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und Pelze verkauft werden, dann 11 Tage Lederzeug und 19 Tage alle anderen Waren. Am Schluss blieben ein paar Tage für das Begleichen der Rechnungen reserviert.

      Die Champagne-Messen, damals die wichtigsten in Europa, funktionierten fast wie ein Binnenmarkt. Der Staat, das abgrenzende und alles verschlingende Wesen, war noch nicht so weit gediehen, dass er den Händlern Schwierigkeiten machen konnte. Steuern und Zölle waren noch erfreulich unterentwickelt, Grenzen kaum genau bekannt oder durchlässig. Im Gegenteil, die Obrigkeit tat alles, um die Geschäfte zu erleichtern. Der Graf nahm die Kaufleute, die auf die Märkte seiner Herrschaft reisten, unter sein Geleit. Die „Coutumes“, die Handelsbräuche, bestimmten gar: „Der Herr muss ihnen alle Waren ersetzen, die sie unterwegs einbüßen.“

      Das Messerecht galt fast überall in den Wirtschaftsgebieten, die durch diesen gemeinsamen Markt verbunden waren. Wer in der Champagne seine Schulden nicht bezahlt hatte, wurde daheim von den Gerichtsschöffen zur Rechenschaft gezogen – Messerecht brach sogar Landesrecht. Vorausgesetzt, die Beweislage war ausreichend.

      Den Kollegen riet ein Genueser Kaufherr daher in seinem Handbuch: „Denke immer daran, alles, was du unterreitschaft gekennzeichnet und von Angebot und Nachfrage gesteuert war.

      Was viel später Kapitalismus und Marktwirtschaft hieß, nahm hier in Europa seinen Anfang. Die Fernhändler arbeiteten als Erste nicht mehr vorrangig für den eigenen Bedarf, sie versuchten sogar, bei anderen überhaupt erst das Bedürfnis nach Konsum zu erregen. So entstand allmählich ein Wirtschaftssystem, das von Arbeitsteilung, Gewinnstreben und Investitionsbereitschaft gekennzeichnet und von Angebot und Nachfrage gesteuert war.

      Die beiden einzigen uns namentlich bekannten Fernhändler der frühesten Zeit hatten schon reichlich von dem neuen Kapital aufgehäuft, um ihre Transaktionen vorzufinanzieren.

      Der Kölner Gerhard Unmaze (1159 bis 1198) war aus der mittleren erzbischöflichen und lokalen Verwaltung hervorgegangen, als Untervogt, Zöllner, Schöffe und Amtmann in einer Person ein erstes Beispiel für den kölschen Klüngel. Unter dem Titel „Der gute Gerhard“ hat nimmst, aufzuschreiben. Schreibe es sofort auf, ehe du es vergisst.“

      Das 13. Jahrhundert war das goldene Zeitalter des freien Handels, und die Kaufherren seine heimlichen Herren. Sie waren gebildeter als die meisten Zeitgenossen – siei konnten schreiben, rechnen und oft auch Latein. Sie waren weit gereist und welterfahren– und sie hatten bald etwas, was in der späteren Wirtschaftsgeschichte noch eine große Rolle spielen sollte: Kapital. Diese Händler waren die Avantgarde ihrer Zeit. Das gemeine Volk reiste nicht, kannte nicht die Welt. Die Bauern hatten ihr Auskommen daheim. Bürger und Handwerker – das waren nachgeborene Söhne von Bauern ohne Land – zog es erst langsam in die wachsenden Städte. Die vielen Unfreien wurden noch wie Sklaven verkauft.

      Man versorgte sich selbst, beschaffte beim Höker das Nötigste und beim Krämer den Kleinkram. Nur an den wenigen Markttagen oder Kirchmessen ließ sich beim fahrenden Volk, wozu die Fernhändler gehörten, ein besonderer Stoff, ein Säckchen Pfeffer oder Muskat oder gar ein Winterpelz ergattern, meist per Tausch, denn Geld war ziemlich unbekannt.

      Wie um die Wende zum 19. Jahrhundert die industrielle Revolution wälzte vom 11. Jahrhundert an die Handelsrevolution die Lebensverhältnisse um. Die hergebrachte Agrarwirtschaft war mitsamt ihrer Böden erschöpft und brauchte neue Produktionsmethoden. Der Handel bot einer stark wachsenden Bevölkerung neue Möglichkeiten, neue Berufe, neue Nahrungsmittel. Fernhändler verbanden nun erstmals professionell und dauerhaft die regionalen Zentren – die sich damals zu Städten formierten –, indem sie die jeweils anderswo benötigten und begehrten Produkte erst tauschten, später auf eigene Rechnung erwarben und dann mit Gewinn weiterverkauften. Sie knüpften persönlich oder über Berufskollegen die Kontakte zu denen, die man heute Anbieter nennt.

      Und sie erweiterten das Angebot: Sie erstanden in Konstantinopel Gewürze, die arabische Händler aus Indien herbeischafften. Sie tauschten Goldstaub aus dem Senegal gegen Wolle aus England, Silber aus dem Schwarzwald, Seide aus China. Sie halfen mit, die Weiten Russlands zu erschließen, indem sie Felle, Honig und Wachs erwarben und in Gegenrichtung Getreide aus Frankreich, Stoffe aus Flandern, Salz aus Lüneburg lieferten.

