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in den Mund zu schieben, als sie die Hintertür hörte. Kurz darauf betrat Robin mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ die Küche und Nina verschluckte sich an ihrem Frühstück.

      Immerhin mit dem Holzfällerhemd hatte sie Recht gehabt. Alle anderen Vermutungen lagen meilenweit daneben.

      Robin war in ihrem Alter, vielleicht sogar ein oder zwei Jahre jünger, schlank, mit kurzen schwarzen Haaren und leuchtend grünen Augen, und hatte absolut nichts Bäuerliches an sich, abgesehen von einem leichten Stallgeruch.

      Und Robin war weiblich.

      Sie betrachtete die immer noch hustende Nina mit einem schiefen Grinsen. Um etwas dagegen zu tun, schnappte Nina sich ihre Teetasse und nahm einen großen Schluck. Der Tee war allerdings immer noch unangenehm heiß und zusammen mit dem Hustenanfall tränten Ninas Augen jetzt noch mehr. Ein wundervoller erster Eindruck.

      Zu einem ähnlichen Ergebnis kam wohl auch Robin, denn sie setzte sich Nina gegenüber und lud ihren Teller voller, als Irena es getan hätte, bevor sie etwas sagte.

      „Sieh an, das ist also unsere neue … Chefin.“ Das letzte Wort betonte sie so abschätzig, dass das Rührei in Ninas Magen sich in Stein zu verwandeln schien.

      „Na, na, ein bisschen höflicher bitte“, mischte sich Irena ein. „Ja, sie hat das Cottage geerbt, aber sie ist immer noch Josephines Enkeltochter und ich bin mir sicher, sie wird eine ähnlich entspannte Chefin sein und wir werden gut miteinander auskommen.“

      Nina schenkte Irena ein dankbares Lächeln – sie traute ihrer Stimme gerade noch nicht – doch insgeheim hatte sie das Gefühl, dass es doch nicht so einfach werden würde, wie sie sich das vorgestellt hatte. Robins Blick war immer noch misstrauisch.

      Das Schlimmste war, dass Robin ihr sympathisch gewesen war. Sie hatte etwas an sich, das Nina auf den ersten Blick faszinierte. Aber die fehlende Gegenseitigkeit dämpfte dieses Gefühl.

      Sie nahm noch einen Schluck Tee, räusperte sich und versuchte dann die Stimmung zu lockern. Vielleicht taute Robin etwas auf, wenn Nina Interesse für ihre Arbeit zeigte.

      „Du kümmerst dich um die Greifen, nicht wahr? Darf ich mir den Stall nach dem Frühstück ansehen? Gestern bin ich leider nicht mehr dazu gekommen.“ Nina legte so viel Freundlichkeit in ihre Stimme, wie sie sich traute, ohne es geheuchelt klingen zu lassen. Es brachte nicht viel.

      „Es ist dein Cottage, also gehört auch der Stall dir. Ich kann dir schlecht verbieten, dort hinzugehen.“

      Einen Moment lang lag Nina eine patzige Antwort auf der Zunge, doch dann entschied sie sich für Diplomatie.

      „Ja, es ist mein Stall, aber wenn dich meine Anwesenheit dort stört, dann verschiebe ich es auf einen passenderen Zeitpunkt.“

      Robin verdrehte genervt die Augen. Ohne Nina zu antworten, schaufelte sie das Frühstück in Rekordgeschwindigkeit in sich rein. Sobald Teller und Tasse leer waren, stand sie auf, bedankte sich kurz bei Irena und war dann wieder verschwunden.

      Nina ließ die Schultern hängen.

      „Nimm es nicht persönlich, Kindchen. Robin kann manchmal etwas schwierig sein. Sie ist auf dem Land aufgewachsen und hat, nun ja … Vorbehalte gegenüber Menschen, die aus großen Städten kommen. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch schon noch verstehen, sobald ihr euch ein bisschen besser kennenlernt.“

      Sie zwinkerte Nina zu.

      „Ich werde mir Mühe geben“, versicherte Nina und fügte dann leise hinzu: „Wenn sie es auch tut.“

      Irena lachte.

      Nachdem die Küche aufgeräumt war – dieses Mal hatte Nina zumindest dabei helfen dürfen, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen – machte sie sich auf den Weg nach draußen.

      Der Tag war eisig grau. Es regnete nicht, doch die Sonne hatte trotzdem keine Chance gegen die geschlossene Wolkendecke und das Gras knirschte unter Ninas Füßen.

