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Todesrot. Jannik Winter
Читать онлайн.Название Todesrot
Год выпуска 0
isbn 9783742724380
Автор произведения Jannik Winter
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Was hatte sie an? Können Sie sich an Auffälligkeiten erinnern?« Er scheint mich als Zeuge, der ihn unterstützen möchte, ernst zu nehmen.
»Sie trug eine hochgeschlossene dunkelgraue Bluse mit weißem Kragen. Zum Stil passten der knöchellange dunkle Rock sowie die schwarzen Schuhe ohne Absatz.«
Das sehe ich deutlich vor mir.
»Sie scheinen Ihre Johanna ja genau inspiziert zu haben. Hatte das einen besonderen Grund?« Er fragt in einer lauernden Art. Es erinnert daran, dass er weiterhin auf der Suche nach Verdächtigen sein muss.
»Es ist nicht ›meine Johanna‹! An die Kleidung erinnere ich mich, weil sie außergewöhnlich altmodisch wirkte. Das habe ich alles schon gesagt.«
Ich bin kurz davor, ihn rauszuschmeißen.
Nahe
Ein letzter Blick auf das Foto.
»Mund rot. Augäpfel weiß. Rose rot. Zähne weiß. Tatatata! Goldener Schnitt? Fünf zu drei? Perfekt!«
Er zerreißt das Blatt in kleine Stücke, schiebt jedes einzeln in den Mund.
Kauen. Vertilgen. Löschen. Auch die Beweise.
Drei Monate hatte er an ihr gearbeitet und sie annähernd dorthin gebracht, wo sie hingehörte. Sie sollte Wünsche von Lippen ablesen, ihm glauben und vertrauen.
»Ich bin kein Ersatzvater.«
»Das habe ich auch nie behauptet.«
»Was bin ich für dich?«
»Ich, ich weiß nicht. Es tut gut, in deiner Nähe zu sein. Da ist so eine gewisse Verbundenheit, die ich nicht begreife.« Er lächelt sie an: »Ist da noch mehr?«
»Was meinst du mit mehr?«
»Warte ab, es ist zu früh!«
Niemand hatte von ihren heimlichen Treffen erfahren. Ihr Vater war tagsüber in der Firma und die Mutter ging einem Ehrenamt in der Gemeinde nach. Unter Aufsicht standen lediglich die Abende. Die hielten ihre Eltern für die gefährlichste Zeit. Alkohol, Drogen, Sex und unanständige Tänze verdarben die Jugend. Es wurden ihre Nachmittage, unbemerkt und ohne Zeugen.
Er ging umsichtig vor. Zunächst fuhr sie eine kurze Strecke mit dem Bus. Dann lief sie einen Kilometer zu Fuß. An einer einsamen Stelle wartete er im Auto auf sie. Er hatte nicht die Limousine genommen, sondern einen neutralen schwarzen Wagen. Dessen Kennzeichen gehörten zu einem Pkw in Bayern, er besaß die passenden Papiere. Ein gefälschter Führerschein war seit einem Jahr für den Fall einer Polizeikontrolle zum Standard geworden. Doch auf dem Land wird tagsüber niemals kontrolliert. Ungehindert konnte er sie in die Villa bringen und mit ihr die Nachmittage genießen.
Amüsiert beobachtete er, wie sie den Bechstein-Flügel öffnete. Sie spielte die Tonleiter in Dur und Moll an und nickte anerkennend. Es war das Klavier, auf dem etliche Frauen für ihn und seinen Vater die Beine breit gemacht hatten. Damals war es kein Klimpern auf den Tasten gewesen. Die Saiten vibrierten in Resonanz mit hektischen Bewegungen. Ihr Stöhnen lieferte die Hintergrundmusik.
So weit war es bei ihr noch nicht gekommen. Die höchste Stufe einer Annäherung erreichte er, als sein Atem ihre Nackenhärchen zum Kräuseln brachte. Ihre Gänsehaut am Hals war eine äußerst erotische Reaktion. Sie hatte sich amüsiert umgedreht.
»Stört es dich, wenn ich dir so nahe bin?« Das war eine Fangfrage, denn bildhaft sah er sich bereits zwischen ihren Schenkeln liegen. Sie hatte den Einwand ernst genommen. »Du störst mich niemals, sondern bereicherst mein Leben.«
Für so ein junges Ding war das ein altkluger Satz. Er musste ihr beibringen, derartige Schnulzen zu unterlassen und besser vor Lust zu jubeln. Bei seinem Vater hatte eine winzige Handbewegung ausgereicht, um den Frauen zu gebieten, sich artig zu bücken. Der vergangene Misserfolg sollte ihn vorsichtiger werden lassen. Er hasste es zu versagen. Wenn er sich in etwas auskannte, dann war es psychologische Strategie. Es musste ihre eigene Entscheidung sein, mit ihm zusammenleben zu wollen. »Es wird mir zu gefährlich. Du bedeutest mir viel, deswegen muss ich dich leider nach Hause bringen.«
Im Gegensatz zum Vater bevorzugte er sanft geköchelte Hühnchen. Zart und saftig sollten sie sein.
