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der Ergebenheit und Hochachtung gegeben, die das Polizeioberhaupt der hohen Stellung der Marchesa del Dongo und den angesehenen Persönlichkeiten schuldete, die gekommen waren, sich für sie ins Mittel zu legen.

      Die Marchesa war in Verzweiflung, als sie die Antwort des Barons Binder erfuhr.

      »Fabrizzio wird verhaftet werden,« rief sie weinend, »und wenn er einmal im Gefängnis ist, weiß Gott, wann er wieder herauskommt. Sein Vater wird ihn verleugnen.«

      Die Pietranera und ihre Schwägerin hielten mit zwei oder drei vertrauten Freunden Rat, und was sie auch sagen mochten, die Marchesa wollte ihren Sohn durchaus sofort abreisen lassen.

      »Aber du siehst doch,« sagte die Gräfin zu ihr, »daß der Baron Binder weiß, daß dein Sohn hier ist. Dieser Mann ist keineswegs bösartig.«

      »Nein, aber er will sich beim Kaiser Franz beliebt machen.«

      »Aber wenn er es für seine Laufbahn nützlich hielte, Fabrizzio ins Gefängnis zu werfen, so wäre er längst drin. Es hieße ihm ein beleidigendes Mißtrauen bezeigen, wenn man ihn flüchten ließe.«

      »Aber uns eingestehen, daß er weiß, wo Fabrizzio ist, heißt uns sagen: ›Laßt ihn fliehen!‹ Nein, ich kann nicht aufatmen, solange ich mir wiederholen muß: In einer Viertelstunde kann mein Sohn zwischen vier Kerkermauern sitzen! Wie es auch mit Baron Binders Ehrgeiz stehen mag,« fuhr die Marchesa fort, »es dünkt ihn vorteilhaft für seine persönliche Stellung hierzulande, einem Mann vom Range meines Gatten gegenüber Zurückhaltung zur Schau zu tragen, und ich sehe den Beweis dafür in dieser sonderbaren Offenherzigkeit, mit der er bekennt, er wisse, wo mein Sohn zu fassen sei. Noch mehr: der Baron erläutert freundlichst die beiden Übertretungen, deren Fabrizzio durch die Anzeige seines würdelosen Bruders beschuldigt ist. Er weist darauf hin, daß beide Übertretungen Gefängnisstrafen nach sich ziehen. Heißt das alles nicht: Wenn wir die Verbannung vorziehen, so steht die Wahl bei uns?«

      »Wenn du die Verbannung wählst,« wiederholte die Gräfin immer wieder, »werden wir ihn im Leben nicht wiedersehen.«

      Fabrizzio war bei der ganzen Unterhaltung zugegen, ebenso ein alter Freund der Marchesa, jetzt Rat an dem von den Österreichern eingesetzten Gerichtshof. Fabrizzio war durchaus dafür, sich aus dem Staube zu machen; und in der Tat verließ er am Abend den Palast, in dem Wagen versteckt, mit dem seine Mutter und seine Tante zur Scala fuhren. Der Kutscher, dem man mißtraute, kehrte wie gewöhnlich in einem Wirtshaus ein, und während der Diener, ein zuverlässiger Mann, die Pferde bewachte, schlüpfte Fabrizzio, als Bauer verkleidet, aus dem Wagen und verließ die Stadt. Am nächsten Morgen kam er mit gleichem Glück über die Grenze, und einige Stunden später war er auf einem Landgut, das seine Mutter in Piemont besaß. Es lag nahe bei Novara, genauer bei Romagnano, wo Bayard gefallen ist.

      Man kann sich denken, mit welcher Aufmerksamkeit die Damen in ihrer Loge in der Scala der Oper zuhörten. Sie waren nur hingegangen, um einige Freunde befragen zu können, die zur liberalen Partei gehörten und deren Erscheinen im Palazzo del Dongo von der Polizei übel gedeutet werden konnte. In der Loge wurde beschlossen, einen neuen Schritt beim Baron Binder zu unternehmen. Jenem hohen Beamten, einem durchaus ehrenhaften Manne, Geld zu bieten, war ausgeschlossen, zumal die Damen äußerst arm waren; sie hatten Fabrizzio genötigt, alles mitzunehmen, was aus dem Erlös des Diamanten übrig geblieben war.

