein kleiner Schluck. Ich griff nach dem Glas und schwenkte es hin und her. Ölig benetzte die Flüssigkeit den Rand. Scharfer Duft stieg mir in die Nase. Genussvoll sog ich ihn ein, spürte, wie allein durch das Inhalieren der Druck in der Brust abnahm und sich ein Wohlbefinden in mir ausbreitete. Langsam führte ich das Glas zu meinen Lippen.
Nein!
Wie ein Blitz fuhr das Wort durch mein Gehirn. Meine Hand zitterte, ebenso mein Oberkörper und die Beine. Dieses Gesöff war Medizin. Kein Gift, wie mir mein Gehirn einreden wollte. Und ich brauchte diese Medizin. Ich wollte doch nur einen einzigen Schluck. Nur einen.
Ja, Jack. Nur einen Schluck. Einen für Mommy. Und dann noch einen. Einen großen. Für – Daddy.
Ich blickte über meine Schulter. Diese Stimme. Ich hörte sie klar und deutlich, als stünde jemand hinter mir, um mir ins Ohr zu flüstern. Aber dort befand sich nur der Schrank. Und doch lieferte mein Gehirn die Information, ich hätte diese Stimme gehört. Nicht gedacht. Gehört. Heiser und gepresst, mit einem Schuss Bosheit und unterdrücktem Grinsen, um die Pointe nicht zu verraten – und ich war davon überzeugt, dass diese Pointe keine lustige war. Etwas Böses schwang in dieser Stimme mit. So böse, wie der Inhalt des Glases in meiner Hand.
Ich stellte es auf den Schreibtisch zurück und zwang mich den Blick abzuwenden, auf die Schublade, wo der Lohn für die fragwürdigen Dienste des Mexikaners gehortet wurde. Doch nicht die Dollars hatten meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. An der Rückseite der Lade lag eine Pistole.
Der Griff fühlte sich kalt an, und da ich keine Ahnung hatte, wie man eine Waffe lud und um welches Modell