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Das war zwar nicht das Thema, das Nina am meisten unter den Nägeln brannte, doch die Gelegenheit bot sich gerade an.

      „Hat sie dir das nicht erzählt?“, fragte Irena erstaunt. Nina wusste nicht, ob mit „sie“ Josephine oder Robin gemeint war, aber die Antwort war in beiden Fällen die gleiche. Sie schüttelte den Kopf. „Robins Mutter hat lange für deine Oma gearbeitet. Und vor ihr deren Mutter. Robin ist mit unseren Greifen quasi aufgewachsen. Da war es nur logisch, dass sie schließlich in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten ist.“

      „Und Robins Mutter ist …?“ Da kam wieder das Mitleid vom Morgen auf, nur noch viel stärker. Die eigene Mutter zu verlieren war furchtbar. Das wusste Nina nur zu gut.

      „Nein, sie ist nicht tot. Jedenfalls nicht soweit ich weiß. Sie ist verschwunden. Hat ihren Mann und ihre Tochter von einem Tag auf den anderen verlassen und sich nicht mehr gemeldet. Sie war eine wundervolle Frau, konnte mit den Greifen umgehen, als würde sie deren Sprache sprechen. Doch das hat Josephine ihr nie verziehen. Und ich glaube, Robin auch nicht.“

      „Und du?“

      Irena ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie holte das Gratin behutsam aus dem Ofen und stellte es auf dem Tisch ab, bevor sie Nina in die Augen sah.

      „Ich habe deiner Großmutter nie widersprochen, wenn sie sich mal wieder über Robins Mutter aufgeregt hat. Aber ganz ehrlich? Bei einem Ehemann wie dem ihren hätte ich wahrscheinlich irgendwann das Gleiche getan. Nur hätte ich mein Kind mitgenommen, statt es bei diesem Nichtsnutz zu lassen. Das ist das Einzige, was ich ihr vorwerfe.“

      „Hat sie denn mit ihrem Vater noch Kontakt?“

      „Sporadisch. Marlon heißt er. Schreibt ihr zu Weihnachten Karten, manchmal auch zu ihren Geburtstagen, wenn er rechtzeitig dran denkt. Umgekehrt ist es wohl ähnlich. Als sie alt genug war, eigene Entscheidungen zu treffen, hat Robin Josephine gefragt, ob sie hier wohnen kann. Sie hat angeboten, sich dafür im Stall nützlich zu machen, weil sie kein Geld hat, um die Miete zu zahlen.“ Irena lächelte. „Ich glaube, Josephine hat dieses Angebot nur angenommen, weil sie wusste, dass Robin davon noch mehr profitiert als sie selbst. Sie hat die Greifen schon immer geliebt.

      Jedenfalls, nachdem er von Frau und Tochter verlassen wurde, hat Marlon nichts mehr in Ardara gehalten. Er ist bald darauf nach Cork gezogen. Von dort stammen jedenfalls seine Karten.“

      Bevor Nina etwas entgegnen konnte, öffnete sich mit einem leisen Klappern die Hintertür. Irena setzte eine fröhliche Miene auf.

      „Aber erzähl mir doch von deinem ersten Arbeitstag“, bat sie gutgelaunt, als wäre das die ganze Zeit schon ihr Thema gewesen.

      „Ich glaube, ich habe mich nicht allzu doof angestellt“, sagte Nina, während Robin sich wortlos zu ihnen an den Tisch setzte. „Ich hatte viele Kunden und Bob wirkte ganz zufrieden. Morgen kriege ich einen eigenen Schlüssel.“

      Robin war zu beschäftigt mit Essen, um etwas dazu zu sagen. Wahrscheinlich interessierte es sie auch einfach nicht.

      Aber aus irgendeinem Grund störte das Nina genauso sehr wie der abwertende Kommentar, mit dem sie eigentlich gerechnet hatte.

      So viel also zu ihrem Vorsatz, sich nicht mehr provozieren zu lassen.

      „Ich habe heute die Aufzeichnungen der Greifenzucht gefunden“, sagte sie stattdessen. „Ist Shadow wirklich der einzige Greif, der in den letzten fünfzehn Jahren hier geboren ist?“

      Robin ließ die Gabel sinken und schaute sie an. „Das heißt bei Greifen geschlüpft, nicht geboren“, nuschelte sie mit vollem Mund. „Aber ja, ist er. Kurz nachdem ich hier angefangen habe zu arbeiten, hat Vina sein Ei gelegt. Josephine hat vor Freude geweint, als sie das Küken gesehen hat.“ Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf Robins Gesicht. „Falls du den Namen Shadow auf den Auszeichnungen gefunden hast, das war sein Großvater, der damals massenhaft Preise abgeräumt hat. Von dem Stolz seiner Vorfahren ist aber leider nicht viel übrig geblieben, wenn man sich ansieht, wie dieser Shadow bei Gewitter reagiert.“

