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Höllenteufel. Andre Rober
Читать онлайн.Название Höllenteufel
Год выпуска 0
isbn 9783754176665
Автор произведения Andre Rober
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Und? Konnten Sie etwas von dem Mädchen erfahren?“, fragte Thomas Bierman Melanie Escher.
Die Mitarbeiterin des Jugendamts sah übermüdet aus. Ihre Augen waren leicht gerötet, das Haar unfrisiert und sie trug auch noch dieselbe Kleidung wie tags zuvor. Es war klar, dass sie seit dem Zusammentreffen mit ihrer jungen Schutzbefohlenen dieser nicht von der Seite gewichen war. Ein zweites Essenstablett auf dem Besuchertisch und die darauf befindlichen Packungen von Automatensüßigkeiten bestätigten ebenfalls diesen Eindruck. Langsam wandte sie den beiden Polizisten das Gesicht zu, und bevor sie etwas sagen konnte, schob Sarah ein Guten Morgen, Frau Escher. Wie geht es denn der Kleinen und wie geht es Ihnen zwischen. Sie wollte keinesfalls auf derselben Stufe der Sozialkompetenz wahrgenommen werden, wie ihr zuweilen ruppiger Partner. So konnte sie der Sozialarbeiterin auch ein müdes Lächeln entlocken.
„Guten Morgen, Frau Hansen, Herr Bierman. Lassen Sie uns kurz auf den Flur gehen“, schlug sie vor.
Thomas und Sarah folgten ihr durch die Tür, die sie offenließen, damit die Patientin sie noch sehen konnte.
„Ihr geht es physisch gut“, knüpfte Escher an die Frage an. „Die Unterkühlung ist schadlos überstanden. Blutdruck, Blutwerte et cetera sind allesamt in einem ordentlichen Bereich. Aber, um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen, gesprochen hat sie bisher nicht. Die Psychiaterin hat einige vorsichtige Versuche mit ihr gemacht. Zeichnungen, Piktogramme, Fotografien und so. Auf Bilder von kleinen Tieren hat sie mit verhaltenem Lächeln reagiert, auf ein Foto von einem Christbaum mit leuchtenden Augen. Wir dürfen also annehmen, dass sie im christlich geprägten Umfeld aufgewachsen ist. Auf Bilder von Menschen hat sie nicht wahrnehmbar reagiert, sondern ist in der Lethargie verharrt, die Sie ja kennen.“
Sarah wies auf das Tablett, das noch auf dem Rollschrank neben dem Mädchen stand.
„Hat sie gegessen? Und auf welche Art und Weise, ich meine, ihren Umgang mit Besteck und so weiter.“
Melanie Escher nickte langsam und nachdenklich, bevor sie antwortete.
„Ihr ist der Umgang mit Messer, Gabel und Löffel vertraut. Sie benutzt das Besteck europäisch, nicht wie ein Amerikaner. Sie hat auch Butter, Streichwurst, Käse und das Ei ganz normal zu sich genommen, so wie Sie und ich das auch tun.
„Schön, dass sie die Nahrung nicht verweigert“, stellte Sarah diesen Aspekt in den Vordergrund. „Das hätte auch anders sein können!“
„Ja, das ist im Moment das Wichtigste“, bestätigte die Sozialarbeiterin und fuhr dem rothaarigen Mädchen mit der Hand über den Kopf.
„Hat sich die Psychiaterin schon dazu geäußert, wie wir an das Mädchen herankommen?“, fragte Thomas, dem die Fortschritte in dem Fall wichtiger zu sein schienen.
Escher schüttelte den Kopf.
„Sie hat nichts Konkretes gesagt. Dass sie Zeit brauche, mehr nicht.“
„Können wir denn irgendetwas besorgen? Ein Stofftier vielleicht?“, wollte Sarah wissen und die Betreuerin nickte dankbar.
„Ja, das bringt uns zwar nicht unbedingt weiter, aber erhöht möglicherweise ihr Wohlbefinden. Und es ist gut, wenn sie etwas Vertrautes in ihrer Nähe hat, sollten wir sie in den nächsten Tagen aus diesem Umfeld herausnehmen. Ich weiß nicht, wie lange sie noch hierbleiben soll, medizinische Gründe, außer ihres psychischen Zustandes, liegen jedenfalls keine mehr vor.“
„Dann gehen wir doch mal ein Stofftier kaufen.“
Sarah stupste ihren Partner in die Seite.
