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das Volk von Paris hat aber dieses Wunder fertig gebracht. Uebrigens hatten auch die Republiken des Alterthums eine höhere Meinung von der Katze, als der Präfekt Anglès; sie war bei ihnen das Sinnbild der Freiheit und die Korinther ließen, gleichsam der ungeflügelten Minerva des Piraceus zum Trotze, auf ihrem Versammlungsplatze die kolossale broncene Statue einer Katze errichten. Von dem Pariser Volke hatte auch die naive Polizei der Restauration eine »zu vortheilhafte« Meinung. So gut, wie man gewöhnlich annimmt, ist diese Kanaille keineswegs. Der Pariser ist unter den Franzosen, was einst der Athener unter den andern Griechen war. Keiner kann träger und leichtsinniger sein. Keiner vergißt so leicht wie er; aber man lasse sich dadurch nicht täuschen; winkt ihm der Ruhm, so ist er der wildesten Energie fähig. Man gebe ihm eine Pieke, so stürmt er die Tuilerieen und stürzt das Königthum; ein Gewehr, so gewinnt er ruhmreiche Schlachten. Ein Napoleon sowohl, wie ein Danton verließen sich auf ihn. Ruft ihn das Vaterland, so wird er Soldat; ist die Freiheit bedroht, so baut er Barrikaden. Man sehe sich vor. Sein Zorn kann Stoff zu Epopöen liefern, sein Kittel sich in eine Chlamys verwandeln. Nehmt Euch in Acht. Aus der ersten besten Straße macht er einen caudinischen Engpaß. Der Vorstädter wird groß, wenn die Stunde schlägt; der Kleine steht auf, sein Blick wird furchtbar, sein Atem wird ein Sturm, der die Alpen umblasen kann. Dem Arbeiter der pariser Vorstädte verdankt es die Revolution, daß sie mittels der Armee Europa erobern kann. Seine Hauptfreude ist Gesang und findet man das Lied, das seiner Natur entspricht, so kann man Wunder sehen. So lange er nur die Carmagnole singt, kann er nur einen Ludwig XVI. stürzen; mit der Marseillaise befreit er die Welt.

      Nach dieser Randbemerkung zu dem Bericht des Polizeipräfekten Anglès wollen wir zu unsern vier Pärchen zurückkehren. Das Diner also ging zu Ende.

      VI. Wie man sich gegenseitig anbetet

      Tisch- und Liebesgespräche sind so wenig greifbar wie Wolkendunst und Rauch.

      Fameuil und Dahlia trällerten; Tholomyés trank; Sephine lachte; Fantine lächelte. Listolier amüsierte sich mit einer hölzernen Trompete, die er sich in Saint-Cloud zugelegt hatte; Favourite sah Blachevelle mit schmachtenden Blicken an und flötete:

      »Blachevelle, ich bete dich an!«

      Dies veranlagte Blachevelle zu der Frage:

      Was würdest Du thun, Favourite, wenn ich aufhören würde dich zu lieben?«

      »Was ich thun würde? Sage mir so etwas nicht einmal zum Spaß. Wenn Du aufhörtest mich zu lieben, würde ich dir nachstürzen, dich hauen, dich kratzen, dich mit Wasser begießen, dich arretieren lassen.«

      Inniges geckenhaftes Vergnügen malte sich auf Blachevelles Antlitz ab. Favourite fuhr eifrig fort:

      »Wirklich, auf die Wache ließe ich dich bringen! Das versichere ich dich, du infame Kanaille!«

      Außer sich vor Wonne lehnte sich Blachevelle in seinem Stuhl zurück und schloß stolz die Augen.

      Aber als Dahlia im allgemeinen Lärm Favourite die Frage zuflüsterte: »Bist Du wirklich so verschossen in deinen Blachevelle?« antwortete Fauvourite:

      »Ich kann ihn nicht besehen. Er ist ein knickerig. Ich liebe einen kleinen, netten Menschen, der mir gegenüberwohnt Du kennst ihn wohl? Er beißt den Schauspieler heraus, und ich schwärme für die Schauspieler. Sobald er den Fuß ins Haus setzt, schreit seine Mutter »Ach Du mein Gott, nun ist's mit meiner Ruhe vorbei!« Jetzt wird er gleich wieder losbrüllen. Lieber Sohn, du sprengst mir noch mal den Kopf mit deinem Geschrei! Er geht nämlich stets auf den Boden, und so hoch hinauf, wie er irgend kann, und singt und deklamiert, daß man ihn unten hört. Und zwanzig Sous verdient er schon den Tag bei einem Rechtsanwalt, dessen Schikanen er abschreibt. Er ist der Sohn eines Kantors von der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas. Ein netter Mensch, kann ich dir sagen. Ich hab's ihm so stark angethan, daß er einmal, als ich Kuchenteig knetete, zu mir gesagt hat: »Fräulein, machen Sie aus Ihren Handschuhen da – damit meinte er den Teig, der an meinen Fingern klebte, – machen Sie Strudel aus Ihren Handschuhen, dann esse ich Ihre Handschuhe.« So was Feines und Galantes kann bloß ein Künstler sagen. Solch ein netter Mensch! Ich bin auf dem besten Wege mich in den Kleinen zu vernarren. Aber zu Blachevelle sage ich doch, daß ich ihn anbete. Nicht wahr? Ich verstehe mich aufs Lügen?«

