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sie lauthals anfing zu lachen. Das Lachen brach so plötzlich ab, wie es aus ihr heraus gefallen war. „Ich hab’ ganz gemein geträumt!“, sagte sie endlich, und ihre vollen Lippen stülpten sich etwas eingeschnappt nach vorn – eine viele Male erprobte Geste, die mit einiger Sicherheit das benötigte Verständnis und den Trost Trautel Melanchfuls aktivierte.

      Trautel Melanchful nahm ihre Hände, die sich noch immer in ihre magere Haut krallten und nun weiße Druckstellen hinterließen, und zeigte ein geheimnisvolles Lächeln ... „Ich weiß, meine kleine Kishou!“, sagte sie. „Es ist nun die Zeit der Erinnerung!“.

      „Was für eine Erinnerung?“, fragte die Kleine verwundert.

      „Nun – die Erinnerung an deine Zukunft!“

      „Hä?“, wunderte die sich. „Wie soll man sich denn an die Zukunft erinnern … Das geht doch gar nicht! … Die ist doch … Die ist doch … da vorn!“ Sie machte eine ausladende Handbewegung ins Nirgendwo und schaute dabei verwundert und etwas zweifelnd auf Trautel Melanchful.

      Die Alte lächelte und schüttelte sanft ihren Kopf. „Nein, meine kleine Kishou. Es ist immer das Vergangene, das du in der Ferne findest.“

      Ihr Tonfall wurde plötzlich ernster, ohne aber an Wärme zu verlieren. „Es ist ein tiefes Geheimnis in dir verborgen, und es ist nun die Zeit, es zu ergründen!“

      Die Gelöstheit verschwand jäh aus dem Gesicht des Mädchens. Sie verstand nichts von dem, was Trautel Melanchful da sagte, aber eine schnell aufkeimende innere Beunruhigung ließ keinen Zweifel daran, dass irgend etwas in ihr wusste, was die Worte der Alten bedeuteten. Unwillkürlich begann sie, ihr kleines Bäuchlein zu streicheln, aber diesmal war es anders als sonst, und ihr Herz begann eher noch heftiger zu schlagen. „Was meinst du damit? Ich weiß gar nicht … wovon du redest!“, stammelte sie abwehrend.

      Trautel Melanchfuls Gesicht straffte sich noch etwas mehr, und gab dem Kerzenlicht nun kaum mehr eine Gelegenheit, einen Schatten darin zu verbergen ... „Du hast mich niemals nach dem Großen Belfelland befragt, in dem unsere kleine Heimstatt ruht. Nun ist die Zeit, da du es ergründen wirst. Dort findest du alle Ursache und das tief in dir ruhende Geheimnis!“ Ihr schmächtiger, verkrümmter Körper richtete sich während ihres Erzählens etwas auf, und schien an Kraft zu gewinnen. „Das Ergründen dieses Geheimnisses, das weit außerhalb deiner Erinnerung liegt, ist für mich von großer Bedeutung. Ich habe sehr lange warten müssen auf diesen Tag, und ich weiß, wie sehr du ihn in deinem Inneren fürchtest. Doch in jener Zeit, die so weit außerhalb deiner Erinnerung liegt, hast du meine Hilfe erbeten – und gefordert dich zu mahnen, wenn die Zeit dafür ist. Dies ist nun die Zeit!“

      Die kleine Kishou begann während der Kunde Trautel Melanchfuls nervös an ihrem Bäuchlein herumzukratzen. Nicht, dass sie sich an irgend etwas erinnerte, aber dennoch war da das höchst ungute Gefühl, dass etwas Bedeutendes geschah, dem sie nicht entfliehen konnte. Am liebsten hätte sie jetzt irgend etwas eingeworfen, das befähigt wäre, auf ein belangloses Thema umzuschwenken, doch sie spürte, dass es dazu bereits zu spät war. „Es passier’n schon lange so komische Sachen … ich versteh’ das alles nicht!“, dachte sie mehr laut, als dass sie die Alte tatsächlich ansprach … „Hat das auch damit zu tun ... was ich immer wieder im Garten sehe?“, fiel ihr plötzlich ein. Es war immerhin eine gute Gelegenheit, dieses Thema anzusprechen.

      „Was ist in unserem Garten?“, fragte die Alte.

      „Ich hab’ keine Ahnung!“, stöhnte Kishou fast etwas genervt. „Ich erschreck’ mich immer so, wenn es da ist, und versteck’ mich dann ganz schnell. Wenn ich dann wieder hingucke, ist es weg. Ich dachte, du hättest es heute auch gesehen, … wie du am Fenster gestanden bist!“

      „Ach das meinst du ...“, lächelte Trautel Melanchful.

      „Du hast es also auch gesehen?“ Kishous Augen öffneten sich weit.

