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selbst und meiner Unfähigkeit, jetzt selbst stellvertretender Referatsleiter zu sein!

      Außerdem erinnerte ich mich an die Zeit meiner kindlichen Katz-und-Maus-Spiele mit meinen Schulkameraden. Geschwister hatte ich nicht, genauso wie die meisten anderen Kinder. Es war bereits die Zeit, als es schwer wurde, überhaupt eine Partnerschaft einzugehen. Die Zeit, in der bereits die plumpe Frage nach dem Weg oder ähnlichen Alltäglichkeiten an eine Frau für einen Mann zu einer juristischen Verwicklung wegen versuchter sexueller Nötigung führen konnte. Die Zeit, als unsere Eltern glücklich sein konnten, wenn sie es schafften, die Familie mit dem Zweit- oder Drittjob über Wasser zu halten, weil durch die Automatisierung maximal schlecht bezahlte Halbtags- oder Stundenjobs zur Verfügung standen. An Kinder war da gar nicht wirklich zu denken. Trotzdem spielten wir Katz und Maus miteinander, indem wir versuchten, einander mittels GPS-Peilung aufzuspüren. Ich würde es mit einer Neuauflage versuchen und ihnen entwischen. Ich würde...

      Der Monitor plingte und zeigte ein eingehendes Videochat von Erwin an. Das ließ mich augenblicklich wieder zu mir kommen. Mürrisch klickte ich au. »Zustimmen«.

      Erwins zerzauste Visage erschien auf dem Monitor.

      »Hallo, Krongold.«

      »Herr Krongold, wenn ich bitten darf!«

      Er räusperte sich. »Äh, ja, Herr Krongold. Ich möchte mich nach Ihrem Befinden erkundigen. Geht es besser?«

      »Ja, besser. Glänzend, ja glänzend!«

      »Glänzend? Oh fein, ja fein. Weil...«

      »Ja?«, forschte ich und verspürte eine leise Warnung in mir aufsteigen. »Weil...?«

      »Nun ja, wir haben einige respektable Piks in ihrem Aggressions-Score festgestellt. Sie machen doch keine Dummheiten?«

      »In meinem was?«, fragte ich verblüfft nach.

      »Aggressions-Score«, wiederholte er, als sei dies die größte Selbstverständlichkeit der Welt.

      »Was soll das bedeuten?«

      »Ihre Werte, Ihre Werte gehen signifikant aus dem Normalbereich.«

      »Wie kommen Sie an... meine ‚Werte‘?«

      »Ach so«, er hüstelte. »Nun ja, ich dachte Sie seien vom Fach. Über Ihr Pad natürlich. Es ist Teil Ihrer Auflage. Wir kontrollieren einige Ihrer Parameter, um Sie zu schützen!«

      »Zu schützen, wovor?«

      »Äh, vor Gefährdungen.«

      »Gefährdungen!«, echote ich. »Gefährdungen!«

      Er machte eine unwirsche Bewegung. »Ich habe leider keine Zeit, dies mit Ihnen zu diskutieren. Sie sollten als Psychiater wissen, dass Menschen in Isolation zu depressiven Kurzschlusshandlungen neigen können. Das brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Ich wollte mich einfach davon überzeugen, dass Sie nicht gefährdet sind, weil Ihre Erregungsparameter auf erhöhte Werte gestiegen sind.«

      »Dann wären Sie mich und das Problem doch los!«, maulte ich, obwohl mir bewusst wurde, dass ich mich wie ein Trottel verhielt. ‚Nimm dich zusammen! Nimm dich zusammen!‘ ermahnte ich mich, hielt kurz die Luft an und atmete dann langsam wieder aus.

      »Okay, Sie haben wieder einmal recht. Keine Sorge, ich bin verärgert, das ist wohl wahr, aber ich neige nicht zu Selbstmordgedanken.«

      »Fein, dann ist es ja gut. Ich habe Ihnen eine weitere App freigeschaltet und möchte, dass Sie sich diese runterladen. Das gibt weitere Bonuspunkte. Im Übrigen hat sich etwas getan. Ihr Fall ist nun der übergeordneten Instanz zugestellt worden. Wir können also bald mit einer Entscheidung rechnen, ob Anklage erhoben wird.«

      »Das ist ein Witz oder?«

      Er lächelte süßsauer. »Ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt...«

      »Was ist das für eine Justiz, die nicht die Täter, sondern die Opfer bestraft?«

      »Das ist leider bei der Terrorismusfrage nicht immer einfach zu beantworten. Sie wissen, dass davon viel mehr als ein Einzelschicksal abhängen kann.«

      »Sie wollen, dass ich für meine Inhaftierung noch dankbar bin?«, fauchte ich.