      Hier hielt Favourite inne, seufzte und fuhr fort:

      »Dahlia, mir ist trübselig zu Muthe. Den ganzen Sommer ist es in einem Regen geblieben, und windig, und ich kann den ewigen Wind nicht ausstehen. Ganz krank werde ich davon. Blachevelle ist ein Filz. Kaum, daß Schoten auf dem Markt zu haben sind. Man weiß nicht, was man essen soll. Ich habe den Spleen, wie die Engländer sagen. Und die Butter ist theuer! Und das Allerschlimmste ist, wir essen in einem Zimmer, wo ein Bett steht. Das verekelt mir das Leben.

      VII. Die Weisheit des Tholomyès

      Währenddem sangen die Einen, Andre sprachen überlaut und Alle durcheinander, was einen wüsten Lärm ergab. Da gebot Tholomyès Ruhe.

      »Reden wir nicht aufs Gerathewohl, und überstürzen wir uns nicht. Wer seine Zuhörer entzücken will, der überlege, was er spricht. Wer aus dem Stegreif redet, wird leicht öde. Also nicht zu hastig, meine Herren. Schlampampen wir mit Würde; würzen wir unsere Fresserei mit Andacht. Eile mit Weile. Seht Euch den Frühling an: Kommt er zu hitzig herbeigerannt, so bringt er zu viel Kälte mit, und wir erfrieren. Blinder Eifer thut der Gemächlichkeit Eintrag. Also keinen Eifer, meine Herren!«

      Ein dumpfes Gemurmel unterbrach den Redner.

      »Tholomyès, laß uns zufrieden!« rief Blachevelle.

      »Nieder mit dem Tyrannen!« donnerte Fameuil.

      »Der Ulk ist zollfrei!« mahnte Listolier.

      »Siehe, wie gesetzt ich bin!« prahlte Fameuil.

      »Auf einem magern Sitzorgan«, spottete Tholomyès. Alles lachte über den armen Fameuil, und Tholomyès ergriff wieder die Zügel der Herrschaft.

      »Freunde, beruhigte er großmüthig, laßt Euch durch meinen Schlager nicht niederschlagen. Mein Kalauer war ein Geschenk des Himmels, und nicht alles, was vom Himmel fällt ist schön. So ist z. B. der Mist, den die Vögel gratis auf uns niederfallen lassen, fast ebenso ungenießbar, wie der Mist, den unsere Professoren reden und den wir mit schwerem Mammon bezahlen. Ich erlaube euch also Euer Verwundrungsmaul nicht zu weit aufzusperren, wenn mein Genie im Fluge sich eines Kalauers entledigt. Freilich würde ich mir andrerseits auch verbitten, daß ihr den Kalauer unterschätzt. Die erhabensten Erdensöhne und die allerniedlichsten Erdentöchter haben Wortspiele verübt. Gekalauert hat Christus über Petrus, Mooses über Isaak, Aeschylus über Polynices, Kleopatra über Oktavian. Ist dieses richtig demonstrirt und konstatiert, so kehre ich zu meiner Vermahnung zurück. Ich wiederhole es geliebte Brüder und geliebtere Schwestern: Kein Eifer, kein Sammelsurium, keine Ueberpurzelung mit Witzen, Wortspielen und anderen Ulken. Thuet Eure Ohren auf, nicht sehr weit auf, denn solches thun nur die Esel, nein! nur so weit, daß Ihr meine Rede vernehmen könnet. Denn ich gleiche dem Seher Amphiaraus an Weisheit und daß mein Kopf hell ist wie Caesars, könnt Ihr schon daraus erschließen, daß er ebenso kahl ist, wie seiner war. Ein jedes Ding hat seine Grenze, selbst ein Rebus oder auf lateinisch: Est modus in rebus. Folglich habe auch ein Diner seine Grenze. Die Vielfresserei bestraft den Vielfresser, indem sie ihm den Magen verdirbt. Und merkt Euch: Alle unsere Triebe und Leidenschaften, selbst die Liebe, haben einen Magen, der nicht überfüllt werden darf. Immer und überall muß man bei Zeiten Finis! sagen, seinen Appetit beim Schlafittchen kriegen, seine Gelüste und Begierden dingfest machen. Glaubet meinen Worten, habet Vertrauen zu meinem Gripps. Daraus, daß ich Examina bestanden, daß ich den Unterschied zwischen einem anhängigen und einem noch zu erhebenden Prozesse kenne, daß ich eine These auf lateinisch vertheidigt habe über die intelligente Applizierung der Folter durch den Quästor Alfantius Dummerianus, daraus folgt noch nicht unwiderleglich, daß ich ein Rindvieh bin. Befleißet Euch also der Mäßigkeit. So wahr ich Felix Tholomyès heiße, ich rede gut. Wohl dem, der sobald die Stunde geschlagen hat, einen heldenmütigen Entschluß faßt und wie Sulla oder der Origenes abdankt.«

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