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Was Menschlich Ist. Sebastian Kalkuhl
Читать онлайн.Название Was Menschlich Ist
Год выпуска 0
isbn 9783754921586
Автор произведения Sebastian Kalkuhl
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie schlug auf die Wand ein und die Welt verstummte mit einem dumpfen Geräusch. Dorian ging noch einen Schritt rückwärts, doch weiter trug ihn selbst sein Fluchtinstinkt gerade nicht. Reglos schaute er zu, wie sich Risse spinnennetzartig durchs Mauerwerk ausbreiteten und das Haus nur Sekunden später in sich zusammenstürzte. Mammon nickte seelenruhig und murmelte ein zufriedenes »So«, ehe sie verschwand und direkt vor Dorians Nase wieder auftauchte. »Und nun zurück zu dir.«
Dorian schlug mit den Flügeln und der Dämonin fast damit ins Gesicht, doch er gewann nicht schnell genug an Höhe. Seine Füße streiften den Gartenzaun unter sich, er verlor das Gleichgewicht und schlug wieder auf dem Boden auf. Tränen stiegen ihm in die Augen, sein Rücken fühlte sich erst taub an, dann wie eine einzige, dumpf schmerzende Prellung. Immerhin hatte er es geschafft, die Flügel rechtzeitig einzuziehen. ›Ich gebe sie nicht her. Was bin ich ohne meine Flügel?‹
Er schaute auf. Die Bauruine war kaum noch in der Dunkelheit zu erkennen. Zwei Meter vor ihm stand Mammon von faserhaften Schatten umhüllt, beide Hände in die Hüften gestemmt. »Wenn du von alleine nicht willst, dann tu es wenigstens für Luzifer.«
»Nein«, murmelte Dorian, zwang sich auf die Beine und ging rückwärts. Dabei ahnte er schon, wie das ausging. »Das würde er nicht wollen!«
»Er ist nur zu feige, es selbst zu machen.«
›Das kann er nicht… Er ist doch ein Engel, er muss doch wissen…‹ Dorians Sichtfeld verschwamm vor lauter Tränen, bis er nur noch eine Anzahl unterschiedlich düsterer Flecken sah. Trotzdem rannte er weiter, dieses Mal Mammon entgegen, und griff sie mit wenig mehr als dem Mut der Verzweiflung an. Tatsächlich landete er mehrere Treffer, obwohl er nicht einmal genau sehen konnte, wohin er eigentlich schlug. Mammon gab einen unterdrückten, dennoch sehr entsetzten Schrei von sich, taumelte nach hinten, packte Dorian und zog ihn mit sich.
Plötzlich wurde es schwarz um ihn herum und auch das letzte Licht erlosch. Schatten krochen unter seinen Mantel und über seine Haut, hinterließen brennende Striemen und eine merkwürdige Leere. Dorian fror mitten in der Bewegung ein, als sich eine Kälte in ihm ausbreitete, die Angst und Wut kurzerhand erstarren und dann splittern ließ. Zusammen mit den Scherben stürzte er zu Boden – im nächsten Moment zog ihn jemand an den Schultern wieder auf die Beine. Durch die Tränen hindurch sah er Mammon vor sich stehen, wie sie sich Staub von den Kleidern klopfte und ihre Augen wieder grinsten. »Die Hilfe hätte ruhig früher kommen dürfen.«
Natürlich hatte er Belphegor aus den Augen verloren und ihn vergessen. Dorian schaute sich um und sah den Dämonen hinter sich mit den Schultern zucken, während er ihn weiter festhielt. Die letzten Schattenschlieren zogen sich in seine Richtung zurück, bevor sie ganz zerfaserten, als wäre nie etwas gewesen.
»Aber es hat ja funktioniert, also will ich mich nicht beschweren.«
Dorian wollte sich losreißen und kam keinen Zentimeter weit. Die Realisation, verloren zu haben, schmerzte mehr als alle Erkenntnisse der letzten Tagen zusammen. Dieses Mal ging es um seine Flügel, um alles, was er besaß. Und Luzifer sollte das befohlen haben?
»Komm«, sagte Mammon. »Dann haben wir es hinter uns.«
»Tötet mich lieber!«, hörte Dorian sich schreien und stand voll und ganz dahinter. »Bringt mich einfach um, bitte!«
»Wenn wir das vorgehabt hätten, hättest du uns in den letzten fünf Minuten genug Gelegenheit gegeben.«
»Bitte…« Die Tränen raubten ihm alle Sicht und er wollte auf die Knie gehen, flehen, betteln. »Tötet mich, bitte! Bringt mich um, ich kann das nicht, ich…«
»Du bist ein Mensch, du hältst das aus.«
»Nein!« Jetzt wusste er nicht einmal, weswegen er das schrie. »Nein, nein!«
Dorian spürte den Boden unter sich nicht mehr. Die Temperatur stieg, das war nicht mehr die Erde. Ihm wurde immer schlechter, als er Gestalten vor sich erkannte, alle fast bis zur Unkenntlichkeit verhüllt.