      »Ich will gar nichts, sondern bin lediglich zu Ihrer Unterstützung da, das ist mein Job. Ihr persönliches Schicksal geht mir ehrlich gesagt am Arsch vorbei. Guten Tag.«

      Damit schaltete er sich ab. Eine Weile starrte ich sprachlos auf den Bildschirm, der jetzt den Download einer neuen App signalisierte, um die ich nicht gebeten hatte.

      »Sie haben nun die Möglichkeit, sich 15 PC-Quians gutschreiben zu lassen, wenn Sie den Code, der im Laufe der Sendung eingeblendet wird, bestätigen. Viel Vergnügen!«, signalisierte eine virtuelle Sprecherin. Ich fragte mich, ob bei Frauen vielleicht ein attraktiver männlicher Sprecher eingeblendet würde. Musste ich mal bei Gelegenheit jemanden fragen. Bevor ich auf den Startknopf drückte, beschloss ich jedoch erst einmal meine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen, denn mein Entschluss stand fest, dass ich die Initiative nun wieder selbst ergreifen musste.

      Auf dem Weg zum Schmutzwäschebehälter orderte ich ein Standardmenü vom Imbiss, das mir heute die Softwarefirma ‚Interglobal‘ offerierte, um gleichzeitig auf eine neue Spielkonsole hinzuweisen. Der Startknopf des Wäschebehälters leuchtete blau, was bedeutet, dass neues Waschpulver geordert werden musste. Hier konnte ich mich zwischen drei Angeboten verschiedener Konzerne entscheiden. Ich nahm den, bei dem es die meisten PC-Payback-Quians gab. Der Behälter entleerte sich in die Waschanlage, die sich sofort mit einer Bestätigung der Waschmittelfirma über den Kauf einer Sechsmonatspackung ihres Waschmittels bedankte, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass auch weitere interessante Angebote in ihrem Programm seien. Durch die Wahl der Taste. »Später anzeigen« sprang das Waschprogramm dann endgültig an. Im Sanitärbereich meldete sich die Toilette mit der Meldung, dass ein neuer WC-duft zur Verfügung stünde. Sofern ich die Restbestände, vier Packungen einer anderen Firma, umtauschen wolle, könne ein Sonderpreis mit mir vereinbart werden. Ich cancelte, denn Duft erzeugte ich bereits selbst genug. Der Handtuchspender zeigte an, dass noch genügend saubere Handtücher für mindestens zwölf Wäschen vorhanden seien, was mich beruhigte. Auch der Wasserspülkasten der Toilette meldete, dass ich für noch über vier Monate Restlaufzeit des Abonnements von biologisch gereinigtem Recyclingwasser verfügen dürfte, allerdings könne mir ein Frühbucherrabett von 3 % gewährt werden, wenn ich jetzt bereits einer Verlängerung zustimmte. Ich tat ihnen den Gefallen, was mir mit einigen weiteren Payback Quians zusätzlich honoriert wurde. Dermaßen geläutert öffnete ich den Serviceschacht, wo ein garantiert schweinefleischfreier, weil ohnehin nur aus synthetischem Fleisch bestehender Döner serviert wurde. Seit mit der massenhaften Einwanderung arabisch und afrikanisch stämmiger Menschen, die die zahlenmäßig angestammte Bevölkerung schnell überwogen, auch teilweise deren Sitten und Gebräuche übernommen wurden, war die Speisekarte üblicherweise bereinigt worden. Zwar konnte sich die islamische Religion nur etwa 50 Jahre halten, bis di. »China National Chemical Corp (ChemChi)«, die weltweit die dominierende Rolle bei der Nahrungsmittel- und Saatgutkontrolle übernommen hatte, die Staatsgeschäfte führte, aber einige Überreste fanden sich immer noch im alltäglichen Umgang. Als das synthetische Fleisch aufgrund der Nahrungsknappheit die früher übliche Masttierhaltung ersetzte, erledigten sich allerdings auch die neuen Ernährungsvorschriften sehr schnell. Richtiges Tierfleisch war eine Rarität und sehr teuer. Insofern war es schon ein Wunder, es in einem so heruntergekommenen Restaurant wie dem ‚Fleur‘ damals angeboten bekommen zu haben. Es gab wohl einen florierenden Schwarzmarkt für so etwas.

      Das Getränk, welches dem Menü gratis beigefügt war, ein isotonischer Drink namen. »Blue fish« oder so, ließ sich erst öffnen, nachdem man das Einverständnis zur Verwendung der IP Nummer zu Werbezwecken mittels Chip bestätigt hatte, schmeckte aber genauso fad wie alle anderen derartigen vollsynthetischen Gebräue.

      Dennoch ließ ich es mir schmecken, denn ich merkte, dass ich ausgehungert war. Dann erst lehnte ich mich in meinen Liegesessel zurück und drückte den Startknopf der App.

      Im Einzelnen weiß ich gar

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