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wollte es glauben.

      Einem im Schneegestöber langsam herankeuchenden Zug entstiegen zwei Studenten, die Gewehre über den Mänteln, und eine Abteilung revolutionärer Soldaten mit roten Armbinden. Sie verhafteten die Bahnhofsgendarmen, einen alten Oberst und den Chef der Garnison. Jetzt endlich glaubte man es im Städtchen. Tausende von Menschen wälzten sich durch die verschneiten Straßen zum Marktplatz.

      Gierig lauschten sie den neuen Worten: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«

      Die unruhigen Tage voller Lärm, Aufregung und Begeisterung vergingen. Im Städtchen trat wieder Ruhe ein, und nur die rote Fahne auf dem Gebäude der Stadtverwaltung, in dem sich die Menschewiki und Sozialrevolutionäre festgesetzt hatten, zeugte von der eingetretenen Veränderung. Alles übrige war beim alten geblieben.

      Gegen Ende des Winters wurde ein Gardekavallerieregiment in dem Städtchen einquartiert. Allmorgendlich ritt die Truppe schwadronweise zum Bahnhof, um die von der Südfront geflüchteten Deserteure abzufangen.

      Die Gardekavalleristen waren alle große, baumstarke Kerle mit satten Gesichtern. Die Offiziere, zumeist Grafen und Fürsten, hatten goldene Epauletten, silberne Biesen an den Reithosen, alles genauso, wie es unter dem Zaren gewesen war - als hätte es nie eine Revolution gegeben.

      So verging das Jahr neunzehnhundertsiebzehn.

      Für Pawel, Klimka und Serjosha Brusshak hatte sich nichts geändert. Ihre Herren waren die gleichen geblieben. Erst im regnerischen Monat November schien irgend etwas Ungewöhnliches vor sich zu gehen. Neue Leute tauchten auf dem Bahnhof auf, zumeist Soldaten aus den Schützengräben; sie trugen den seltsamen Namen »Bolschewiki«.

      Woher dieser hart und gewichtig klingende Name kam, konnte niemand mit Bestimmtheit sagen.

      Den Gardekavalleristen fiel es immer schwerer, den Strom der Deserteure zu stoppen. Immer häufiger zersplitterten die Scheiben der Bahnhofsfenster bei den Schießereien. Viele Gruppen rückten von der Front aus und setzten sich, wenn man sie anhalten wollte, mit Bajonetten zur Wehr. Anfang Dezember strömten schon ganze Truppenverbände zurück.

      Die Gardekavalleristen riegelten den Bahnhof ab. Sie glaubten auf diese Weise die Deserteure aufhalten zu können, aber das Maschinengewehrgeknatter belehrte sie bald eines anderen. Es waren mit dem Tod vertraute Menschen, die aus den Eisenbahnwagen herausstürzten.

      Die grauen Frontsoldaten jagten die Kavalleristen in die Stadt hinein, vertrieben sie und kehrten zum Bahnhof zurück; und wieder passierten Truppentransporte das Städtchen.

      An einem Frühlingstag des Jahres neunzehnhundertachtzehn verließen die drei Freunde Serjosha Brusshaks Wohnung, in der sie Sechsundsechzig gespielt hatten. Unterwegs machten sie beim Gärtchen der Kortschagins halt und legten sich dort ins Gras. Sie langweilten sich redlich, hatten zu keiner ihrer üblichen Beschäftigungen Lust und dachten darüber nach, wie sie den Tag am besten verbringen könnten. Plötzlich hörten sie hinter sich Pferdegetrappel. Ein Reiter kam angesprengt. Mit einem Sprung setzte das Pferd über den Graben, der die Chaussee von dem niedrigen Gartenzaun trennte. Der Reiter winkte den im Gras Liegenden mit der Peitsche.

      »Heda, Jungs, kommt mal her!«

      Die drei sprangen auf und rannten zum Zaun. Der Reiter war völlig in Staub gehüllt; die in den Nacken geschobene Mütze, die graue Hose und die Feldbluse waren mit einer dicken Schicht grauen Straßenstaubs bedeckt. Am Koppel baumelten ein Revolver und zwei deutsche Handgranaten.

      »Bringt mir Wasser zum Trinken, Jungs!« bat er, und während Pawel ins Haus lief, um Wasser zu holen, wandte sich der Reiter Serjosha zu, der ihn unverwandt anstarrte:

      »Sag mal, Junge, wer ist jetzt bei euch in der Stadt an der Macht?«

      Hastig teilte Serjosha dem Fremden alle Neuigkeiten mit.

