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verstand, erpaßte er auch richtig den Augenblick, wo es zu reden galt. Und welch ein Trostspender war er! Nicht dadurch suchte er den Schmerz zu verdrängen, daß er verlangte, man solle ihn der Vergessenheit anheimgeben; nein, er bestrebte sich ihn zu vertiefen und zu läutern, indem er zu hoffen lehrte. Er sprach: Achtet wohl darauf, wie ihr nach den Todten hinseht. Denket nicht an das, was verweslich ist. Blicket fest hin, so werdet Ihr den lebendigen Glanz Dessen, den Ihr beweint, droben schauen. Er kannte die Heilkraft des Glaubens, beruhigte die Verzweifelten, indem er sie auf die Geduld und die Ergebung in das Unabwendbare verwies, und lehrte den Schmerz, der auf ein Grab blickt, zu dem Himmel emporschauen.

      V. Der Bischof Bienvenu trägt seine Sutanen zu lange

      Myriels häusliches Leben bewegte sich innerhalb derselben Gedankenwelt wie seine Amtsthätigkeit. Die freiwillige Armuth, in welcher der Herr Bischof von Digne beharrte, wäre wohl für Jeden, der ihn hätte beobachten können, ein würdevolles und anmuthendes Schauspiel gewesen.

      Wie alle alten Leute und wie die meisten Denker schlief er nur wenig. Dafür aber ziemlich fest. Des Morgens gab er sich eine Stunde religiösen Betrachtungen hin, dann las er die Messe entweder im Dom oder in seinem Hause. Nach der Messe nahm er sein Frühstück ein, das aus Roggenbrod und Milch bestand. Dann arbeitete er.

      Ein Bischof ist ein sehr beschäftigter Mann. Er muß täglich den Bisthumssekretär und beinahe täglich seine Großvikare empfangen. Er hat Kongregationen zu kontrolliren, Privilegien zu ertheilen, alle neuen Erscheinungen auf dem Gebiete der geistlichen Litteratur zu prüfen, wie Meß- und Gebetsbücher, Katechismen u.s.w., Erlasse zu schreiben, Predigten zu autorisiren, Einigkeit zu stiften zwischen Pfarrern und Dorfschulzen, mit Geistlichen und mit den staatlichen Behörden zu korrespondiren. Kurz tausenderlei Geschäfte.

      Die Zeit, die ihm diese vielen Geschäfte, seine Amtsverrichtungen und sein Brevier übrig ließen, widmete er in erster Linie den Armen, den Kranken und Unglücklichen; die Zeit, die ihm dann noch blieb, widmete er der Arbeit. Bald grub er dann in seinem Garten, bald las und schrieb er. Beide Arten von Arbeit schienen ihm gleichwertig, denn der Verstand, so lautete sein Wahrspruch, bedarf ebenso sehr der Pflege und Bearbeitung wie ein Garten.

      Gegen Mittag, wenn schön Wetter war, ging er aus, aufs Land oder in die Stadt, und trat dabei oft in ärmliche Häuser ein. Die Leute sahen ihm dann gern nach, wie er allein vor sich hin ging, in tiefes Nachdenken versunken, auf seinen langen Stock gestützt, in seinem dick wattirten Rock, violetten Strümpfen, groben Schuhen und mit seinem flachen Hute, von dessen drei Ecken drei goldne Quasten herabhingen.

      Sein Erscheinen wurde überall freudig begrüßt, als bringe er sozusagen, Licht und Wärme mit. Die Kinder und die Greise kamen auf die Thürschwelle, wie sie zu thun pflegten, wenn sie sich des Sonnenscheins erfreuen wollten. Er ertheilte seinen Segen, und sie wünschten ihm Glück und Segen. Jedem, der etwas bedurfte, zeigte man sein Haus.

      Hier und du blieb er stehen, sprach mit den Kindern und lächelte ihren Müttern zu. So lange er Geld hatte, besuchte er die Armen; hatte er keins mehr, so ging er zu den Reichen.

      Da ihm seine Sutanen recht lange vorhalten mußten, und er dies die Leute nicht allzu sehr merken lassen wollte, trug er bei seinen Gängen in der Stadt immer nur seinen dicken wattirten Rock, der ihm im Sommer manchmal recht lästig wurde.

      Zu Hause angelangt, speiste er zu Mittag. Dieses Mahl glich dem Frühstück.

      Um halb neun nahm er mit seiner Schwester die Abendmahlzeit ein, wobei Frau Magloire hinter ihnen stand und sie bediente. Es war ein ausnehmend frugales Mahl. Wenn jedoch der Bischof Einen seiner Pfarrer zu Besuch hatte, benutzte Frau Magloire die gute Gelegenheit, um Se. Bischöfliche Gnaden mit einem vorzüglichen Fisch oder einem delikaten Stück Wild zu regaliren. Jeder Pfarrer war ihr ein willkommner Vorwand ihren Herrn zu einer Abweichung von seiner strengen Diät zu verleiten, denn für gewöhnlich kam nur in Wasser gekochtes Gemüse und Suppe mit Oel auf den Tisch. Deshalb hieß es auch in der Stadt: »Wenn der Bischof nicht mit einem Pfarrer speist, ißt er wie ein Trappist.«