      „Natürlich, ich sehe es immer, denn es ist immer da!“

      „Wieso hast du mir nie davon erzählt? – ich erschreck’ mich doch immer so, wenn ich es sehe … Was ist das denn?“, fragte sie nun doch mit einem durchaus vorwurfsvollen Unterton.

      Trautel Melanchful lächelte und schaute ihr tief in die Augen. „Es ist deine Erinnerung, die dein Geheimnis bewahrt. Deine Furcht vor ihr ist jedoch noch zu groß, um ihr ins Angesicht zu sehen! Manchmal kannst du nun schon einige Konturen erkennen – soviel, wie deine Furcht zulässt. Seit du es zum ersten Mal bemerkt hast, bist du bereits auf dem Weg – verstehst du?“

      Kishou verstand nicht – und sie hatte auch nicht das leiseste Interesse daran, es zu verstehen. Sie verspürte ein aufkommendes Gefühl der Übelkeit, und auch das heftigste Reiben an ihrem Bäuchlein brachte keine Beruhigung mehr. „Es ist sicher alles nur Einbildung!“, entschied sie unmissverständlich abwehrend.

      „Ja“, antwortete das Mütterchen. „Es sind deine inneren Bilder, die du seit jeher in dir trägst!“

      Kishou sagte nun nichts mehr. Zu sehr war sie mit ihrem Bäuchlein beschäftigt und starrte dabei an die Decke, während ihr Kopf verzweifelt nach einer einfachen Erklärung – oder wenigstens nach einem Ausweg aus dieser Bedrohung suchte.

      Es folgte ein Moment der Stille, der auch nicht gerade geeignet war, sie zu beruhigen …

      „Möchtest du nichts über das Große Belfelland wissen, das sich hinter der hohen Hecke unseres Gartens in alle vier Winde erstreckt?“

      „Nein!“, schoss es aus Kishou heraus, noch bevor Trautel Melanchful ihre Frage richtig beenden konnte. „... ist doch egal!“, schimpfte sie fast. „Das interessiert mich nicht!“ Ihre Lippen schoben sich zu einem ausdrücklichen Schmollmund nach vorn und ihr Blick starrte unter den nach unten gezogenen Augenbrauen an die gegenüberliegende Wand.

      „Wäre es dir gleichgültig, wenn ich sterben müsste?“, fragte Trautel Melanchful übergangslos, aber mit der selben ruhigen, klaren Stimme.

      Kishou schaute erschrocken zu ihr auf – um aber sofort wieder das Schmollgesicht aufzusetzen ... „Quatsch!“, bemühte sie sich zu schimpfen. „Was hat das denn damit zu tun!? Es interessiert mich eben nicht, was da draußen ist! Na und?“ Gerade rechtzeitig fiel ihr die Geschichte von Liza und den Räubern ein, die ihr Trautel Melanchful einmal erzählte. Liza war sehr stark, und sprach immer mit sehr klaren und deftigen Worten – das hatte ihr sehr imponiert. Und die passten jetzt genau hier hin, wie sie befand.

      „Und doch ist mein Leben untrennbar verbunden mit der Aufgabe, die du dir einst gestellt hast!“, antwortete Trautel Melanchful ernst.

      „Da bin ich aber gespannt!“, murrte Kishou – und sie war gar nicht gespannt. Es war ihr einfach nur elend zumute, und auch der noch so verzweifelte Versuch, sich in die ,starke Liza’ hineinzufühlen, konnte daran nichts wirklich ändern. Sie hatte keinerlei Erinnerung an irgendetwas, was das Frösteln ihres noch jungen Körpers erklären konnte. Es war wohl der Körper, der sich erinnerte – auf jeden Fall wollte er nicht mehr zur Ruhe kommen.

      „Und überhaupt – was denn für eine Aufgabe?“, trotzte sie weiter in die unerträgliche Stille hinein, weil Trautel Melanchful nicht gleich geantwortet hatte – aber im selben Moment hatte sie ihre Frage auch schon wieder bereut.

      Trautel Melanchful bemerkte die Falle, die sich Kishou selbst gestellt hatte, und lächelte. Sie nahm die Hände der Kleinen und drückte sie. „Hier wirst du dich immer festhalten können, auch wenn du sie einmal nicht fühlst!“

      Die Alte erhob sich von dem Bett und schlurfte zu der betagten Kommode hinüber, die am Fußende des Bettes, an der gegenüberliegenden Wand stand. Sie bückte sich, zog die unterste Lade weit auf, wühlte zwischen einem großen Haufen getrockneter Blätter herum, die sich im Laufe der Jahre dort angesammelt hatten – Kishou pflegte schon immer die schönsten Blätter die sie fand, zu sammeln – und zog endlich eine kleine Truhe hervor. Sie wischte mit der Hand ein paar Blattkrümel von ihr herunter und betrachtete sie einen Moment. Dann schob sie die Lade wieder in die Kommode hinein und schlurfte mit der Truhe

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