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hält er Vorträge über die Stadtfinanzen und welche Projekte unbedingt bevorzugt werden müssen. Dabei kommt er oft in einen Notstand. Was die Bürger in den Kneipen wollen, entspricht nicht dem, was die Parteiführung hören will. Die müssen ihre grössten Spender bei Laune halten. Deshalb prüfen sie sein Manuskript vor jedem Vortrag. Zum Glück sind an den Parteiveranstaltungen nie die Leute aus den Kneipen dabei, so kann er die Parteilinie ohne Widerspruch vertreten.

      Die wichtigsten Streitfragen sind, ob man die traditionelle Lederindustrie weiter begünstigen will? Die Lederverarbeitung gerät durch neue Materialien immer mehr in einen harten Konkurrenzkampf. Die Bauern wünschten sich einen besseren Hochwasserschutz. Ihre Felder werden regelmässig überschwemmt und es gibt einige, die meinen, dass selbst die Stadt nicht mehr vor Hochwasser sicher ist. Da müssen einige Stadträte lachen. Worms gibt es seit über tausend Jahren, da ist noch nie was passiert. Die Bauern verweisen auf die bedenkenlos Abholzung der Wälder, welche deshalb ihre Schutzfunktion nicht mehr wahrnehmen können. Diese Leute werden als Schwarzseher abgekanzelt. Die Gelder kann man besser in der Erschliessung einer neuen Industriezone investieren. Es gibt Interessenten aus der chemischen Industrie, welche in Worms ein neues Werk errichten möchten. Chemisch Industrie, das hat Zukunft, da sind sich alle einig. Deshalb ist ein Projekt welches das Industrieland, durch einem Kanal mit dem Rhein verbinden soll, das Lieblingsprojekt der meisten Parteifreunde. Zumindest in diesem Punkt dürfte er Unterstützung in der Kneipe finden, denn Industrie bedeutet Arbeitsplätze und die kann man gut brauchen. Wenn dadurch noch die Aktien der Eigentümer steigen, profitiert er noch zusätzlich.

      Der Kampf um die freien Stadtrat Sitze geht im Wahlkampf um die Reichstageswahl unter. Dieser Wahlkampf dominiert in den Zeitungen und natürlich auch am Radio. Die NSDAP nützt das Radio für ihren Wahlkampf. Franz hat vorgeschlagenen ebenfalls im Radio Aufrufe zu bringen, doch die Parteileitung ist dagegen. Es fehle ein Konzept und auch Geld ist nicht vorhanden. Erst drei Wochen vor dem Abstimmungstag versuchen sie, bei einer Radiostation eine Diskussionsrunde direkt zu übertragen. Doch die Radiostation winkt ab, alle freien Termine sind von der NSDAP belegt, da sei nichts zu machen.

      Mit jedem Tag den die Wahl näher rückt, sinkt die Zuversicht von Franz. Täglich hört er, was die Nationalsozialisten ihren Wähler versprechen. Da kann das eigene Programm nicht mithalten.

      Der Wahltag ist eine riesige Enttäuschung. Seine Partei verliert mehrere Sitze, so dass selbst zwei bisherige Stadträte nicht wiedergewählt wurden. Rosa hatte grosse Mühe, Franz wieder aufzupäppeln. Durch die neue Parteienverteilung gerät auch seine Stelle als Steuerbeamter ins Wanken. Noch ist er angestellt und die neuen Mitarbeiter respektieren ihn, sie sind auf sein Fachwissen angewiesen.

      Für Willi ist der Wahlausgang eine Katastrophe. Die Mitschüler hänseln ihn, er verliert gewaltig an Ansehen. Ab jetzt hält nur noch Joshua zu ihm. In den Pausen sitzen die beiden meistens hinter einem dicken Baum im Schulhof. Das Absondern hatte nicht nur negative Folgen, jetzt konzentriert er sich voll auf die Schule. Seine Noten werden noch besser. Dass er das Abitur schafft, steht ausser Zweifel. Bis zur Prüfung sind es noch gut zwei Jahre.

      Im Unterricht ist es nicht einfach. Die Rädelsführer der Klasse versuchen ihn bei jeder Gelegenheit lächerlich zu machen. Dank der Unterstützung der Mitläufer gelingt es meistens. Die Lehrer haben wenige Möglichkeiten einzugreifen, die Rädelsführer sind nicht dumm und wissen genau, wie weit sie gehen dürfen.

      Im Mai ist der Name Nobile in aller Munde. Sein kühner Plan, mit einem Luftschiff zum Nordpol zu fliegen, ist das grosse Ereignis. Das Radio berichtet bereits über die Vorbereitungen. Natürlich hätten die deutschen Reporter lieber, wenn Nobile ein Deutscher wäre, doch Nobile wird von Mussolini grosszügig unterstützt. Schon lange schielen die Mitglieder der NSDAP, welche am Radio die Führung übernommen haben, nach Italien und bewundern die kompromisslose Art, wie Mussolini die Massen begeistert. In Deutschland ist alles nicht so einfach.