      Nach dem Abendessen plauderte er eine halbe Stunde mit Baptistine und Frau Magloire; dann zog er sich auf sein Zimmer zurück und schrieb wieder, bald auf einzelne Blätter, bald an den Rand eines Folianten. Er war sehr belesen und besaß wissenschaftliche Bildung, Er hat auch fünf bis sechs merkwürdige Manuskripte hinterlassen, u.a. eine Abhandlung über den Vers im 1. Buch Moses: »Im Anfang schwebte der Geist Gottes über den Wassern.« Er verglich mit diesem Text drei Varianten, eine arabische: »Die Winde Gottes wehten;« die des Flavias Josephus: »Ein Wind von oben blies auf die Erde,« und die chaldäische Paraphrase des Onkelos: »Ein Wind kam von Gott und blies auf die Oberfläche der Gewässer.« In einer andern Dissertation prüft er die theologischen Werke des Bischofs Hugo von Ptolemais, Urgroßonkel Dessen, der dieses Buch schreibt, und wies nach, daß dieser Bischof der Verfasser der verschiednen im vorigen Jahrhundert unter dem Pseudonym Barleycourt veröffentlichten Abhandlungen sei.

      Bisweilen schweifte sein Geist, während er irgend ein Buch vor sich hatte, von dem Inhalt desselben ab und überließ sich tiefsinnigen Betrachtungen, von denen er nur abließ um das Resultat seines Nachdenkens in dem Buche selbst niederzuschreiben. Natürlich standen derartige Aufzeichnungen oft in gar keiner Beziehung zu dem Buche, das sie enthielt. So lautet z.B. der Titel eines seiner Quartanten: Korrespondenz des Lord Germains mit den Generälen Clinton, Cornwallis und den Admirälen der Amerikanischen Station. Versailles, Verlag von Poincot, und Paris, Verlag von Pissot, Ouai des Augustins. In diesem Buche haben wir folgende von dem Bischof niedergeschriebne Zeilen gefunden:

      »O Du, der Du bist!«

      »Der Prediger Salomo nennt dich die Allmacht, die Bücher der Makkabäer den Schöpfer, die Epistel an die Epheser die Freiheit, Baruch die Unendlichkeit, die Psalmen Weisheit und Wahrheit, Johannes das Licht, das Buch der Könige Herr, der Exodus die Vorsehung, der Leviticus die Heiligkeit, Esra die Gerechtigkeit, die Schöpfung Gott, der Mensch Vater; Salomo heißt dich den Erbarmer, und dies ist der schönste unter Deinen Namen.« –

      Gegen neun Uhr Abends begaben sich die beiden Frauen in ihre Zimmer im ersten Stock und ließen ihn bis zum andern Morgen im Erdgeschoß allein.

      Hier müssen wir eine genaue Beschreibung der Wohnung unsres Bischofs einschalten.

      VI. Von wem er sein Haus bewachen ließ

      Das Haus, das er bewohnte, bestand, wie schon erwähnt, aus einem Erdgeschoß und einem einzigen Stockwerk. Drei Räume im Erdgeschoß, drei Schlafzimmer im ersten Stock, darüber der Boden. Hinter dem Hause ein fünfundzwanzig Ouadratruthen großer Garten. Die beiden Frauen hatten den ersten Stock inne, unten wohnte der Bischof. Das erste Zimmer, das auf die Straße hinausging, diente als Speisesaal, das zweite als Schlaf- und das dritte als Betzimmer. In dieses Betzimmer konnte man nur gelangen, wenn man durch das Schlafzimmer ging, und dieses war nur durch den Speisesaal hindurch zugänglich. In dem Betzimmer war noch ein Alkoven, wo die von dem Bischof zu Gaste gebetnen Landgeistlichen schliefen.

      Die ehemalige Apotheke des Hospitals, ein an das Haus angebautes und im Garten gelegenes Gebäude, enthielt jetzt die Küche und Vorrathskammer.

      Außerdem befand sich im Garten noch ein Stall, der früher die Küche des Hospitals gewesen war, und in dem der Bischof zwei Kühe hielt. Wieviel Milch diese auch geben mochten, die Hälfte davon schickte er regelmäßig jeden Morgen den Kranken des Hospitals. »Das ist der Zehnt, den ich zahle,« pflegte er zu sagen.

      Sein Schlafzimmer war ziemlich groß und schwer erheizbar. Da das Holz in Digne sehr teuer ist, so war er auf den Gedanken gerathen sich in dem Kuhstall einen Bretterverschlag machen zu lassen. In diesem Raum, den er seinen Wintersalon nannte, brachte er, wenn es sehr kalt war, den Abend zu.

      In diesem Wintersalon, sowie in dem Speisezimmer waren keine andern Möbel, als ein viereckiger Tisch aus weißem Holz und vier Strohstühle. In dem Speisezimmer stand allerdings noch ein altes rosa angestrichnes Büffet. Aus einem eben solchen mit weißen Obertischtüchern und falschen Spitzen behangnen Büffet, hatte der Bischof den Altar gemacht, der in

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