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dort einträchtig, als bildeten sie eine kleine Republik für sich. Richter und Exekutor giebt's dort nicht. Der Schulze besorgt da alles. Er veranlagt die Steuern, schätzt Jeden ein, wie er's vor seinem Gewissen verantworten kann, schlichtet unentgeltlich Streitigkeiten, theilt Erbschaften ohne Honorar zu fordern, fällt Urteilssprüche ohne den Leuten Unkosten zu verursachen, und er findet Gehorsam, weil er ein gerechter Mann ist und unter einfachen Leuten lebt.« In den Dörfern, wo kein Schullehrer war, verwies er wieder auf das Beispiel der Bauern in Queyras: Wißt Ihr, wie die's machen? »Da ein Dorf mit nur zwölf bis fünfzehn Häusern nicht immer die Mittel besitzt einen Magister zu ernähren, so thun sich die Bewohner des ganzen Thales zusammen und halten sich Schulmeister. Die gehen von Dorf zu Dorf und geben hier acht, dort zehn Tage lang Unterricht. Diese Magister finden sich ein, wo Jahrmarkt ist, und ich habe selber welche gesehen. Sie sind an den Schreibfedern, die sie in einer Schnurschleife am Hute tragen, zu erkennen. Die nur Unterricht im Lesen ertheilen, haben eine Feder; die im Lesen und Rechnen unterrichten, zwei; die Lesen, Rechnen und Latein lehren, drei. Diese Letzteren sind große Gelehrte. Aber welche Schande unwissend zu sein! Ahmt den Leuten in Queyras nach.«

      In dieser eindringlichen und väterlichen Ausdrucksweise pflegte er mit den Leuten zu reden. Und die Ermanglung von Beispielen erfand er Gleichnisse, hob deutlich das hervor, worauf es an kam, und brauchte wenig Redensarten, aber desto mehr bildliche Wendungen, wie Jesus Christus, dessen Beredsamkeit zu Herzen ging, weil sie aus dem Herzen kam.

      IV. Uebereinstimmung von Thaten und Worten

      Im Gespräch war er leutselig und heiter. Er paßte sich dem Verständniß der beiden Frauen an, die bei ihm lebten. Lachen konnte er so herzlich wie ein Schulknabe.

      Frau Magloire nannte ihn gern Hoher Herr. Eines Tages nun erhob er sich von seinem Sessel, um ein Buch zu holen, konnte es aber, da es auf einem oberen Regal lag und er zu kleiner Statur war, nicht langen. Da rief er Frau Magloire: »Bringen Sie mir doch einen Stuhl. Die Hoheit des hohen Herrn reicht nicht bis an das Brett da.«

      Eine entfernte Verwandte von ihm, die Gräfin von Lô, ließ es sich selten entgehn, in seiner Gegenwart die »Hoffnungen« ihrer drei Söhne ausführlich aufzuzählen, nämlich all die Glücksgüter und Vortheile, die sie von reichen alten Verwandten binnen voraussichtlich kurzer Zeit erben würden. Der jüngste Sohn erwartete von einer Großtante ein Jahreseinkommen von nicht weniger als hunderttausend Franken; dem zweiten mußte der Herzogstitel seines Oheims zufallen; der Aelteste hatte Anwartschaft auf die Pairie seines Großvaters. Diesen unschuldigen und verzeihlichen Prahlereien der zärtlichen Mutter hörte meistentheils der Bischof mit musterhaftem Stillschweigen zu. Bei einer Gelegenheit indeß hing er seinen eigenen Gedanken nach, während die Gräfin sich in weitschweifigen Erörterungen aller dieser Successionen und »Hoffnungen« erging. Plötzlich brach sie ungeduldig ab und fragte ärgerlich: »Aber, Vetter, woran denken Sie denn?« »An einen sonderbaren Ausspruch, versetzte er, der, wenn ich nicht irre, sich in den Werken des heil. Augustin findet: Setzet Eure Hoffnung auf Den, dem Niemand succedirt.«

      Ein andres Mal, als er eine Todesanzeige mit einem langathmigen Verzeichnis der Würden des Verstorbnen und der Adelstitel aller Verwandten desselben erhalten hatte, rief er aus: »Was für einen starken Rücken Freund Hein haben muß, daß man ihm soviel gewichtige Titel aufpacken kann, und wie gescheidt die Menschen sind, da sie sogar in einem Grabe Gelegenheit zur Befriedigung ihrer Eitelkeit finden!«

      Er verstand auch zu spotten, in harmloser Weise, aber fast immer mit einem ernsten Hintergedanken. So kam einmal während der Fastenzeit ein junger Vikar nach Digne und hielt eine recht beredte Predigt über die Mildthätigkeit. Er forderte die Reichen auf den Armen zu geben, um der Hölle zu entgehen, deren Schrecknisse er ihnen in den grellsten Farben ausmalte, und sich das Himmelreich zu erobern, das er als überaus lieblich und erstrebenswert hinstellte. Diese Schilderung machte auf einen seiner Zuhörer, der im Handel zwei Millionen zusammengerafft hatte, einen so nachhaltigen Eindruck, daß er von seiner Gepflogenheit niemals Almosen zu geben abließ und von der Zeit an jeden Sonntag an der Kirchenthür eine kleine Kupfermünze für sechs Bettlerinnen spendete. Eines Tages nun, als er wieder diesen Akt hochherziger Mildthätigkeit vollzog, sah ihn der Bischof und bemerkte lächelnd zu seiner Schwester: »Sieh mal, da kauft sich Herr Geborand für einen Sou ewige Seligkeit.«

