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Er erteilte nun Colbert den heiklen Auftrag. Mazarin errötete, als er den Brief las, schenkte Colbert ein gnädiges Lächeln und entließ ihn. – »Wann habe ich die Antwort zu holen?« fragte der Bote. – »Morgen früh.« – Um sieben Uhr war Colbert zur Stelle. Er mußte bis zehn Uhr warten. Dann ließ Mazarin ihn vor und übergab ihm eigenhändig ein Paket. »An den Staatssekretär Letellier,« sagte er und schob Colbert mit freundlichem Lächeln zur Tür. – »Und der Brief der Königin-Mutter?« fragte Colbert. – »Ist im Paket,« antwortete Mazarin. – Colbert nahm den Hut zwischen die Knie und zerriß das Siegel. – »Was fällt Ihnen ein?« rief der Kardinal. »Trauen Sie meinem Wort nicht? Welche unerhörte Frechheit!« – »Ihrem Worte selbstverständlich,« versetzte Colbert ganz ruhig. »Aber Ihr Kanzleipersonal ist vielleicht nicht so zuverlässig – so ein Brief wird leicht vergessen – und sehen Sie, daß ich recht habe. Er ist wirklich in der Kanzlei vergessen worden – er ist nicht im Paket.« – »Unverschämter Mensch!« rief Mazarin, entriß ihm das Paket und lief hinaus. – Nun erschien Colbert an jedem Morgen, so oft er abgewiesen wurde, und endlich mußte Mazarin den Brief der Königin-Mutter herausrücken. Colbert prüfte das Schriftstück von allen Seiten, hielt es sich sogar an die Nase und unterzog die Schriftzüge einer so genauen Untersuchung, als wenn er es mit dem gemeinsten Fälscher zu tun gehabt hätte. Mazarin schäumte vor Wut, aber Colbert kehrte sich gar nicht daran. Als später all diese Dinge vergessen waren und Mazarin so fest saß wie nie zuvor, da erinnerte er sich dieses Schreibers und der Hartnäckigkeit, die er bewiesen, und nahm ihn zu sich. Colbert erwarb sich rasch die Gunst Mazarins und wurde ihm mit der Zeit ganz unentbehrlich. Er gestattete ihm Einblick in alle seine Geschäfte, so daß Colbert, umsichtig und scharfblickend wie er war, nicht nur über die Staatsfinanzen, sondern auch über die persönlichen Vermögensverhältnisse Mazarins genau unterrichtet war.

      Als nun Mazarin sich dem Ende nahe glaubte, rief er Colbert sofort zu sich, um mit ihm schleunigst alles in Ordnung zu bringen. »Es kann sein, daß ich das Zeitliche segnen muß, Colbert,« sprach er, »da ist es not, daß wir ein ernstes Wort miteinander reden.« – »Sterben muß jeder Mensch,« antwortete Colbert gelassen. – »Ich habe dies stets vor Augen gehabt und dafür gesorgt, daß ich nicht mittellos sterbe. Wie hoch schätzen Sie mein Vermögen?« – »Auf vierzig Millionen und 560 000 Livres.« Der Kardinal seufzte tief auf und lächelte mühsam. – »Das ist die bekannte Höhe,« setzte Colbert hinzu. – »Was meinen Sie damit?« fragte Mazarin erstaunt. – »Außer dieser Summe sind noch 13 Millionen vorhanden, von denen niemand etwas weiß. Sie sterben als reicher Mann, Eminenz, während der König keine 500 000 Livres in der Schatulle hat.«

      »Was wollen Sie damit sagen?« fuhr Mazarin auf. »Habe ich mein Gehalt zu Unrecht bezogen? Habe ich etwa nicht Ordnung in die Finanzen des Reichs gebracht? Wieviel der König hat, das ist Sache seines Schatzmeisters. Dafür hat Fouquet aufzukommen. Mich geht das gar nichts an. Wollen Sie damit sagen, ich müßte dem König mein Geld vermachen? Ich denke nicht daran – ein paar Legate, ja, aber alles nicht! Ich kann meine Verwandten nicht benachteiligen.« – »Eminenz,« antwortete der unerschütterliche Sekretär, »ein Legat wäre eine Beleidigung des Königs und könnte so ausgelegt werden, als wenn Sie diesen Teil Ihres Vermögens als unrecht erworben ansähen.« – »Also muten Sie mir im Ernst zu, all mein Geld in die Schatulle des Königs zu werfen?« rief Mazarin ironisch. »Das wäre ein gefundener Bissen für Ludwig XIV. Er würde sich ins Fäustchen lachen und meine sauer ersparten Taler bald verschwendet haben.«

      »Eure Eminenz sehen in diesem Punkte falsch,« erwiderte Colbert. »Sie beurteilen den Charakter Ludwigs XIV. nicht ganz richtig. Wenn ihm gewisse Dinge gesagt werden, so wird er die Schenkung nicht annehmen.« – »Sie meinen, er würde 40 Millionen zurückweisen? Und was sind denn das für Dinge, die ihm gesagt werden müßten?« – »Die will ich niederschreiben, wenn Eminenz sie mir diktieren wollen,« antwortete Colbert in vielsagendem Tone. – »Und was hätte ich von diesem gewagten Experiment?« fragte der Kardinal. – »Einen ungeheuren Vorteil,« antwortete Colbert, »niemand wird dann Eure Eminenz noch des Geizes anklagen können, wie dies bisweilen in Flugblättern ungerechterweise geschehen ist. Der glänzendste Geist unsers Jahrhunderts wird dann von diesem Vorwurf auf immer befreit sein. Und nachdem Eminenz soviel für Ihren Ruhm getan, sollten Sie auch etwas für Ihren Nachruhm tun.« – »Sie haben recht, Colbert,« antwortete Mazarin. »Aber wenn nun der König doch annimmt?« – »Dann bleiben Ihren Verwandten immer noch 13 Millionen, und das ist eine hübsche, runde Summe. Allein Sie sollten nicht die Annahme, sondern vielmehr die Ablehnung fürchten.« – »Wenn er ablehnt, so stelle ich ihm diese 13 Millionen sicher – ja, ganz bestimmt. Die Schmerzen kehren wieder. O, wirklich, Colbert, ich bin dem Ende nahe.«

