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      Es vergeht kein Tag, ohne daß wir von Ihnen sprächen. Es ist das unsere Gewohnheit, aber wir haben noch einen anderen Grund. Denken Sie Sich: Frau Magloire hat beim Waschen und Abstäuben der Wände Entdeckungen gemacht; unsre beiden Schlafzimmer mit ihren alten, weiß getünchten Tapeten würden jetzt ein Schloß wie das Ihrige nicht verunzieren. Frau Magloire hat die ganzen Tapeten heruntergerissen. Es war etwas dahinter. Mein Salon, in dem keine Möbel stehen, und der uns den Trockenboden für die Wäsche ersetzt, ist fünfzehn Fuß hoch, achtzehn im Geviert und hat eine bemalte und vergoldete Decke mit Balken, wie bei Ihnen. Als das Haus noch als Hospital diente, war ein Ueberzug aus Leinwand darüber. Dazu Holzwerk aus der Zeit unsrer Großmütter. Und mein Zimmer sollten Sie erst sehen! Frau Magloire hat unter wenigstens zehn darüber geklebten Tapeten Gemälde entdeckt, die ganz leidlich sind: Telemach, wie er von Minerva zum Ritter erhoben wird; derselbe in den Gärten, – ich kann mich nicht mehr besinnen, welchen; der Ort, wohin die Römerinnen sich einmal des Jahres begaben. Kurz, ich habe Römer, Römerinnen, (hier stand ein unleserliches Wort), und so weiter. Frau Magloire hat alles sauber abgewaschen und diesen Sommer wird sie einige unbedeutende Beschädigungen repariren, das Ganze überfirnissen, so daß mein Zimmer einem Museum gleichen wird. Außerdem hat sie auf dem Boden in einem Winkel zwei Consolen alten Stils gefunden. Sie sollten sechs Franken wieder zu vergolden kosten; aber es ist doch besser, wir geben das Geld den Armen. Auch sind sie nicht hübsch, und ich würde einen Mahagonitisch vorziehn.

      Ich fühle mich recht glücklich, wie immer. Mein Bruder ist so gut! Er giebt alles, was er hat, den Bedürftigen und Kranken. Bei uns geht es auch infolge dessen sehr knapp zu. Das Klima ist hier im Winter sehr rauh, und man muß für Diejenigen, denen es am Notwendigen fehlt, doch etwas thun. Mit Licht und Heizung ist es in unserm Hause ziemlich gut bestellt, was doch gewiß große Annehmlichkeiten sind.

      Mein Bruder hat so seine eignen Gewohnheiten. Er behauptet im vertraulichen Gespräch, ein Bischof müsse so sein. Denken Sie Sich: die Hausthür ist nie verschlossen. Jeder, der will, kann herein, und ist dann gleich in der Wohnung meines Bruders. Er fürchtet sich nicht, selbst des Nachts nicht. Das ist die Art Tapferkeit, die er haben muß, behauptet er.

      Er will nicht, daß ich und Frau Magloire uns um ihn ängstigen. Er setzt sich allen Gefahren aus und duldet nicht einmal, daß wir thun, als bemerkten wir das. Man muß ihn eben verstehen.

      Er geht bei Regenwetter aus, watet durch Wasser, reist zur Winterzeit. Er fürchtet sich nicht des Nachts, nicht vor gefährlichen Wegen und schlechten Menschen.

      Verflossenes Jahr reiste er allein nach einer Gegend, wo sich Räuber herumtrieben. Uns nahm er nicht mit und blieb vierzehn Tage weg. Es widerfuhr ihm nichts, man hielt ihn für tot, aber er war gesund und munter. Er sagte: »Seht mal, wie die Räuber mich ausgeplündert haben«, und zeigte uns eine Kiste mit lauter Wertsachen, die in dem Dom von Embrun gestohlen waren. Die hatten ihm die Räuber geschenkt.

      Bei der Rückfahrt konnte ich mich aber nicht bezwingen und schalt ihn ein Bischen, natürlich nur, während der Wagen rasselte, damit Niemand etwas hören sollte.

      Anfangs dachte ich bei mir: Er läßt sich durch keine Gefahren zurückhalten, er ist schrecklich! Jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Ich winke immer Frau Magloire, sie soll ihm nicht widersprechen. Er setzt sich Gefahren aus, wie es ihm gerade beliebt. Ich gehe dann mit Frau Magloire hinaus, bete für ihn und lege mich schlafen. Ich bin ruhig, weiß ich doch, daß, wenn ihm ein Unglück zustieße, so wäre es auch mein Tod. Ich würde dann zum lieben Gott mit meinem Bruder und Bischof kommen. Frau Magloire ist es schwerer gewesen, sich an seine sogenannten Unklugheiten zu gewöhnen. Aber jetzt hat sie es auch gelernt. Wir beten alle Beide, fürchten uns zusammen und schlafen ruhig ein. Käme der Teufel in das Haus, er würde unbehelligt bleiben. Wozu sollten wir uns auch fürchten? Es ist ja immer Einer bei uns, der stärker ist als der Teufel.

      Das genügt mir. Mein Bruder braucht mir jetzt kein Wort mehr zu sagen. Ich verstehe ihn, ehe er spricht, und wir verlassen uns auf die Vorsehung.

      So muß man es machen mit einem Manne, dessen Sinn großartig angelegt ist.

