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Russische Kindheit bis 1917. Arkadi Petrowitsch Gaidar
Читать онлайн.Название Russische Kindheit bis 1917
Год выпуска 0
isbn 9783754937839
Автор произведения Arkadi Petrowitsch Gaidar
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
“Mammi haben sie ins Krankenhaus gerufen. Sie hat mir gesagt, ich soll dich zur Großmutter bringen.” Mein Schwesterchen lachte und drohte schelmisch mit dem Finger. “Das ist ja gar nicht wahr, Borka! Großmutter hat doch erst gestern gesagt, ich soll kommen, aber Mammi hat es nicht gewollt.” “Ja, gestern, aber jetzt hat sie es sich anders überlegt. Zieh dich schnell an… Sieh mal, wie schön es heute ist. Da nimmt dich Großmutter bestimmt mit in den Wald.” Schließlich glaubte sie, dass es kein Scherz war, und richtete sich rasch auf. Während ich ihr beim Anziehen half, plauderte sie unentwegt: “Hat es sich Mammi doch anders überlegt? Das ist aber fein. Und unsere Katze, die Lissi, die nehmen wir auch mit, ja, Borka?… Wenn du die nicht willst, dann aber den Purzel. Der macht noch mehr Spaß… Gestern hat er mich im Gesicht geleckt, aber Mammi hat geschimpft. Sie hat das nicht gern, wenn man sie im Gesicht leckt. Einmal, da lag sie im Garten, und da hat sie der Purzel geleckt, und da hat er was mit dem Stock gekriegt.” Sie sprang aus dem Bett und lief zur Tür. “Borka, mach doch mal auf. Mein Tuch, das liegt da noch in der Ecke, da ist auch mein Wagen.” Ich zog sie von der Tür fort und setzte sie wieder aufs Bett. “Da darfst du jetzt nicht rein, Tanjuschka, da schläft ein fremder Onkel, der ist gestern gekommen.” “Was für‘n Onkel?” fragte sie. “Der vom letzten Mal?” “Ja, ja, der vom letzten Mal.” Der Weg nach Iwanowskoje führte an der Tescha entlang. Mein Schwesterchen lief voraus. Alle Augenblicke blieb sie stehen, hob ein Stöckchen auf, schaute den Gänsen zu, die im Wasser plantschten, oder hatte sonst irgendwas. Ich ging langsam hinterher. Die Frische des Morgens, die gelbgrüne Weite der herbstlichen Felder, das eintönige Glockengebimmel der weidenden Herde – das alles machte mich wieder ruhig. Ein Gedanke, der sich mir aufgedrängt und mich die ganze Nacht gequält hatte, er nahm jetzt Gestalt an; ich versuchte schon nicht mehr, ihn loszuwerden. Immer wieder musste ich an den Klumpen Erde denken, der auf das Fensterbrett geflogen war. Natürlich war es nicht der Wind gewesen. Wie hätte auch der Wind einen solchen Brocken, mit Wurzeln drin, aus dem Boden reißen können? Das hatte Vater getan, er wollte sich bemerkbar machen. Bei Sturm und Regen hatte er sich im Garten versteckt, hatte gewartet, dass Fedka nach Hause ging. Tanjuschka sollte ihn nicht sehen. Sie war noch zu klein und hätte sich verplappern können. Wenn aber ein Soldat auf Urlaub kam, brauchte er sich vor niemandem zu verstecken… Ich zweifelte nicht mehr daran, mein Vater war ein Deserteur.
*
Auf dem Rückweg lief ich ausgerechnet unserem Schulinspektor in den Weg. “Gorikow”, sagte er streng, “was soll das heißen…? Warum sind Sie während des Unterrichts nicht in der Schule?” “Ich bin krank”, erwiderte ich gedankenlos und ahnte nicht, wie dumm meine Antwort war. “Krank?” fragte er weiter. “Was reden Sie da für Unsinn? Wer krank ist, liegt zu Hause im Bett und marschiert nicht auf der Straße herum.” “Ich bin aber doch krank”, wiederholte ich hartnäckig, “ich habe Temperatur…” “Temperatur hat jeder Mensch”, entgegnete er aufgebracht. “Reden Sie keinen Unsinn, und marsch in die Schule!” Das hat mir noch gefehlt! Dachte ich und schritt hinter ihm her. – Warum habe ich nur gesagt, ich wäre krank? Hätte mir denn nichts Besseres einfallen können, etwas, was der Wahrheit näher gewesen wäre? Unser Schularzt, ein altes Männchen, brauchte gar nicht erst meine Temperatur zu messen – er legte mir bloß die Hand auf die Stirn und stellte gleich laut und vernehmlich die Diagnose: “Hat einen starken Anfall von Faulfieber. Anstelle von Medizin empfehle ich eine Fünf in Betragen und zwei Stunden Nachsitzen, ohne Mittagessen.” Mit der Miene eines erfahrenen Apothekers billigte der Inspektor dieses Rezept. Er rief Semjon, den Schuldiener, und befahl, mich in meine Klasse zu bringen. “Wie kann man nur seine Bücher und Hefte vergessen?” entrüstete sich die Deutschlehrer, Elsa Franziskowna entlud ihren ganzen Zorn in einem ellenlangen deutschen Satz, von dem ich gerade noch so viel verstehen konnte, dass Faulheit und Lügen bestraft werden müssen. Aber eines war mir völlig klar: dass ich um die dritte Stunde Nachsitzen nicht herumkam. In der Pause fragte mich Fedka: “Warum kommst du denn ohne Bücher, und warum hat dich der Semjon in die Klasse gebracht?” Ich log ihm irgendetwas vor. In der nächsten und letzten Stunde, in Geographie, war ich wie im Halbschlaf. Was der Lehrer sagte, was die Schüler antworteten – alles ging an meinem Bewusstsein vorüber. Ich kam erst wieder zu mir, als es klingelte. Unser Klassenältester hatte das Gebet gesprochen. Die Schüler klapperten mit den Bankdeckeln und rannten einer nach dem anderen zur Tür hinaus. Dann war die Klasse leer und ich allein. Mein Gott, dachte ich wehmütig, noch drei Stunden, geschlagene drei Stunden, und zu Hause sitzt jetzt mein Vater. Wie seltsam das alles ist! Ich ging nach unten. Neben dem Lehrerzimmer stand eine lange, schmale Bank, ganz von Taschenmessern zerschnitten. Dort saßen schon drei. Einer war aus der ersten Klasse. Er musste eine Stunde nachsitzen, weil er einen Kameraden mit Kügelchen aus zerkautem Papier beworfen hatte. Ein anderer saß da, weil er sich geprügelt, und ein dritter, weil er versucht hatte, vom dritten Stock aus einem anderen Schüler, der unten vorbeiging, auf den Kopf zu spucken. Ich setzte mich auf die Bank und dachte nach. Der Schuldiener Semjon ging vorüber. Laut klirrte sein Schlüsselbund. Der Aufsicht habende Lehrer ging hinaus. Von Zeit zu Zeit hatte er nach uns geschaut und verschwand nun mit einem trägen Gähnen. Vorsichtig stand ich auf und sah durch die Tür