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überein; von Salaberry war mißvergnügt. Der Schauspieler Picard, Mitglied der Akademie, die den Schauspieler Moliere nicht aufgenommen hatte, ließ »die beiden Philibert« im Odeon aufführen, an dessen Giebel man noch die Aufschrift ›Theater der Kaiserin‹ erkennen konnte. Man ergriff für oder gegen Cugnet de Montarlot Partei. Fabvier opponierte; Bavoux war Revolutionär. Pélicier gab Voltaires Werke heraus und setzte zu Voltaires Namen »Mitglied der Akademie« hinzu. »Das zieht Käufer an«, meinte der naive Schlaukopf. Allgemein war die Ansicht, Charles Loyson sei das größte Genie des Jahrhunderts; schon bekrittelte ihn der Neid, der alle großen Geister verfolgt. Der Kardinal Fesch weigerte sich abzudanken; de Pins, Erzbischof von Amasie, verwaltete die Diöcese Lyon. Der Streit um das Thal des Dappes zwischen der Schweiz und Frankreich begann mit einer Denkschrift des Hauptmanns Dufour. Saint-Simon, damals noch unbekannt, arbeitete an dem Aufbau seines großartigen Systems. In der Akademie der Wissenschaften gab es einen berühmten Fourier, den die Nachwelt vergessen hat, und in einer Bodenkammer wohnte ein unbekannter Fourier, dessen die Zukunft sich erinnern wird. Byrons Gestirn begann zu strahlen; in Frankreich machte eine Anmerkung zu einem Gedicht von Millevoye auf ihn aufmerksam mit den Worten: »ein gewisser Lord Baron.« David aus Angers versuchte sich in der Bildhauerkunst. Der Abt Caron erwähnte lobend im Seminar, in der Sackgasse des Feuillantines, einen unbekannten Priester Namens Felicite Robert, der später Lamennais genannt worden ist. Auf der Seine fuhr, an den Tuilerien vorbei, vom Pont Royal bis zum Pont Louis XV. ein Ding, das rauchte und im Wasser wie ein schwimmender Hund patschte, eine Maschine, mit der nicht viel los war, eine Art Spielzeug, das ein Träumer, ein Utopist erfunden hatte, ein Dampfboot. Die Pariser betrachteten das unnütze Ding mit Gleichgiltigkeit. De Vaublanc, der Reformator der Akademie, Schöpfer mehrerer Akademiker, konnte mit allen seinen Ukasen es nicht zu Wege bringen, daß er selber in das Institut aufgenommen wurde. Das Faubourg Saint-Germain und der Pavillon Marsan wünschte Delaveau als Polizeipräfekten, wegen seiner Frömmigkeit. Dupuytren und Récamier kabbelten sich in der Ecole de Medicine und bedrohten einander mit der Faust, um die Frage nach der Göttlichkeit Christi zur Entscheidung zu bringen. Cuvier schielte mit einem Auge nach dem ersten Buch Mose, mit dem andern nach der Natur und bemühte sich der kirchlichen Reaktion zu gefallen, indem er die Uebereinstimmung der Fossilien mit dem Text der Bibel nachwies und Moses von den Mastodonten liebkosen ließ. Francis de Neufchateau verlangte, die Kartoffeln sollten ihrem ersten Anbauer Pannentier zu Ehren Pannentieren genannt werden, hatte aber keinen Erfolg mit seinem Vorschlage. Der Abt Gregoire, ehemals Bischof. Mitglied des Convents und Senator, wurde in der realistischen Polemik der »schändliche Gregoire« tituliert. An dem Pont d'Jéna konnte man noch an seiner helleren Farbe den neuen Stein erkennen, mit dem man das, von Blücher gebohrte, Sprengloch zugestopft hatte. Ein Mann wurde vor Gericht gefordert, weil er beim Eintritt des Grafen von Artois in die Kirche Notre-Dame laut gesagt hatte: Hol's der Teufel! Da lobe ich mir die Zeit, wo ich Bonaparte und Talma Arm in Arm in den Bal-Sauvage gehen sah. Natürlich sechs Monat Gefängniß für die aufrührerische Rede. Verräther, die vor einer Schlacht zum Feinde übergegangen waren, brüsteten sich frech mit den Orden, mit den Würden, Aemtern, Reichthümern, die sie zum Lohn für ihre Nichtswürdigkeit empfangen hatten.

      Dies sind die hervorragendsten Thatsachen des Jahres 1817. Die Geschichte bekümmert sich um dergleichen nicht und kann es auch nicht, weil sie sich durch ihre unendliche Menge nicht hindurchzuarbeiten vermag. Aber diese Einzelheiten, die man mit Unrecht Kleinigkeiten nennt, – nichts Menschliches ist klein, so wenig, wie es kleine Blätter an den Bäumen giebt, – diese Einzelheiten haben ihren Werth. Besteht doch aus der Physiognomie seiner Jahre das Antlitz eines Jahrhunderts.

      In dem Jahre 1817 leisteten sich vier junge Pariser »einen famosen Witz«.

      II. Ein Doppelquartett

      Von diesen Parisern war der eine aus Toulouse, der andere aus Limoges, der dritte aus Cahors und der vierte aus Montauban; aber sie waren Studenten, und wer in Paris studiert, wird zum echten Pariser.