      Handelte es sich um Mildthätigkeit, so ließ er sich selbst durch eine abschlägige Antwort nicht abschrecken und verstand es mit einer treffenden, geistreichen Entgegnung den Widerspenstigen andern Sinnes zu machen. Einmal sammelte er in einer Gesellschaft für die Armen. Unter den Anwesenden befand sich der Marquis von Champtercier, ein reicher alter Geizhals, der das Kunststück fertig gebracht hatte zugleich ultraroyalistisch und ultravoltairianisch gesinnt zu sein. Denn es hat auch solche Käuze gegeben. Als der Bischof zu ihm gelangt war, berührte er ihn am Arm und sagte: »Herr Marquis, Sie müssen mir etwas geben.« Der Marquis wandte sich um und antwortete trocken: »Bischöfliche Gnaden, ich habe schon meine Armen.« »Dann geben Sie mir die,« entgegnete der Bischof.

      Eines Tages hielt er im Dom folgende Predigt: »Theuerste Brüder, liebe Freunde, es giebt in Frankreich 1,320,000 Bauernhäuser mit nur drei, 1,817,000 mit zwei Oeffnungen, der Thür und einem Fenster, und endlich 346,000 Hütten mit einer einzigen Oeffnung, der Thür. Schuld daran ist etwas, das man die Thür- und Fenstersteuer nennt. Denkt Euch nun arme Familien, alte Frauen, kleine Kinder in solchen Behausungen und stellt Euch vor, was für Fieber, was für Krankheiten da herrschen müssen! Gott schenkt, das Gesetz verkauft den Menschen die Luft. Ich klage das Gesetz nicht an, aber Gottes Güte preise ich. In den Departements Isére, Bar, Ober- und Unteralpen haben die Landleute nicht einmal Schubkarren und tragen den Dünger auf dem Rücken; keine Talglichter, und brennen Kienspäne oder mit Harz bestrichene Stricke. So macht man es in dem ganzen Ober-Dauphiné. Das Brod backen sie auf ein halbes Jahr und heizen den Backofen mit getrocknetem Kuhmist. Im Winter zerschlagen sie dies Brod mit der Axt und lassen es vierundzwanzig Stunden in Wasser weichen, um es essen zu können. Seid barmherzig, liebe Brüder; bedenkt, wieviel Elend Euch umgiebt!«

      Als geborner Provenzale war es ihm leicht geworden sich mit allen südfranzösischen Dialekten gründlich vertraut zu machen. Das gefiel dem gemeinen Volk sehr und trug nicht wenig dazu bei, daß er seine Gedanken dem Verständniß Aller näher bringen konnte. Er war in der Hütte und im Gebirge zu Hause. Er verstand es, die erhabensten Dinge mittels der trivialsten Redewendungen auszudrücken, und da er Jedermanns Sprache redete, so fand er auch Mittel und Wege seinen Ideen Eingang in Jedermanns Herz zu schaffen.

      Uebrigens benahm er sich gleich gegen die Vornehmen und Geringen.

      Nie übereilte er sich mit Verdammungsurtheilen, sondern zog stets die Umstände in Erwägung. »Erst wollen wir uns den Weg ansehen, pflegte er zu sagen, den das Vergehen entlang gekommen ist.«

      Als »Exsünder«, wie er sich im Scherz nannte, trug er keine Strenge zur Schau und lehrte mit großem Freimuth und ohne seine Stirn nach Art der Tugendhelden in finstre Falten zu legen, Grundsätze, die man in folgenden Worten zusammenfassen könnte:

      »Der Mensch ist ein Geist, der mit Fleisch bekleidet ist. Dieses Fleisch ist eine Last und eine Versuchung. Der Mensch trägt es und giebt ihm nach.«

      »Er soll es im Auge behalten, es zurückdrängen, es niederhalten und ihm nur im äußersten Nothfall willfahren. Solch ein Gehorsam kann mit Schuld behaftet sein, aber solch eine Schuld findet Vergebung. Wer so nachgiebt, fällt, aber auf die Knie und kann sich mit Gebet loskaufen.«

      »Ein Heiliger zu sein ist die Ausnahme, ein Gerechter zu sein ist die Regel. Irret, fehlet, sündiget, aber seid Gerechte.«

      »So wenig Sünde wie möglich, lautet das Gesetz für den Menschen. Gar nicht zu sündigen ist das Ideal des Engels. Alles Irdische ist der Sünde unterworfen. Wir können uns von ihr ebenso wenig frei machen wie von dem Gesetz der Schwere.«

      Hörte er ein allgemeines Zetergeschrei, sah er die große Menge ein hastiges Tadelsvotum abgeben, so spottete er: »Hier liegt gewiß eine Sünde vor, die Jedermann begeht. Sonst würden die Heuchler es nicht so eilig haben zu protestiren, um den Verdacht von sich abzulenken.«

      Gegen die Frauen und die

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