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      Lars Osterland

      Lied vom stillen Sommernachtstraum

      Band II der Nordkap-Trilogie - 9 Monate, 9 Länder, 9000 Kilometer

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1. Irun – Nantes

       2. Nantes – Paris

       3. Paris – Amsterdam

       4. Amsterdam – Wilhelmshaven

       5. Wilhelmshaven – Hamburg

       6. Danksagung und Hinweise

       Impressum neobooks

      1. Irun – Nantes

      Die Hospitalera hat eine Kanne Kaffee gekocht und den Frühstückstisch gedeckt. Mihaela spendiert den Käse, ein anderer Pilger den Saft, perfekt. Roland, Mihaela, die zwei Franzosen vom Vortag und ich sitzen gemeinsam am Tisch, die Stimmung ist gut. Draußen wolkenloser Himmel, die Aufbruchsstimmung ist greifbar, der erste Tag kann beginnen … ihr erster Tag auf dem Jakobsweg, mein erster Tag in Frankreich. Als alle anderen fertig gefrühstückt haben, leere ich die letzten Reste und Mihaela bietet an, mir für unterwegs von ihrem Toastbrot und Käse Sandwichs zuzubereiten. Nehme ich natürlich gern an, so dicke habe ich es ja nicht mehr. Mihaela würde sich freuen, wenn ich sie mal in ihrer Heimatstadt Bukarest besuchen käme – ja, Rumänien steht noch an! Wir beide sind die Letzten die aufbrechen … schon vor der Herberge trennen sich unsere Wege … Küsschen da, Küsschen dort, alles Gute!

      Ich laufe zum einzigen sehenswerten Gebäude von Irun, die Kirche. Dahinter liegt der Bahnhof, Busse fahren nach Santiago … spart man mindestens 24 Tage und verliert doch viel mehr … Ich suche verzweifelt nach Fotomotiven, um die letzten drei Fotos auf meiner Speicherkarte zu knipsen, damit ich völlig aufgeräumt das Kapitel Frankreich beginnen kann, also auch mit einer neuen, noch leeren Speicherkarte … aber ich finde nichts. Ich versäume es auch, die letzten 3,76 Euro auszugeben … also nur fast pleite über die Grenze! Dürfte trotzdem eine Herausforderung werden … In der Bibliothek nutze ich noch einmal die Möglichkeit eines kostenlosen Internetzugangs, weil ich nicht weiß, ob auch Frankreich so kulant ist. Mit vier Tagen Verspätung lese ich die Geburtstagsgrüße an mich, viele sind es nicht, ganze sieben Menschen haben an mich gedacht – also beliebt bin ich anscheinend ja nicht, ich kanns verstehen … immerhin dachte sie daran; als kleine Aufmerksamkeit sehe ich das erste Bild von meiner Kleinen seit unserem letzten Treffen am 24. Januar diesen Jahres, also vor fast vier Monaten – lieb gemeint, nun weiß ich aber, wie sich ein Wespenstich mitten ins Herz anfühlen muss … ihre Haare sind länger, die Backen schmaler, die Stirn höher, sie lacht … sie ist wunderschön … ihre Mama bittet mich, dass ich endlich mit uns abschließe, damit wir nach meiner Rückkehr gemeinsam für unsere Tochter da sein können, vielleicht sogar ein freundliches Verhältnis miteinander aufbauen, zum Wohle der Kleinen … Wir beide seien zu sehr Melancholiker, um uns gegenseitig glücklich machen zu können … Vermutlich hat sie mal wieder Recht, nur leider bin ich in Sachen Verarbeitung auf den ersten 3.600 Kilometern meiner Reise keinen Millimeter vorangekommen. Ich hatte geglaubt, es ginge schneller, dass die Zeit etwas zackiger unterwegs ist, um die Wunden zu heilen … aber in Wahrheit ist sie ein ziemlich träger Lahmarsch. Ich kann mir an ihr kein Beispiel nehmen, muss weiter, zum Grenzfluss Bidasoa … und im nächsten Moment habe ich Spanien verlassen, befinde mich aber weiterhin im Baskenland, in der Mitte der Brücke beginnt der französische Ort Hendaye. Im Oktober 1940 trafen sich hier Franco und Hitler … der Diktator konnte aber den General nicht davon überzeugen, in den Krieg einzutreten, um gemeinsame Sache zu machen. Auch ich bleibe blass in dieser Kleinstadt, knüpfe keine Kontakte und bin deprimiert, dass ich keine Jakobsmuscheln mehr sehe. Außerdem habe ich kein Geld um mir etwas leisten zu können. Schon nach wenigen Stunden fehlt sie mir, die Aussicht, irgendwann mal wieder auf einen anderen Pilger zu treffen. Wochen des Schweigens drohen … gilt jedoch nicht für den Magen, der wird lauter denn je krakeelen. Aber noch nicht heute, dank der Sandwiches von Mihaela.