»Es ist schade, ich fühle mich gut in deiner Nähe.«
Ihr Satz war ebenfalls Kitsch, gab ihm jedoch Hoffnung, sie so weit zu haben. War der Plan so früh aufgegangen?
Dann hatte er es zum falschen Zeitpunkt gewagt. Es war ein romantischer Ort, dieses Wäldchen am Flussufer. Paradiesisch und tödlich!
»Möchtest du meine Freundin werden? Nicht wie in den letzten Wochen, sondern darüber hinaus.«
Die Frage war kaum ausgesprochen, schon bemerkte er den Fehler. Es war verfrüht, so weit war sie noch nicht. Länger abzuwarten konnte er nicht ertragen, zu groß war seine Ungeduld. Die Entscheidung musste jetzt fallen, die Zeit für neue Höhepunkte war überfällig.
Es war amüsant, sie über ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen zu lassen. Ein fragendes Mädchengesicht wurde zum staunenden, das in ein belustigtes überging. Fünf Sekunden des Nachdenkens, dann wirkte sie zerstört.
»Du möchtest ein Verhältnis mit mir anfangen? Ich bin enttäuscht von dir! Baute unsere Beziehung nicht auf einer völlig anderen Ebene auf? Was du sagst, ist nicht richtig. Jetzt wird mir klar, was du die ganze Zeit bezweckt hast. Du musst aus meinem Leben verschwinden. Das ist ja unerträglich, geradezu lächerlich.«
»Lächerlich?«
Sie zuckte zusammen, weil er es zwischen Zähnen herauspresste.
Die Stimmung wurde nicht nur durch dieses eine Wort ruiniert, auch das Motorgeräusch eines Schiffes störte die Romantik der Naturbühne.
»Dann soll es so sein.«
Nun beglückwünschte er sich für die Vorsehung, der Stein wartete hinter dem Rücken. Sie war mit ihren siebzehn Jahren zu jung, wusste wenig über das Leben und die Gefahren. Dabei hätte die Zukunft für sie sorgenfrei und ohne Last werden können. Es war ihre Entscheidung, sich darüber lustig zu machen! Er fand die Wahl auch in Ordnung.
Der erste Treffer war keine Meisterleistung. Er sollte vorher üben. Eine Melone kam ihm in den Sinn. Es musste möglich sein, mit ausreichender Kraft durch die Schale zu dringen. Er dagegen hatte lediglich eine aufgeplatzte Stirn mit einem roten Rinnsal erzeugt. Nur ihr überraschter Blick und die ungläubigen Augen entschädigten diesen Dilettantismus. Für die zahlreichen Schläge, die er danach wie ein Berserker auf ihren Kopf niederprasseln ließ, schämt er sich heute noch. Das war keine Kunst, es zeugte von Barbarei.
Doch dann traf es ihn wie ein Blitz, denn das Ergebnis fiel ästhetisch aus. Was im Moos des Flussufers vor ihm lag, war Surrealismus vom Feinsten. Miro hatte mit geplatzten Farbbeuteln gearbeitet, das hatte er mit diesem Bild deutlich übertroffen. Es wurde sein Erwachen. »Ich kann das, bin dazu auserwählt.«
Hinzu kam die zweite Motivation. Berserker hin oder her, wer ihn verschmähte und auslachte, durfte nie wieder einem anderen Mann gehören. Eine verschwindend kurze Spanne lang hatte er sie lenken können, dann hatte sie ihn ausgelacht. Sie war zu jung und einfältig gewesen.
Es war an der Zeit, über ein Folgeprojekt nachzudenken. Das nächste Mädchen müsste reifer sein. Nicht zu alt, zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre sollten reichen. Ein Übermaß an Erfahrung könnte schaden und einen gegenteiligen Effekt bewirken. Die bisherige Methode, sich Frauen abhängig zu machen, erschien ihm zu mühsam, die Strategie fehleranfällig.
War die Vorgehensweise des Vaters überlegen? Er erinnerte sich an den Einfluss, den der auf alle Personen im Umfeld ausüben konnte. Durch Reichtum und Beziehungen. Dafür hatten die Menschen ihn abgrundtief und von ganzer Seele gehasst. Das war der falsche Weg. Er wollte geliebt werden. Die Wünsche sollten sie ihm freiwillig und mit Überzeugung erfüllen.
In der letzten Woche war er auf einen Artikel über