      Robins Blick wurde ernst. „Aber das spielt bald ohnehin keine Rolle mehr. Wenn in den nächsten ein bis zwei Jahren keine neuen Küken mehr schlüpfen, dann können wir den Stall in ein Gewächshaus umbauen. Denn die anderen Greifen werden bald zu alt sein, um sich noch zu paaren. Und Shadow stammt zwar aus einer hervorragenden Linie, aber um ein neues Weibchen für ihn zu kaufen, haben wir nicht die finanziellen Mittel. Außer du hast Privatvermögen, von dem wir nichts wissen, das du in diese Sache investieren möchtest.“ Robin sah Nina eindringlich an. Doch da diese nicht wusste, was sie daraufhin erwidern sollte, widmete sich Robin nach einigen Augenblicken wieder ihrem Essen.

      Der Gedanke beschäftigte sie trotzdem. Sie hatte ja schon den Vorsatz gefasst, die Greifenzucht wieder in Gang zu bringen. Doch es würde wohl schwieriger werden, als sie angenommen hatte.

      Nach dem Abendessen ging Nina noch einmal zum Stall. Sie hatte extra gewartet, bis Robin in ihrem Zimmer verschwunden war, um sich einmal alleine und in Ruhe bei den Greifen umzusehen. Solange sie in ihren Boxen waren, würde es schon keine Probleme geben.

      Manche der Tiere raschelten mürrisch mit den Federn oder krächzten leise, als Nina das Licht im Stall einschaltete, die meisten beachteten sie aber gar nicht.

      An den Boxen waren Namensschilder angebracht. Nina ging an allen Boxen vorbei und las sie aufmerksam durch. Fugoll, Wren, Vina, Madame, Akira, Glen, Emrys, Muffin und schließlich Shadow. Die anderen Boxen standen leer. Helle Stellen im Holz zeigten, wo ursprünglich ebenfalls Schilder gehangen hatten.

      Shadow war der einzige ganz schwarze Greif im Stall, die meisten anderen rangierten in helleren Tönen; Cremefarben, Gold, Kupfer, Braun oder Grau. Bei manchen hatten Gefieder und Fell nicht nur unterschiedliche Schattierungen, sondern verschiedene Farben.

      Und das Weibchen namens Wren hatte sogar einige graue Federn rund um den Schnabel, was davon zeugte, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum sie von allen Greifen die größte Ruhe ausstrahlte.

      Nina bemühte sich, ihr nicht in die Augen zu sehen, doch selbst im künstlichen Licht des Stalls konnte sie den Blick kaum von den Bernsteinen abwenden, die sie neugierig beobachteten. Nina fixierte eine dunkle Feder an Wrens Hals.

      „Hallo, du Hübsche“, murmelte sie leise. Wren blinzelte einmal zur Antwort, was Nina ein Lächeln entlockte. Gerne hätte sie die Hand durch die Gitter gestreckt und den Greifen gestreichelt, doch ihre Vorsicht siegte.

      Lieber nichts überstürzen und erst einmal das Vertrauen der Greifen gewinnen.

      In der Box neben Wren stand Vina, Shadows Mutter. Bei ihr war nur das Fell schwarz, das Gefieder war Cremefarben, was Nina unwillkürlich an einen Fischadler denken ließ. Vinas Blick wirkte so viel feindseliger als der von Wren, so dass Nina gar nicht erst in Versuchung kam, Blickkontakt herstellen zu wollen. Das unruhige Schnauben trug nur noch dazu bei.

      Ninas Anwesenheit machte langsam auch die anderen Greifen nervös. Deshalb nahm sie etwas Abstand zu den Boxen und ging zurück in den vorderen Bereich des Stalls, wo jede Menge Ausrüstung lagerte.

      Neben der Tür hingen ordentlich Gurte und Halfter. Jedoch keine Sattel.

      Konnte man Greifen überhaupt reiten? Nina war sich nicht sicher, aber eine verschwommene Erinnerung legte die Vermutung nahe. Oder war das nur in einem Film gewesen?

      Sie sah sich die Ausrüstung genauer an. Die Gurte, mit denen die Flügel festgebunden wurden, wie Robin erklärt hatte, waren aus robustem Leder und an der Innenseite weich gepolstert. Sie hatten etliche Ösen, wahrscheinlich damit man die Größe sowohl für einen als auch für beide Flügel anpassen konnten.

      Die Halfter ähnelten denen, die man für Pferde nutzte, nur dass der vordere Teil – der für den Schnabel – kleiner war. Nina kannte diese Halfter von den Paraden, auch wenn sie da viel aufwendiger verziert waren als die, die hier im Stall hingen. Doch für Ausstellungen und Turniere gab es sicher Ähnliches. Wahrscheinlich in einem der Schränke, in denen Nina lieber nicht stöbern wollte, aus Sorge, etwas durcheinander zu bringen.

      Sie

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