      Am 23. Mai ist es soweit. Das Luftschiff Italia hebt in Spitzbergen ab und steuert auf Kurs Nord. Wieder müssen sich die Hörer gedulden. Nobile hat ein Kurzwellensender an Bord, doch will er ihn nur im Notfall benutzen. Die Reporter auf Spitzbergen können ausser technischen Daten nichts Aktuelles melden. Trotzdem verfolgt ganz Europa, was die Reporter aus Spitzbergen berichten.

      Da es keine Neuigkeiten gibt, wurde ein Loblied für Mussolini angestimmt. Zwischen durch unterbricht der Reporter sein Loblied auf Mussolini und meldet die aktuelle Position des Luftschiffs, da keine aktuellen Daten vorliegen, hält sich der Reporter an den theoretischen Zeitplan, welcher Nobile ihm vor dem Start übergeben hat.

      «Jetzt müssten sie am Nordpol sein!», verkündet der Reporter, «es ist der 24. Mai Ortszeit verkündet er. Am Pol kann man nur in Tagen rechnen, eine lokale Uhrzeit gibt es nicht. Die ändert je nachdem, auf welche Seite man sich vom Pol entfernt.»

      Diese Aussage muss Wilhelm seiner Mutter erklären. Sie kann die Zusammenhänge nicht verstehen. Am Gymnasium hat der Lehrer das Thema Pole rechtzeitig in den Lehrplan genommen. Das Interesse der Schüler ist gross und er hatte wieder einige Stunden ohne grosse Vorbereitung. Er muss nur Zeitung lesen, was er ja sowieso machen würde.

      «Jetzt müsste Nobile bereits auf dem Rückweg sein», verkündet der Reporter, ob das tatsächlich so ist, weiss er nicht.

      Einige Stunden später klingt die Stimme des Reporters besorgt.

      «Die Italia sollte jetzt zurück sein. Mit Verspätung muss man bei einem solchen Unternehmen rechnen. Die Expedition 1923 hatte auch Verspätung.»

      Am 26. Mai ist es jedem klar, es muss etwas passiert sein. Nun melden auch die Zeitungen in grossen Buchstaben: «Wo ist Nobile, wo ist die Italia?»

      Es gibt keine Neuigkeiten. Noch ist der Reporter auf Spitzbergen, doch er konnte immer nur das Gleiche berichten. Von Nobile und seiner Italia gibt es nichts zu berichten. Sie sind in der Eiswüste verschollen!

      Am 2. Juni meldet sich der Amateurfunker N. R. Schmidt bei der schwedischen Zeitung: «Ich habe einen Funkspruch von Nobile Empfangen!»

      Diese Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Europa. Die Italiener organisieren eine Rettungsaktion. Keine leichte Aufgabe. Es werden geeignete Flugzeuge gesucht. Inzwischen empfangen weitere Funkamateure das Signal und man kann daraus die ungefähre Position von Nobile berechnen. Inzwischen gibt es auch die ersten Informationen über die Situation der Überlebenden. Nobile ist verletzt und ein weiteres Mitglied der Expedition ist tot. Noch schlimmer! Sechs Mann wurden nach dem Absturz wieder in die Höhe gerissen. Nachdem zehn Männer und einiges Material, beim heftigen Aufprall auf dem Eis, aus der Gondel geschleudert wurden, war die Italia zu leicht und stieg mit grosser Geschwindigkeit in die Höhe, bis sie von Nobile Leuten nicht mehr gesehen wurden.

      Der Funkkontakt muss auf ein Minimum reduziert werden. Die Batterien haben nur noch eine geringe Kapazität. Erst am 12. Juli kann der schwedische Pilot E. Lundgborg sein Flugzeug bei den Überlebenden landen. Er bringt Proviant und warmen Decken. Nur Nobile kann ausgeflogen werden, die restlichen Überlebenden müssen noch auf dem Eis ausharren. Ein russischer Eisbrecher kann sie schliesslich retten. Von der Italia hat man nie mehr etwas gefunden. Die sechs Abenteurer blieben für immer verschollen.

      Die Ereignisse mit der Italia und Nobile haben für Willi positive Auswirkungen. Da er immer bestens informiert ist, steigt sein Ansehen in der Klasse. Dass dabei die enge Freundschaft zu Joshua etwas in den Hintergrund gerät, bemerkte er kaum. Er kann sich so für die Luftfahrt begeistern und dazu zählten auch die Luftschiffe.

      Der schwarze Freitag /1929

      Willi hat für seinen 14. Geburtstag Schulkollegen eingeladen. Joshua hat sich krank abgemeldet. Willi weiss nicht, ob er Willi ersparen wollte, dass mehrere Kollegen absagen, weil ein Jude eingeladen ist. Auf jeden Fall bekommt er dank der Absage von Joshua, keine Probleme. Er nimmt sich vor, ihn später einzuladen und nur mit ihm, Mutter und Gabi, zu essen.

      Gabi hilft bereits am Donnerstagabend Rosa bei der Vorbereitung. Sie richten das Gartenhaus so ein, dass die Feier dort stattfinden kann. Rosa beobachtet die beiden Turteltauben mit einer Mischung aus Stolz und Eifersucht.

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