      Der Stall war nicht zu übersehen. Sobald man zur Hintertür hinausging, sah man ihn auf der rechten Seite. Er war noch größer als das Cottage, mit ziegelrotem Anstrich und einem ebenfalls reetgedeckten Dach. Die Stalltür war nur angelehnt; hoffentlich ein Friedensangebot von Robin.

      Dennoch zögerte Nina, den Stall einfach zu betreten. Stattdessen spähte sie von draußen in das Halbdunkel.

      Bevor sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnten, nahm sie den Geruch wahr. Es war nicht nur der Stallgeruch, den sie schon bei Robin bemerkt hatte. Es roch nach Zoo, nach Großkatzen.

      Schließlich überwog die Neugier und Nina machte einen Schritt hinein in den Stall.

      Zwei Gänge führten durch den Stall. In der Mitte sowie an den Wänden befanden sich je sieben Boxen für die Greifen. Platz für 21 Tiere.

      Die einzelnen Boxen waren nicht nur breiter, sondern auch insgesamt größer als in einem Pferdestall. Nina konnte nicht sagen, ob alle Boxen auch belegt waren, denn die Greifen waren im Moment offenbar draußen im Freigehege.

      Die einzige, die noch im Stall war, war Robin, auch wenn Nina sie nicht sah, sondern nur hörte.

      „Hallo?“

      „Hier bin ich.“ Robin trat aus der hintersten Box im rechten Gang, eine Mistgabel in der Hand.

      „Störe ich gerade?“

      Robin zögerte kurz, dann schüttelte sie den Kopf und lehnte die Mistgabel an die Wand.

      „Jedenfalls bei nichts Dringendem. Komm mit, ich zeige dir deine Greifen.“

      Auf der hinteren Seite des Stalls, dort wo die beiden Gänge wieder zusammentrafen, war ein weiteres Tor. Robin öffnete es und ließ einen Schwall eiskalter Luft in den Stall. Dann betrat sie das Freigehege.

      Nina folgte ihr langsam, auch wenn sie noch keine Greifen entdecken konnte.

      Der Abstand zu Robin erwies sich aber auch aus anderen Gründen als praktisch, denn im nächsten Moment stieß Robin einen lauten Pfiff aus.

      Einige Sekunden lang passierte nichts, dann kamen mehrere Greifen aus dem Wald getrottet. Vier Stück zählte Nina, plus einen weiteren, der schon vorher unbemerkt auf der Wiese gelegen hatte und bei Robins Pfiff aufgestanden war.

      Die letzten Meter kamen sie nur zögerlich näher, als wäre die fremde Person ihnen nicht geheuer. Fünf goldene Augenpaare musterten sie argwöhnisch. Ein Greif scharrte unruhig.

      „Kein Blickkontakt!“, ermahnte Robin sie. Nina senkte sofort den Blick und fixierte stattdessen die Pranken der Greifen.

      „Tut mir leid. Ich habe nicht oft mit Greifen zu tun.“

      „Merkt man.“

      Der vorderste Greif in der Gruppe war ein ungewöhnlich dunkles Tier. Alle Instinkte rieten Nina, bloß auf Abstand zu bleiben, doch Robin näherte sich dem Greifen unbefangen und fing an, das Tier zu streicheln.

      Der Greif schloss entspannt die Augen und ließ ein Geräusch vernehmen, das wie eine Mischung aus Gurren und Schnurren klang.

      So erschien er weniger bedrohlich und Nina nutzte die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten.

      Aus der Nähe wirkte er beeindruckend groß, sein Kopf war auf Augenhöhe mit Nina. Kopf, Brust und Flügel waren mit schwarzem Gefieder bedeckt, darunter ging es in kurzes, glänzend schwarzes Fell über. Während der Kopf – abgesehen von den spitzen Ohren – dem eines Adlers glich, hatte der restliche Körper Ähnlichkeit mit einer Raubkatze. Oft wurden Löwen als Vergleich herangezogen, doch der Greif war weniger massig. Gerade bei diesem schwarzen Tier musste Nina eher an einen Panther denken.

      Es war nicht der erste Greif, den sie sah, nur der erste aus solcher Nähe. Auch in Duisburg gab es einige Menschen, die sich den Luxus leisten konnten, einen Greifen zu halten. Doch in der Stadt selbst sah man sie ähnlich selten wie Pferde. Wenn man also nicht zu den Leuten gehörte, die ein besonderes Interesse dafür hatten, hatte man mit beiden Tierarten wenig zu tun.

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