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strich er über die Wange und den Mund und begann unwillkürlich, tiefer zu atmen. Und als sich un­ter­halb seines Gürtels etwas zu regen begann, legte er den Pass auf den Tisch und verließ den Raum in Richtung des Ba­dezimmers.

      „Dann wollen wir uns John Doe mal ansehen“, sagte Dr. Schwarz nüchtern und trat an die Kühlfächer. „Schieben Sie bitte mal den Wagen dort herüber?“, bat er Thomas Bier­man und öffnete die ihm nächstgelegene Edelstahltür. Der Poli­zist ging zu dem einige Meter entfernt stehenden Roll­wagen, nahm kurz Maß und gab dem Gestell einen wohl­dosierten Tritt, der es in Richtung des wartenden Rechtsme­diziners be­wegte. Dieser machte einen Schritt zur Seite und beob­achtete gespannt, wo das Gefährt wohl zum Stillstand kom­men wür­de. Er schnalzte anerkennend mit der Zunge, als es exakt vor dem offenen Kühlfach fast genau senkrecht dazu aufhörte, sich zu bewegen. Sarah, die die Szene ungläubig beobach­tete, schüttelte nur den Kopf und ver­drehte die Augen. Das ge­zisch­te Männer war gerade noch laut genug, dass Thomas und der Arzt es hören mussten. Ohne sich da­von beirren zu lassen, rückte Schwarz den Rollwagen die letzten Zentimeter zurecht und zog eine mit einem weißen Tuch abgedeckte Bahre auf das Transport­mittel. Er schob den Leichnam neben den Obduktionstisch, nahm drei Gum­mi­schürzen von einem Kleiderhaken und griff nach einer Packung ellenbo­gen­langer Handschuhe. Er streckte die Schutz­­kleidung Sarah und Tho­mas entgegen.

      „Wenn Sie mir bitte kurz zur Hand gehen würden?“, bat er, legte sich die verbleibende Schürze um und stülpte sich die Handschuhe über.

      „Keine Sorge, der Leichnam ist bereits gewaschen. Es wird also keine allzu große Sauerei, wenn wir ihn rüberheben.“

      Thomas nahm eine der Schürzen entgegen, legte sie an und warf Sarah, nachdem sie ebenfalls die Plastikbändel auf dem Rücken zu einer Schleife gebunden hatte, zwei der Hand­schuhe zu. Sie fing sie geschickt auf und blies, dem Beispiel ihrer Kollegen folgend, erst einmal hinein, bevor sie die Hän­de und Unterarme hineinsteckte.

      „Fertig?“

      Sie nahmen Aufstellung an dem Leichnam, Schwarz an den Füßen, Sarah am Kopf und Thomas auf Höhe der Hüfte.

      „Auf drei! Eins, zwei, drei!“

      Gemeinsam wuchteten sie den Toten auf den Obduktions­tisch. Sarah wartete mit dem Ablegen des Kopfes, bis Schwarz eine Art Nackenstütze untergeschoben hatte, dann trat sie neben ihren Partner.

      „Genau genommen hätten Sie gar nicht herkommen müs­sen. Spektakuläres werde ich nicht zu berichten haben. Au­ßer­dem sind die Umstände hinreichend geklärt, oder? Nicht, dass ich Ihre Anwesenheit nicht schätze.“

      Sarah schmunzelte.

      „Sehen Sie keine Krimis? Da tauchen die Ermittler doch auch regelmäßig in der Rechtsmedizin auf, nur um ein Detail zu erfahren, das man auch am Telefon hätte mitteilen kön­nen. Wir halten uns einfach an die Klischees.“

      Dr. Schwarz lächelte.

      „Irgendwann, lieber Bierman“, sagte er, „wird sie Sie an Schlagfertigkeit überbieten. Und ich freue mich schon da­rauf, das zu erleben.“

      Thomas zuckte nur die Schultern und half dem Mediziner, das Laken in Richtung der Füße zu falten und legte es auf einen Beistelltisch.

      „Eigentlich ist der einzige Grund für unsere Anwesenheit sicherzustellen, dass Sie als erstes die Fingerabdrücke und ei­ne DNA-Probe neh­men, so dass wir mit der Identifizierung weiterkom­men“, frotzelte er, doch Schwarz ging nicht da­rauf ein. Stattdessen griff er hinter sich, legte ein Diktiergerät neben den Toten und schaltete es ein.

      „Obduktion eines unbekannten Toten im Beisein zweier Ner­­­­vensägen von der Kripo Freiburg. Größe etwa ein Meter fünfundsiebzig, Gewicht zirka achtzig Kilo. Alter zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig.“ Er stoppte die Auf­nahme und zeigte auf den Kopf der Leiche.