      Das Begrüßungsgeschenk von Frankreich sind zwei makellose Marlboros auf dem Bürgersteig … eingesteckt und weiter in einen kleinen Park … von einer Bank aus Blick auf viele vor Anker liegende Jachten auf dem Bidasoa … präge mir die Sachen ein, die der Franzose für mich ins Französische übersetzt hat und schreibe meinen ersten Tagebucheintrag in Frankreich … ich will kein Risiko eingehen, denn wenn ich jetzt tot umfallen würde, könnte niemand mehr behaupten, dass ich nicht in Frankreich war! Ha, ein weiteres Häkchen hinter einem Land, das ich besucht habe! Ich bin nach außen hin gar kein so großer Angeber, aber vor mir selbst – und das Tagebuch ist ein Spiegel deines Selbst – mime ich gern den Prahlhans. Ich knipse die Speicherkarte voll, krame eine andere heraus … ironischerweise – nach der Email – sind auf dieser noch die Bilder unserer gemeinsamen Reise durch acht mitteleuropäische Länder drauf, vergessen vor Reiseantritt zu formatieren. Oder war es beabsichtigt? Ich weiß es nicht mehr. Ich lass die Bilder in einer Dia durchlaufen … psychologisch möglicherweise der falsche Weg um mit etwas abzuschließen … die Sehnsucht nach ihr ist manchmal unerträglich groß … da ist sie, mit meinem Pulli am Tschirmer See in der Hohen Tatra … und nochmal da, wie sie Fotos von der Soča in Slowenien knipst … und auch hier, im Badeanzug an der Adria, kurz bevor es weiter nach Venedig geht … zugegeben, beim Betrachten ihrer Kurven ist auch manchmal die Sehnsucht nach ihrem Körper unerträglich groß; Frauen mögen das nicht verstehen, Männer schon … ich befreie mich aus meinem Delirium und formatiere die Speicherkarte, es ist vorbei, du hast ja Recht … Schaust du dir denn nie Fotos aus unserer gemeinsamen Zeit an??? Rhetorische Fragen sind zum Kotzen! Frag nicht, mach weiter, lauf, lauf weiter, immer weiter, bis es nicht mehr weiter geht …

      Jetzt nicht mehr auf Jakobsmuscheln oder gelbe Pfeile achten zu müssen, hat auch positive Seiten, eine davon ist, dass ich mich freier fühle … ich suche mir wieder allein meinen Weg, bin flexibler, es wird – wie am Anfang meiner Reise – Steine und Bäume geben, die ganz überrascht sein werden, wenn da jemand an ihnen vorbeiläuft. Die Steine und Bäume auf dem Jakobsweg konnte man da nicht mehr überraschen, die waren das gewohnt. Vorerst geht es am Strand weiter, ich sehe eine Frau, die ein Buch liest … eigentlich nicht weiter erwähnenswert, aber mir kommt dabei in den Sinn, dass ich in der ganzen Zeit in Spanien und Portugal keinen einzigen Menschen ein Buch lesen gesehen habe. Ohne voreilig Schlüsse ziehen zu wollen, aber vielleicht ist es ja so, dass die Franzosen wie die Deutschen sehr gern lesen und deshalb auch viele lesenswerte Autoren in die Welt gesetzt haben. Bei den Spaniern oder Portugiesen fällt mir kein einziger Autor ein, von dem ich schon mehr als ein Buch gelesen habe. Es gibt sicherlich ganz nette spanische und portugiesische Bücher, aber die wurden alle in Übersee geschrieben, in Brasilien, Kolumbien oder Chile. Nein, die Spanier haben ihren Don Quijote und das scheint ihnen auch zu reichen. Zum Glück haben wir nicht nur unseren Faust. Am Ortsausgang steht auch bereits das erste Schloss, auf einer grünen Anhöhe, mit Sicht aufs einige hundert Meter entfernte Meer. Ich bin weit und breit der einzige Mensch, ich nutze die Ruhe für meine Mittagspause. Nach den beiden Sandwiches geht es weiter, ein Auto kommt mir entgegen, eine junge Frau lässt die Scheibe runter … fragt mich, ob ich denn nicht wüsste, dass das hier Privatgelände ist … ich soll umkehren … ich entschuldige mich mit einem Lächeln … In 102 Tagen auf der Iberischen Halbinsel wurde ich kein einziges Mal verjagt, in Frankreich schon nach wenigen Kilometern das erste Mal, na das kann ja was werden! Es geht auf einem schmalen Weg neben der

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