›Wie kann Luzifer mir das antun?‹
»So«, sagte Mammon und klang immer noch kaum angestrengt. »Macht schnell, wenn’s geht, ich habe heute noch was vor.«
15
Chris
11. November
Erde
Chris schaute an die Stelle, an der Dorian eben noch gestanden hatte, und schüttelte den Kopf. Halb erwartete er, ihn gleich zusammen mit Adrian gemeinsam auf ihn losgehen zu sehen und sich endgültig naiv vorzukommen, doch stattdessen begann Dorian zu diskutieren. Den Stimmen nach zu urteilen, brachte das herzlich wenig.
Nur einen Augenblick später traf eine plötzliche Welle von Energie Chris mitten im Gesicht, sodass er nach hinten stolperte und sich beinahe den Kopf am Beton aufschlug. Es knallte etwas weiter entfernt von ihm, er schaute wieder auf und sah zwei Umrissgestalten aufeinander losgehen, bevor sie in einen Vorgarten stürzten. Chris ahnte, dass er das in dieser Dunkelheit gar nicht erkennen können sollte.
Im nächsten Moment kam Adrian durch das Loch in der Wand geflogen und bewies, dass Blicke nicht töten konnten, denn ansonsten hätte Chris gerade das Zeitliche gesegnet. »Ich will sehen, wie du dieses Mal deinen Arsch rettest.«
Instinktiv hechtete er zur Seite und wurde trotzdem noch erwischt. Adrian packte ihn und schleifte ihn einmal durch den ganzen Raum, bis sie beide gegen die Wand stießen. Der Boden verschwand unter Chris’ Füßen und er fühlte sich kurz wie im freien Fall, dann spürte er rauen, heißen Stein unter sich. Er wurde losgelassen, blieb kurz liegen und atmete die sengende Luft ein. Immerhin hatte ihn das aufgeweckt.
Er kam auf die Beine, sah Adrian neben sich dasselbe tun und ihn mit noch deutlicherer Mordlust in den Augen erneut angreifen. Chris wollte zuerst ausweichen, realisierte aber im letzten Moment, dass er so nicht ewig weitermachen konnte, und schlug stattdessen zu. Seine Faust traf etwas Hartes und Adrian stöhnte auf, fing sich aber direkt und zielte auf Chris’ Magen.
Er biss die Zähne zusammen, wollte keinen Laut von sich geben und schaffte es nicht ganz. Kurz tanzten bunte Funken vor seinen Augen. Chris atmete tief ein und gegen das aufkommende Seitenstechen an. ›Wenn ich gewusst hätte, dass ich irgendwann hier ende, hätte ich doch mit Sport angefangen.‹
Adrian setzte dazu an, ihn in den Schwitzkasten nehmen zu wollen. Chris riss sich gerade noch rechtzeitig los, tauchte unter ihm hinweg, und schürfte sich Handflächen und Ellbogen auf. Als er sich abrollte, schaute er nach oben und bemerkte jetzt erst, unter einem freien, blutroten Himmel zu stehen – selbst außerhalb der Tunnel im Gebirge, fühlte er sich eingeschlossen. Die schiefergrauen Wolken hingen in der Luft, als liefen sie Gefahr, ihnen jeden Moment auf den Kopf zu fallen.
›Okay‹, dachte Chris. ›Mit Kraft alleine gewinne ich das hier bestimmt nicht. Aber mit ein bisschen Glück kann ich ja…‹
Er streckte einen Arm aus, so wie Dorian das gestern noch getan hatte, fokussierte sich auf eine Energie, die er nicht kannte und an die er nicht einmal glauben würde, hätte er sie nicht eigenen Leib erlebt. Tatsächlich sammelte sich etwas in seiner Handfläche und wurde als Leuchten sichtbar, bis Chris es von sich stieß – im nächsten Moment wurde Adrian von einer unsichtbaren Kraft erwischt und mit einem erneuten Schrei weit nach hinten geschleudert. Er breitete seine Flügel aus, bremste mitten in der Luft und kam zum Stehen, noch ehe er auf dem Boden aufschlug.
»Wehr du dich wenigstens nicht!«, brüllte er Chris entgegen. »Ergib dich einfach, das hätte Dorian auch machen sollen!«
»Was passiert jetzt eigentlich mit dem?« Es sollte Chris wirklich nicht kümmern, aber er kam nicht umhin, sich trotzdem zu wundern.
Adrian sank kurz Richtung Boden, landete aber nicht. Die Frage brachte ihn offensichtlich durcheinander. »Luzifer hat die Höchststrafe