      „Kaukasischer Typ. Sehen Sie die Physiognomie. Ich tippe auf einen Einheimischen. Wenn das kein Schwarzwälder ist! Schauen Sie es sich gut an, das kommt dabei raus, wenn über Generationen…naja, also wenn irgendwann jeder sein ei­ge­ner Onkel ist. Das liegt daran, dass die ganzen Täler in der Um­gebung früher im Winter über Monate vom Rest der Welt abgeschot­tet waren. Und dafür“, er wies auf den deutlich aus­ge­prägten Kropf des Toten, „ist der Jodmangel verant­wortlich, unter dem die Menschen in dieser Region zum Teil selbst heute noch leiden. Zu­min­dest, wenn sie kein jodiertes Speisesalz im Supermarkt kau­fen.“

      Sarah, die ihre anfängliche Zurückhaltung abgelegt hatte, beugte sich vor, betrachtete den Leichnam eingehend, mus­terte dann ihren Kollegen und antwortete:

      „Ja, ich verstehe, was Sie meinen.“

      Sie lächelte die beiden Männer keck an. Unterdessen schal­tete Schwarz das Diktiergerät erneut ein und fuhr fort.

      „Multiple Stichverlet­zungen an der Vorderseite des Torsos. Ich zähle mal die Mes­serstiche, die zweifelsohne zum Able­ben des Mannes ge­führt haben. Zwo, vier, sechs, acht, naja Nummer Neun und Zehn sind etwas abgerutscht. Aber die zählen noch!“

      „Strike“, kommentierte Thomas schamlos und Sarah schüt­tel­te den Kopf.

      Schwarz zwinkerte ihr zu.

      „Außer den Messerstichen keine Auffälligkeiten an der Vor­derseite.“

      Er besah sich die Hände und Füße des Toten, prüfte die Be­weglichkeit sämtlicher Gelenke und griff wieder zum Mikro.

      „Bei äußerer Beschau keine Frakturen oder andere Ver­let­zungen feststellbar.“

      Er öffnete den Mund des Toten und leuchtete mit einer Ta­schen­lampe in den Rachen.

      „Atemwege sind, soweit von außen einzusehen, frei. Spuren von Blut in den Atemwegen und in der Speiseröhre lassen Verletzung von Lunge sowie Magen durch die Messerstiche vermuten. Und ich sehe Herrn Bierman an, dass er ganz drin­gend auf die Fingerabdrücke wartet.“

      Schwarz bemerkte Sarahs hochgezogene Augenbrauen und meinte:

      „Ich bin doch eh der Einzige, der sich das nochmals anhört. Außer meiner Sekretärin natürlich, die das abtippt. Aber sie ist erfahren genug, um den Blödsinn bei der Niederschrift weg­zulassen. Das Besteck für die Fingerabdrücke ist da drü­ben in der ober­s­ten Schublade.“

      Während der Rechtsmediziner Augen, Nase und Oh­ren des Verstorbenen untersuchte, holte Sarah das Tin­ten­kissen, den Farbroller sowie ein Klemmbrett, auf dem sich ein Blanko­formular für die Abdrücke aller zehn Finger be­fand. Ohne Schwarz zu behelligen oder Thomas um Hilfe zu bit­ten, be­gann Sarah, die Fingerabdrücke des Toten zu ne­hmen. Schwarz sah ihr einige Momente interessiert zu, blickte schließlich zu Thomas und sagte:

      „Gute Frau, die Sie da an Ihrer Seite haben! Daumen hoch!“

      Thomas nickte und lächelte seiner Partnerin anerkennend und aufmunternd zu, während Schwarz die Beweg­lich­keit des Genicks überprüfte. Dann legte er den Kopf wie­der ab und diktierte weiter.

      „Beweglichkeit des Atlanto-okzipital-Gelenks und der At­lan­to-axial-Gelenke liegt innerhalb der Norm und lässt auf keine Verletzung in diesem Bereich schließen. Öffnungen des Caput sind frei und ohne Befund.“

      Schwarz trat zu dem Seitenschrank und entnahm diesem einen dünnen Edelstahlstab mit Maßeinheiten sowie einen ebenfalls metallenen Winkelmesser. Den Stab führte er vor­sichtig in die unterste der Stichwunden ein. Als sich das Mess­instrument nicht weiterbewegen ließ, wandte er sich an Sarah.

      „Halten Sie mal bitte?“

      Sie tat wie geheißen. Schwarz legte jetzt den Winkelmesser an und las die Skalen ab. Dann schaltete er abermals das Mi­kro ein.

      „Wunde eins im rechten Oberbauch, Tiefe etwa achtzehn Zen­­timeter, Breite etwa drei Zentimeter, dreiundzwanzig Grad aufwärts geneigt. Ver­mut­lich Perforation der Lun­ge.“

      Er nahm einen

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