„Ein großes!“, bat Frau Escher. „Was zum Kuscheln!“
„Okay.“
In diesem Moment kam ein junger Mann im Pflegeroutfit den Gang entlang. Gutgelaunt warf er dem Trio ein Guten Morgen zu, betrat das Krankenzimmer, schnappte sich das Tablett vom Gästetisch und brachte es aus dem Zimmer, um kurz darauf wieder zu erscheinen um sich laut pfeifend das zweite Tablett vom Rollschrank zu nehmen. Sarah und Frau Escher bemerkten sofort die Reaktion des Mädchens, die den Pfleger mit offenem Mund anstarrte und mit großen Augen seinen Bewegungen folgte. Und als er wenige Sekunden später mit einer Flasche Apfelsaft und einem Eis am Stiel zurück in den Raum kam, immer noch die leicht melancholische Melodie pfeifend, nahm auch Thomas wahr, dass sich das Verhalten der Rothaarigen geändert hatte. Ihr Mund war jetzt geschlossen und mit einem Lächeln auf dem Gesicht summte sie ganz leise die Melodie mit! Der Pfleger stellte das Getränk auf den Rollschrank und reichte dem Mädchen das Eis. Er summte nun ebenfalls, grinste die junge Patientin an und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen.
„Stopp“, hielt ihn Thomas auf und er wählte Lautstärke und Tonfall so, dass es nicht aggressiv herüberkam. Er trat in den Raum.
„Bleiben Sie bitte noch kurz“, bat er den jungen Mann. „Singen Sie weiter. Mit Text, wenn möglich.“
Gleichzeitig klopfte er mit der flachen Hand auf das Fußende des Bettes. Der Pfleger verstand sofort, wandte sich dem Mädchen zu, lächelte es an und begann, den Blickkontakt zu ihr herzustellen. Als sie zurücklächelte, setzte er sich auf das Bett und stimmte das Lied erneut an, diesmal sang er in einer den anderen Anwesenden unbekannten Sprache. Das Mädchen wiegte den Kopf im Rhythmus und auf einmal sang es ganz leise mit! Niemand wagte, diesen fast innigen, aber fragil wirkenden Moment zu stören, und so sangen die beiden drei Strophen, bis sie gemeinsam auf einem langen Ton verblieben und das Lied beendeten. Der Pfleger fragte das Mädchen etwas in der fremden Sprache, doch sie reagierte nicht darauf. Stattdessen kehrte sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihr Inneres und drehte den Kopf zur Seite.
Thomas wandte sich dem Pfleger zu.
„Verraten Sie mir, was das für ein Lied war und welche Sprache Sie mit ihr versucht haben zu sprechen?“, flüsterte er dem jungen Mann zu.
„Das ist ein rumänisches Kinderlied. In der Heimat meiner Eltern kennt das jedes Kind“
„Rumänien“, echote Sarah, die mit Melanie Escher ebenfalls das Zimmer betreten hatte. „Die Kleine kommt also aus Rumänien.“
Die beiden Polizisten, der Pfleger und die Sozialarbeiterin betrachteten die Patientin, die die Augen geschlossen hatte und leise, kaum wahrnehmbar die Melodie summte.
„Sie sagten, die Heimat Ihrer Eltern“, brach Thomas das Schweigen. „Sie sind hier geboren?“
„Ja, aber da zu Hause immer Rumänisch gesprochen wurde und meine Verwandtschaft dort lebt, kann ich es ganz gut“, beantwortete der junge Mann gleich die Frage, die Thomas impliziert hatte.
„Sehr gut!“, meinte Thomas. „Dann werden wir nachher mit Ihrer Stationsleitung sprechen. Wir brauchen Sie jetzt, um eine Beziehung zu dem Mädchen aufzubauen. Machen Sie das über Musik, über Kinderbücher oder auf was auch immer sie reagiert. Es wird ständig jemand dabei sein, Frau Escher oder die Psychiaterin oder ein Kollege von uns. Wenn sie etwas sagen sollte, oder auf etwas, das Sie sagen, auffällig reagiert, notieren Sie das und teilen es uns mit. Herr?“
Der Mann deutete auf sein Namensschild.
„Dumitru“, sagte er. „Sie können mich aber gerne Liviu nennen.“
„In Ordnung, Liviu“, nahm Thomas den Vorschlag an. „Haben Sie noch rumänische Kinderbücher? Märchenbücher vielleicht? Oder kennen Sie weitere Kinderlieder?“
Der Pfleger überlegte kurz.
„Ja, ich glaube, ich habe eine Kiste mit Kindersachen zu Hause stehen. Da dürfte das ein oder andere Buch ebenfalls dabei sein. Meine Frau ist der Meinung, dass, wenn wir mal Kinder haben, sie von ihren rumänischen Wurzeln etwas mitbekommen sollten.“
„Können Sie Ihre Frau bitte anrufen?“, übernahm Sarah von ihrem Partner.