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Was Menschlich Ist. Sebastian Kalkuhl
Читать онлайн.Название Was Menschlich Ist
Год выпуска 0
isbn 9783754921586
Автор произведения Sebastian Kalkuhl
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er seufzte leise in sich hinein. Dann traute er sich, Seraphiel ins Gesicht zu sehen und zuzulassen, dass seine aufgewühlte Gefühlswelt daraufhin gelesen wurde, als wäre sie nur ein weiteres Buch.
»Ich weiß nicht«, sagte er, irgendwo musste er ja anfangen. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, ob ich schwören soll oder nicht. Ich weiß nicht, wer ich sein will und… wer ich bin.«
Und es wurde schlimmer, je öfter Metatron mit Gott sprach. Immer weniger wusste er, was für ein Geschlecht seine eigenen Gedanken eigentlich hatten, wie er Gott nennen sollte und was das alles bedeutete. Gleichzeitig redete ihm eine ganz besondere Form von schlechtem Gewissen ein, dass er das doch gefälligst zu wissen hatte.
Seraphiel nickte bedächtig, griff nach seinem Tee und zuckte zurück, als er den heißen Becher berührte. Unterdessen studierte er Metatron mit wachem Blick. Mit jedem Blinzeln öffneten sich mehr Augen auf seinem ganzen Körper, blieben nur einen Moment lang sichtbar und ließen Betrachter häufig mit Zweifeln an ihrem eigenen Verstand zurück. Das war Seraphiels Art zu lesen: Hauptsächlich in Gefühlen seines Gegenübers, selten in Gedanken. Zumindest behauptete er, Letzteres nicht zu tun.
Da keine schmerzhaft genaue Analyse von Metatrons Seelenleben folgte, schien Seraphiel auf den ersten Blick auch nicht schlau aus dem Chaos zu werden. »Was hält dich davon ab, dich für den Schwur zu entscheiden?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht.« Die ehrlichste Antwort, aber auch die am wenigsten hilfreiche. Bei dem aktuellen Stand hätte er gleich im Bett bleiben können, um da deutlich effizienter keine Ahnung zu haben. Metatron zwang sich, weiter zu reden. »Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin«, gab er zu. »Ich weiß nicht, ob ich die Verantwortung tragen und Gottes Ansprüchen gerecht werden kann.«
»Verstehe.« Als wohl einzige Person auf der Welt log einen Seraphiel mit diesen Worten nicht an. »Aber ich bin mir sicher, dass Gott weiß, was er tut. Er würde dir diesen Titel und diese Aufgaben nicht anbieten, wenn er nicht wüsste, dass du mit ihnen zurechtkommst. Er setzt sein Vertrauen in dich.«
›Er setzt sein Vertrauen in mich‹, dachte Metatron. Der Satz fühlte sich auf so vielen Ebenen falsch an, dass er gar nicht wusste, wo er anfangen sollte. ›Er… Das ist nicht richtig, nicht so. Gott ist nicht männlich für mich.‹
Seraphiels Augen blinzelten. Er bekam die anhaltende Verwirrung wohl mit. »Aber abgesehen davon hast du dich dein Leben lang auf den Schwur vorbereitet. Und ich kenne dich Metatron, ich weiß, was du kannst. Vertrau dir ruhig selbst.«
»Also denkst du, dass ich schwören soll?«
Seraphiel gab lange keine Antwort. Er saß regungslos auf dem Sofa, schaute zu Boden und schien ernsthaft überlegen zu müssen, bis ihm etwas einfiel. Schließlich seufzte er und gab Metatron damit noch mehr das Gefühl, ihm auf die Nerven zu gehen.
»Du dienst Gott bereits jetzt schon«, erklärte der ältere Seraph. »Wenn du volljährig wirst, dann wirst du das auch offiziell tun, und in dem Sinne ist der Schwur nichts weiter als eine Formsache. Das Einzige, was sich ändert, ist dein Titel und deine Wirkung auf den Himmel. Alle Engel hätten dann eine Verbindung zu Gott und die Sicherheit, dass die Seraphim nach seinem Willen handeln. Es hätte seine Vorteile.«
›Ich sollte schwören‹, dachte Metatron und fühlte sich schlecht, weil er sich deswegen schlecht fühlte. Er sollte es als eine Ehre betrachten, und Seraphiel fand das offensichtlich auch, das machte er gerade mehr als deutlich. Aber wenn er auch nur einen Moment lang aufhörte, sich das einreden zu wollen, dann blieb nur noch der zusehends verzweifelte Wunsch, jemand anders möge die Wahl für ihn treffen.