      Die Vier waren unbedeutende junge Menschen, Gesichter, wie sie Jedermann zu sehen bekommt, weder gut, noch schlecht; weder gelehrt, noch unwissend, weder Genies, noch Schafsköpfe; hübsch, denn sie erfreuten sich jenes Lenzes, den man die Jugend nennt. Vier Oskare, denn zu jener Zeit war der Vorname Arthur noch nicht Mode. Man schwärmte für Ossian, für die skandinavischen und kaledonischen Namen, die englischen gelangten erst später zur Herrschaft und der erste aller Arthurs, Wellington, hatte die Schlacht bei Waterloo erst vor Kurzem gewonnen.

      Diese Oskare hießen Felix Tholomyès, Listolier, Fameuil und Blachevelle. Selbstredend hatte Jeder eine Geliebte. Blachevelle liebte eine Favourite, so genannt, weil sie in England gewesen war, Listolier verehrte Dahlia, Fameuil vergötterte Sephine, Abkürzung von Josephine, und Tholomyès betete Fantine, die Blonde, an.

      Favourite, Dahlia, Sephine und Fantine waren vier reizende, frische, lebenslustige Mädchen, Arbeiterinnen, die ihre Nähnadel noch nicht weggeworfen hatten, die durch die Liebe wohl vom rechten Wege abgelenkt waren, aber auf dem Gesicht und im Herzen noch nicht den Stempel des Lasters trugen. Eine von den Vieren, die Jüngste, wurde die Junge genannt, eine andere die Alte: diese war dreiundzwanzig Jahr alt. Um nichts zu verschweigen, so waren drei von ihnen erfahrener, sorgloser, leichtsinniger, als Fantine, die Blonde, die sich noch mit ihrer ersten Illusion trug. Dahlia, Sephine und besonders Favourite dagegen, waren in ihrem Lebensroman weiter vorgeschritten; der Liebhaber, der im ersten Kapitel Adolf hieß, war im zweiten ein Alfons und im dritten ein Gustav. Armuth und Eitelkeit sind verderbliche Rathgeber; der eine schilt, der andere schmeichelt, und die hübschen Mädchen aus dem Volke leihen Jedem gern ein Ohr. Daher die Fehltritte, die sie begehen, und die Steine, mit denen man nach ihnen wirft. Man verweist sie auf die Herrlichkeit der unzugänglichen Tugend und Unschuld. Du lieber Himmel! Wer weiß, ob die Jungfrau in der Schweiz nicht weniger unnahbar wäre, wenn sie Hunger hätte?!

      Favourite, die England gesehen, wurde deshalb von Sephine und Dahlia bewundert. Sie hatte früh eine eigene Wohnung gehabt. Ihr Vater war ein alter unverheiratheter Mathematiklehrer, der noch Privatstunden gab. Dieser Lehrer hatte in seiner Jugend eines Tages zugesehen, wie das Kleid einer Kammerjungfer an einem Kaminvorsetzer hängen blieb, und dieser Vorfall hatte in ihm Gefühle der Liebe geweckt, deren Ergebniß Favourite war. Sie begegnete hin und wieder ihrem Vater und sie sagten sich guten Tag. Eines Morgens war eine alte Frau zu ihr gekommen und hatte gefragt: »Fräulein, Sie kennen mich wohl nicht, Fräulein?« »Nein!« »Ich bin Deine Mutter.« Darauf war die Alte über den Speiseschrank hergefallen, hatte gegessen und getrunken, eine Matratze kommen lassen und sich bei ihr einlogiert. Diese griesgrämige und bigotte Alte redete nie ein gemüthliches Wort mit Favourite, aß für Vier und beklatschte beim Portier ihre eigene Tochter.

      Was Dahlia in Listoliers Arme und in die Arme des Müßiggangs geführt hatte, war der Umstand, daß sie allerliebste rosa Nägel hatte, die durch zu viel Arbeit entstellt worden wären. Wenn man tugendhaft bleiben will, darf man mit seinen Händen kein Erbarmen haben. Sephine hatte es Fameuil angethan mit dem schelmischen Ausdruck, den sie in die Worte: »Ja, mein Herr!« zu legen wußte.

      Die jungen Männer waren Kameraden, die jungen Mädchen Freundinnen. Dergleichen Liebe paart sich immer mit solcher Freundschaft.

      Tugend und Philosophie sind zwei verschiedene Dinge, denn Favourite, Sephine und Dahlia waren Philosophinnen, aber Fantine tugendlich.

      Tugendhaft, wenn sie ihren Tholomyès hatte? Salomo würde sagen, daß die Liebe ein Bestandtheil der Tugend ist. Wir beschränken uns auf die Bemerkung, daß Fantinens Liebe ihre erste, einzige und eine treue Liebe war.

      Sie war die Einzige von den Vieren, die nur von Einem geduzt wurde.

      Fantine gehörte zu den Wesen, die so zu sagen aus den untersten Schichten der Gesellschaft hervorwachsen. Sie trug den Stempel der Anonymität und des Unbekannten an der Stirne. In Montreuil-sur-Mer geboren, hatte sie nie Vater und Mutter gekannt. Sie nannte sich Fantine. Warum Fantine? Einen andern Namen hatte sie nie gehabt. Damals regierte noch das Direktorium. Kein Familienname, denn sie hatte keine Familie; kein Taufname, denn getauft wurde damals nicht. Sie bekam den Namen, den ihr der erste Beste beizulegen beliebte, als sie sich barfüßig auf der Straße herumtrieb. Ein Name fiel auf sie, wie die Regentropfen auf ihren Kopf. Sie hieß die

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