      »Seit zwei Wochen ist bei uns niemand an der Macht. Hier herrscht der Selbstschutz. Alle Einwohner halten nachts der Reihe nach Wache. - Aber was sind Sie denn für einer?« fragte er nun seinerseits.

      »Merk dir, wer zuviel weiß, wird bald alt«, erwiderte der Reiter mit einem Lächeln.

      Pawel kam mit einem Krug Wasser aus dem Haus gelaufen.

      Gierig trank der Reiter das Wasser in einem Zug bis auf den letzten Tropfen aus, gab Pawel den Krug zurück, zog die Zügel an und sprengte im Galopp zu dem nahen Tannenwäldchen.

      »Wer war das?« wandte sich Pawel verständnislos an Klimka.

      »Woher soll ich denn das wissen?« erwiderte dieser achselzuckend.

      »Wahrscheinlich wird wieder eine andere Macht kommen. Deshalb haben sich auch gestern Leszczynskis verduftet, und wenn die Reichen ausrücken, so bedeutet das: die Partisanen kommen«, entschied Serjosha mit Bestimmtheit diese höchst politische Frage.

      Seine Schlussfolgerungen waren so einleuchtend, dass Pawel und Klimka sofort zustimmten.

      Noch hatten sich die drei Jungen über das eben Geschehene nicht richtig aussprechen können, als auf der Chaussee abermals Pferdegetrappel zu hören war. Alle drei rannten zum Gartenzaun.

      Vom Wald her, von dort, wo kaum sichtbar das Försterhaus lag, kamen Menschen und Fuhrwerke, und bereits ganz nahe sprengten auf der Chaussee ungefähr fünfzehn Berittene heran, die Gewehre quer über dem Sattel. Zwei ritten voran: der eine ein älterer Mann in feldgrauem Rock mit Offizierskoppel und einem Feldstecher auf der Brust; neben ihm der Reiter, mit dem die Jungen soeben gesprochen hatten. Am Rock des Älteren leuchtete ein rotes Band.

      »Was hab ich gesagt!« rief Serjosha und puffte Pawel mit dem Ellbogen in die Seite.

      »Siehst du, ein rotes Band. Partisanen! Ich will mich totschlagen lassen, wenn das nicht Partisanen sind …« Er jauchzte vor Freude auf und schwang sich über den Zaun auf die Straße.

      Die beiden Freunde folgten seinem Beispiel. Alle drei standen jetzt am Rande der Chaussee und blickten auf die Näher kommenden.

      Die Männer ritten dicht heran. Der Reiter, mit dem die Jungen schon bekannt geworden waren, nickte ihnen zu und wies mit der Peitsche auf das Haus der Leszczynskis.

      »Wer wohnt dort?«

      Pawel, bemüht, mit dem Pferd des Reiters Schritt zu halten, erzählte:

      »Das ist das Haus vom Rechtsanwalt Leszczynski. Gestern ist er ausgerückt. Hat wahrscheinlich Angst vor euch gekriegt…«

      »Woher weißt du denn, wer wir sind?« erkundigte sich der andere Reiter lächelnd.

      Pawka zeigte auf das rote Band und erwiderte: »Und was ist das da? Man sieht's doch gleich …«

      Die Einwohner strömten auf die Straße und bestaunten neugierig die in die Stadt einrückende Abteilung. Unsere drei Freunde standen an der Chaussee und wandten kein Auge von den vorüberziehenden müden, staubbedeckten Rotgardisten. Als das einzige Geschütz der Abteilung und die Karren mit den

      Maschinengewehren über das Pflaster geholpert waren, gingen die Jungen den Partisanen nach und kehrten erst nach Hause zurück, als die Truppe im Zentrum der Stadt Halt gemacht hatte und in den Wohnungen Quartier bezog.

      In dem geräumigen Esszimmer des Leszczynskischen Hauses, in dem sich der Stab einquartiert hatte, saßen am Abend vier Männer an einem großen Tisch mit gedrechselten Beinen; es waren der Abteilungskommandeur, Genosse Bulgakow, ein älterer Mann mit graumeliertem Haar, und drei Stabsmitglieder.

      Bulgakow hatte die Karte des Gouvernements auf dem Tisch ausgebreitet, fuhr mit dem Finger über sie hinweg, indem er wichtige Linien mit dem Nagel nachzog, und sprach auf einen Mann mit hervorstehenden Backenknochen und kräftigen Zähnen ein, der ihm gegenübersaß.

      »Du meinst also, Genösse Jermatschenko, dass wir hier den Kampf aufnehmen sollen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass wir morgen früh von hier abrücken müssen. Besser wäre sogar, es noch in der Nacht zu tun, aber die Leute sind müde. Wir haben die Aufgabe, schnellstens Kasatin

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