      Sie entdeckten die Marktlücken, gingen Risiken ein – und machten, wenn’s gut ging, mit ihrer jeweiligen New Economy riesige Gewinne. Ging’s schlecht, fielen sie Meeresstürmenoder reißenden Flüssen, Räubern, Piraten oder plündernden Soldaten zum Opfer.

      Um das Schlimmste, den Verlust ihres Geldbeutels, zu verhüten, erfanden Berufskollegen aus Genua schon im zwölften Jahrhundert den bargeldlosen Zahlungsverkehr: Gulden oder Gold – ohnehin rar in einer Gesellschaft, die auf lokaler Ebene noch wie Hans im Glück tauschte – konnten nun „per Cambio“, durch den Wechselbrief, ersetzt werden.

      Die Banken

      Geld und andere Werte, die norditalienische Goldschmiede des 12. Jahrhunderts von der Kundschaft befristet zur Aufbewahrung erhielten, verliehen sie zwischenzeitlich gegen Zinsen.

      Bei diesen Zinsgeschäften, die unter Christen als sündig galten und deshalb oft in jüdischen Händen waren, saßen die Geldmänner auf Bänken vor ihren Häusern.

      Deshalb nannte man sie „bancherii“. Auf Wunsch vergaben die Banker auch Wertbriefe, die bei Vertrauensleuten in anderen Städten einlösbar waren. Diese bargeldlose Abwicklung verbreitete sich in ganz Europa und machte bald die Banken auch bei Staaten und Handelshäusern unentbehrlich. Das Vorbild stammt aus dem Altertum: Ägyptische Geschäftsleute lieferten ihre Werte in Staatsspeichern ab, wo Kontengeführt sowie Last- und Gutschriften verteilt wurden.

      Die Bedürfnisse der überregionalen Kaufleute erzwangen gegen Ende des Mittelalters den gesellschaftlichen Fortschritt, mit einheitlichen Regeln, Gesetzen, sogar vielerorts anerkannten Währungen, die von Münzhändlern und Wechslern zum Geldwert getauscht wurden. Dabei waren die Verkehrswege desolat; über Land führten nur Saumpfade. Von Papst Johannes XXII. ist der unchristliche Ruf überliefert, als 1414 seine Kutsche auf der Fahrt zum Konstanzer Konzil am Arlberg in den Sumpf fiel: „Jaceo hic in nomine diaboli“– Ich liege hier im Namen des Teufels.

      An Land schafften Pferde und Karren im Schnitt nur fünf Meilen am Tag. Außer Kaufleuten und Reisenden war niemand an guten Straßen interessiert: Je schlechter die Wege, desto besser für Schmiede, Kärrner oder Gastwirte. Es gab sogar ein „Grundruhrrecht“, wonach der Inhalt von Unfallwagen dem jeweiligen Grundeigentümer zufiel.

      Die meisten Waren wurden deshalb mit Schiffen geliefert. An Flüssen und Küstenerblühten die Hafenstädte, aber dann auch die Zollstationen: Auf dem Rhein waren es 64, auf der Elbe 35, an der Donau 77. Als nach und nach die Landwege verbessert wurden, konnten regelmäßige Post- und Kurierdienste eingerichtet werden. Briefe von Köln nach Brügge brauchten etwa eine Woche, doppelt so lange von Augsburg nach Venedig. Die Nachricht vom Fall Konstantinopels 1453 erreichte Venedig dagegen erst nach genau einem Monat.

      Venezianischer Bankier: Wie Hans im Glück - Aquarell von Jan Grevenbroeck (1731 bis 1807) nach

      einer Vorlage aus dem 16. Jahrhundert.

      Die wachsende Händlerschaft war auf ein funktionierendes, schnelles Informationssystem angewiesen und drängte auf Verbesserungen: Das Haus Taxis erhielt 1490 vom habsburgischen Kaiser das Postmonopol für das gesamte Reich zwischen Italien und Nordsee; noch heute erinnert weltweit jedes Taxi daran.

      Die Wirtschaftsgeschichte Europas ist jedoch keineswegs eine durchgehende Gerade zu Wohlstand und Erfolg. Im 14. und 17. Jahrhundert sorgten Pest oder Kriege für gravierenden Bevölkerungsschwund und damit für Rezessionen, deren Folgen – anders als heute – erst nach mehreren Generationen überwunden werden konnten.

      Immer wieder wurde die langsam sich entwickelnde Marktwirtschaft durch Eingriffe der Obrigkeit gestört. Fast alle Händler wollten sich ihre Gewinne allzu gern durch staatlich geschützte Monopole oder Kartelle sichern, wie es internationale Konzerne, allerdings illegal, heute noch versuchen.

      Dabei führt Marktwirtschaft nur dann zum größten Nutzen für die größte Zahl, wenn sie immer offen für neue Anbieter ist

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