      Mazarin war wirklich schwerkrank; kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Bernouin, der Kammerdiener, und Guénaud, der Arzt, wurden wieder an das Lager gerufen, und unter den Händen des letzteren ließen die heftigen Symptome etwas nach. Als der Kardinal wieder allein war mit Colbert, nahm er das Thema von neuem auf. – »Ich will es wagen, Colbert,« flüsterte er, sich aufraffend. »Glauben Sie Ihrer Sache sicher zu sein?« – Colbert antwortete ruhig: »Schreiben Sie eine Schenkung folgenden Inhalts: Im Begriff, vor Gott zu treten, bitte ich den König, der mein Herr auf Erden war, die irdischen Güter zurückzunehmen, die seine Huld mir beschert hat. Meine Angehörigen werden nichts dagegen einzuwenden haben, daß das Vermögen in so erlauchte Hände falle. Das genaue Verzeichnis meiner Besitztümer liegt bereit und wird Eurer Majestät ausgeliefert werden, sobald ich den letzten Seufzer getan habe. Euer treu ergebener Diener Julius von Mazarin.« – Mit zitternder Hand setzte der Kardinal seinen Namen darunter.

      Die Kunde von seinem hoffnungslosen Zustande hatte sich im Louvre, wo der König zur Zeit mit dem gesamten Hof weilte, sehr rasch verbreitet. Ludwig XIV. wartete mit Spannung des weiteren Verlaufes. Starb der Kardinal, so war ja für ihn der Tag der Freiheit gekommen, der Tag, da er in Wahrheit König wurde, da er nicht mehr nur das Mäntelchen des Regenten tragen sollte, ohne seine Macht zu besitzen. Anna von Oesterreich, seine Mutter, betrachtete ihn gedankenvoll, aber es waren andere Erwägungen, denen sie nachhing. – »Du scheinst traurig zu sein, Ludwig,« sprach sie zu ihm, während er unruhig auf und ab schritt. »Machst du dir vielleicht Gedanken darüber, daß es uns an Geld fehlt? Wisse, alle Leute, die in deinem Lande reich sind, besitzen ihren Reichtum nur durch deine Güte. Der Herr verleiht ihnen überdies die Erdengüter nur auf kurze Zeit, und niemand,« setzte sie mit besonderer Betonung hinzu, »kann sie mit ins Grab nehmen. Ein junges Geschlecht erntet die Früchte der Alten.« – »Man sollte wirklich glauben,« sagte Ludwig XIV. und sah seine Mutter forschend an, »Sie hätten mir noch mehr zu sagen.« – »Nichts, mein Sohn, als daß der Kardinal sehr krank ist,« antwortete Anna. – »Ich denke, er wird sich noch einmal erholen,« sagte Ludwig seufzend.

      Er hatte diese Worte kaum gesprochen, als ein Türhüter den Vorhang aufhob. – »Eine Botschaft von Seiner Eminenz!« rief er und reichte dem König ein Schreiben. Im selben Augenblick, wo Ludwig es öffnete, um es zu lesen, trat Fouquet, der Schatzmeister, herein.

      »Sie auch hier, Fouquet?« wandte Ludwig sich wohlwollend an ihn. »Hat die Kunde von der Krankheit des Ministers Sie hergerufen?« – »Ja, Majestät. Ich war vor anderthalb Stunden noch auf meinem Gute in Vaux und bin aufs schnellste hergeeilt.« – »Wie ist das möglich? In anderthalb Stunden von Vaux nach Paris?« rief der König, der wohl seinen Zorn, aber nicht sein Erstaunen zu bemeistern verstand. – »Eure Majestät bezweifeln, was ich sage, und mit Recht,« erwiderte der Höfling. »Des Rätsels Lösung sind aber sechs Pferde erster Klasse, die ich aus England erhalten habe, die besten Renner unseres Zeitalters. Ich habe sie heute abend probiert, und sie haben die Probe glänzend bestanden. Eure Majestät werden Gelegenheit haben, sich selbst von der seltnen Güte dieser Pferde zu überzeugen; denn sie sind nur für einen königlichen Marstall geschaffen und warten nur auf einen Wink Eurer Majestät, um in Höchstdero Marstall eingereiht zu werden.« – Fouquet verneigte sich. Der König sah betroffen auf.

      »Sie wissen doch, Herr Fouquet,« warf die Königin-Mutter ein, »es ist am französischen Hofe nicht Sitte, daß ein Untertan seinem König Geschenke macht.« – »Ich hoffe,« versetzte der Oberintendant der Finanzen verlegen, »meine grenzenlose Ergebenheit und mein sehnlicher Wunsch, meinem geliebten Monarchen zu gefallen, würden genügen, diesen Grundsatz der Etikette einmal

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