»Was denkt Sandalphon?«
Seines Wissens nach hatte sein Bruder sich schon entschieden, als Gott noch nicht ganz fertig gewesen war, ihnen den Sachverhalt zu erklären. »Wir sprechen nicht darüber.«
Seraphiel hob eine Augenbraue. »Nicht?«
»Wir haben alles Wichtige diskutiert.« Metatron schwieg kurz. Gerade würde das nur ein weiteres Fass aufmachen, mit dessen Inhalt er sich nicht auseinandersetzen wollte. »Am Ende ist es unsere persönliche Entscheidung.«
»Das ist richtig, aber es geht euch ja beide an.«
Es war nicht so, als hätten sie es nicht versucht. Aber schon nach kurzer Zeit regte sich Sandalphon auf und behauptete, Gottes Konditionen würden sie mehr zu Dienern als zu Herrschern machen. Metatron hatte geschwiegen und seinen Bruder reden lassen, konnte die Argumente auf der einen Seite zwar nachvollziehen, doch auf der anderen Seite schien es doch seine Pflicht zu sein, diesen Schwur zu leisten. Deswegen war er geschaffen geworden.
Seraphiel schaute ihn unterdessen prüfend aus zu vielen Augen an. »Dich beschäftigt mehr als nur der Schwur an sich, richtig?«
›Ja, natürlich, aber wie soll ich das erklären? Wie soll ich dir verständlich machen, dass ich nicht weiß, wer ich bin, weil ich nicht weiß, wer Gott für mich ist? Die Frage stellt sich doch für niemanden.‹ Noch weigerte sich Metatron, sich selbst als kaputt zu bezeichnen, aber langsam gingen ihm die Gegenargumente dafür aus. In diesem Moment fühlte sich alles an ihm grundlegend falsch an.
Er schüttelte den Kopf und schluckte den ganzen Wust zusammen mit seinem Tee herunter. Vielleicht ein anderes Mal, wenn er mehr wusste. »Es ist nur so eine wichtige Sache und ich will sie richtig machen.«
Ob Seraphiel ihm glaubte, blieb fraglich, aber immerhin schien er die Antwort zu akzeptieren. »Du kannst wiederkommen und mit mir reden, wenn du willst«, sagte er. »Dafür nehme ich mir die Zeit. Ich will, dass du dich guten Gewissens entscheiden kannst.«
Es kostete Metatron alle Beherrschung, um nicht zu laut lachen. Ihm war längst bewusst, dass das nie im Leben so einfach werden würde. Immerhin konnte er sich jetzt noch einreden, dass der Schwur über ein Jahr weit weg war und ihm noch reichlich Zeit blieb. Noch bestand die Chance, dass sich alle Probleme von alleine lösten.
›Ich will nur wissen, wer ich sein soll‹, dachte er. ›Wie kann das zu viel verlangt sein?‹
18
Dorian
11. November
Hölle
Stunden vergingen, ohne dass jemand Dorian anrührte. Sie hatten ihn gefesselt, an den Boden gekettet, und das Metall mit einer Energie infundiert, die ihn daran hinderte, auf die Erde zu flüchten. Mit einem ähnlichen Mechanismus hielt Gott Luzifer in der Hölle fest, soweit er wusste.
›Luzifer‹, dachte Dorian. Das Gesicht seines Meisters erschien vor seinem geistigen Auge. ›Ich will nach Hause. Bitte, ich tue alles, ich… Nimm mir nur meine Flügel nicht.‹
Im Augenwinkel sah er mehrere Dämonen vor sich stehen, hörte sie diskutieren. Eine neue Gestalt ganz in schwarz kam gerade dazu und schrie die anderen mit schriller Stimme an. Die Worte stachen wie ein Migräneanfall durch Dorians Kopf. »Wie, ihr habt noch nicht angefangen? Ihr solltet längst fertig sein!«
»Wir wurden… aufgehalten.«
Kollektives Seufzen.
»Und der andere falsche Engel ist auch noch nicht hier, auf den hätten wir eigentlich warten sollen.«
»Soll der Luzifer die Füße küssen, er wird sowieso ohnmächtig, bevor wir fertig sind.« Kurz Stille. »Und jetzt mach hin, ich habe keine Lust, dass der uns stirbt, bevor ihn jemand angerührt hat.«
Die Panik drückte Dorians Lungen zusammen, ließ ihn ein letztes Mal ausatmen und schnürte ihm dann die Kehle zu. Er krümmte sich zusammen, versuchte noch einmal zu schreien – ein jämmerlicher Laut entkam seiner Kehle. »Nein. Bitte…«
Der Dämon vor ihm zuckte mit den Schultern, und schaute ihn aus gelben Schlangenaugen an. »Tut mir leid, aber gerade können wir