      Ich habe meinen Bruder wegen der Auskunft gefragt, die Sie über die Familie de Faux zu erhalten wünschten. Sie wissen ja, er weiß Alles und führt Gedenkbücher, denn er ist gut königlich gesinnt. Es ist in der That eine sehr alte normannische Familie aus dem Steuerbezirk Caen. Vor fünfhundert Jahren gab es einen Raoul de Faux, einen Jean de Faux und einen Thomas de Faux, alles Edelleute, einer darunter ein Seigneur de Rochefort. Der Letzte war Guy Etienne Alexandre und war Regimentsoberst und hatte noch einen andern Rang bei den Chevaux-legers in der Bretagne. Seine Tochter Marie Louise heiratete Adrien Charles de Gramont, Sohn des Herzogs Louis de Gramont, Pair von Frankreich, Obersten der Gardes-Françoises und General-Lieutenant.

      Theuerste Vicomtesse, empfehlen Sie mich den Gebeten Ihres Vetters, des frommen Herrn Kardinals. Was Ihre theure Sylvanie betrifft, so hat sie sehr recht gethan, daß sie die kurze Zeit, die sie bei Ihnen zubringt, nicht damit verloren hat, mir zu schreiben. Sie befindet sich wohl, arbeitet Ihren Wünschen gemäß und hat mich lieb. Weiter verlange ich nichts. Sie haben mir Kenntniß davon zukommen lassen, wie es ihr geht, und mich damit ausnehmend erfreut. Mit meiner Gesundheit steht es nicht allzu schlecht, obgleich ich alle Tage magerer werde. Leben Sie wohl. Es fehlt mir an Papier, und ich muß aufhören. Tausend herzliche Grüße.

      Baptistine.

      P.S. Ihr Enkel ist ein reizender Knabe. Wissen Sie, daß er bald fünf Jahre alt ist! Gestern sah er ein Pferd, dem man Knieleder angelegt hatte. Er fragte: »Was hat denn das Pferd an den Knieen?« Er ist allerliebst. Sein Brüderchen zieht einen alten Besen als Wagen durch das Zimmer und ruft: »Hottehü!«

      Wie aus diesem Briefe erhellt, wußten die beiden Frauen mit jenem ihrem Geschlecht natürlichen Takt, der sie befähigt, einen Mann besser zu verstehen, als er sich selbst, auf die Eigenheiten des Bischofs einzugehen. So sanft und treuherzig auch alle Zeit sein Gebahren war, so that er doch viel Großes und Kühnes, ohne daß er es selber zu ahnen schien. Die Frauen zitterten, aber sie ließen ihn gewähren. Bisweilen unterstand sich Frau Magloire, ihm Vorhaltungen zu machen, ehe er einen bedenklichen Entschluß ins Werk setzte, nachher aber nicht mehr. Nie wurde er, sobald er erst eine Sache begonnen hatte, belästigt, nicht einmal mit einer Gebärde der Mißbilligung oder Ungeduld. Die Frauen hatten zeitweise, ohne daß es einer Erklärung seinerseits bedurfte, ohne daß er selbst sich dessen bewußt wurde, eine gewisse Ahnung, daß er nur deshalb in der und der bestimmten Weise handle, weil seine Pflicht als Bischof es ihm befahl: sie verhielten sich dann so still und unaufdringlich, wie zwei Schatten. Sie bedienten ihn mit passivem Gehorsam, und wenn sie ihm nicht anders gefällig sein konnten, als daß sie sich entfernten und ihn allein ließen, so thaten sie auch dies mit Freudigkeit. Ihr bewunderungswürdiger Zartsinn sagte ihnen, daß manche Fürsorge lästig sein kann. Daher verstanden sie, selbst wenn sie glaubten, er schwebe in Gefahr, – ich will nicht gerade sagen, – seine Gedanken, wohl aber sein Wesen so vollständig, daß sie nicht mehr auf ihn Acht gaben. Sie vertrauten ihn der Obhut Gottes an.

      Uebrigens sagte, wie wir eben gesehen, Baptistine, der Tod ihres Bruders werde auch ihr Ende alsbald nach sich ziehen. Frau Magloire sprach so etwas nicht aus, dachte es aber.

      X. Eine neue Erleuchtung

      Einige Zeit nach dem Datum des so eben citirten Briefes that der Bischof etwas, das nach dem Dafürhalten der ganzen Stadt ein noch gewagteres Stück war, als seine Reise in das Banditengebirge.

      In der Umgegend von Digne wohnte in völliger Einsamkeit ein Mann, der – schaudernd müssen wir es bekennen – seiner Zeit Mitglied des Convents gewesen war. Er hieß G.

      In der kleinen Welt, die sich die Stadt Digne nannte, sprach man von dem Conventsmitgliede G. nur mit einer Art Entsetzen und Abscheu. Ein Mitglied des Convents – nein, so etwas! Das gab es zu der Zeit, wo die Leute sich duzten und Bürger nannten. Der Mann war gewissermaßen ein moralisches Ungeheuer. Er hatte zwar nicht für den Tod des Königs gestimmt, aber viel hatte nicht daran gefehlt. Er war doch immer »beinah« ein Königsmörder. Jedenfalls war er ein Schreckensmann gewesen. Warum in aller Welt hatte man Den bei der Rückkehr der angestammten

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