      Es war jedenfalls sehr wichtig, das letzte Wort des Barons zu wissen. Die Freunde der Gräfin erinnerten sie an einen gewissen Kanonikus Borda, einen äußerst liebenswürdigen jungen Mann, der ihr früher den Hof hatte machen wollen, und zwar auf ziemlich häßliche Weise. Da er nichts erreichen konnte, hatte er dem General Pietranera ihre Freundschaft mit Limercati hinterbracht, worauf er als Schurke zum Teufel gejagt wurde. Nun spielte dieser Kanonikus allabendlich eine Partie Tarock mit der Baronin Binder und war natürlich der vertraute Freund des Gatten. Die Gräfin entschloß sich zu dem fürchterlich peinlichen Schritt, dem Kanonikus einen Besuch zu machen; und am folgenden Morgen ließ sie sich bei ihm zu früher Stunde, bevor er ausging, melden.

      Als der einzige Diener dem Kanonikus den Namen der Gräfin Pietranera meldete, wurde er so erregt, daß er fast nicht sprechen konnte; er vergaß sogar, seinen sehr einfachen Morgenanzug etwas zu ordnen.

      »Führen Sie die Dame herein und gehen Sie!« sagte er mit erstickter Stimme.

      Die Gräfin trat ein. Borda warf sich auf die Kniee.

      »Nur in dieser Stellung darf ein unglücklicher Tor Ihre Befehle entgegennehmen!« sagte er zur Gräfin, die an jenem Morgen in ihrem leichten Kleid, ein wenig vermummt, von unwiderstehlichem Reiz war. Ihr tiefer Schmerz über Fabrizzios Verbannung, der starke Wille, mit dem sie sich überwand, einen Mann aufzusuchen, der sich ihr gegenüber heimtückisch benommen hatte, – alles wirkte zusammen, ihrem Blick einen unbeschreiblichen Glanz zu geben.

      »Nur in dieser Stellung will ich Ihre Befehle entgegennehmen,« rief der Kanonikus, »denn offenbar wollen Sie mich um einen Dienst bitten, sonst hätten Sie das armselige Haus eines unglücklichen Narren nie mit Ihrer Gegenwart beehrt. Ich habe damals, verleitet von Liebe und Eifersucht, gemein gegen Sie gehandelt, als ich sah, daß ich Ihnen nicht zu gefallen vermochte.«

      Diese Worte waren aufrichtig und um so edler, als der Kanonikus sich jetzt großer Macht erfreute. Die Gräfin war darüber bis zu Tränen gerührt. Demütigung und Angst hatten ihre Seele erstarrt; im Nu vertrieben Rührung und leise Hoffnung diese Empfindungen. Aus einem tief unglücklichen Zustand geriet sie blitzschnell beinahe ins Glück.

      »Küsse mir die Hand«, sagte sie zum Kanonikus, indem sie ihm die Rechte reichte, »und steh auf!« (Man muß wissen, daß das Duzen in Italien ebenso offene und ehrliche Freundschaft wie ein zärtlicheres Gefühl bedeutet.) »Ich wollte dich bitten, dich für meinen Neffen Fabrizzio einzusetzen. Was du hörst, ist die reine Wahrheit, wie man sie einem alten Freunde sagt. Er ist sechzehn und ein halbes Jahr alt und hat soeben eine großartige Tat begangen. Wir waren im Schlosse Grianta am Comer See. Eines Abends um sieben Uhr erfahren wir durch eine Barke von Como die Landung des Kaisers im Golf von Juan. Am anderen Morgen schmuggelt sich Fabrizzio nach Frankreich hinüber, mit dem Paß eines seiner Freunde aus dem Volke, eines Barometerhändlers, namens Vasi. Da er nicht gerade wie ein Hausierer aussieht, ist er keine zehn Meilen drinnen in Frankreich, als man ihn bereits einsperrt; seine überschwenglichen Schwärmereien in schlechtem Französisch hatten Verdacht erweckt. Nach geraumer Zeit ist er wieder entwischt und nach Genf geflohen. Wir haben ihn in Lugano abholen lassen ...«

      »Das heißt in Genf«, unterbrach sie der Kanonikus lächelnd.

      Die Gräfin führte ihre Erzählung zu Ende.

      »Ich werde das Menschenmögliche für Sie tun«, erwiderte der Kanonikus herzlich. »Ich stehe Ihnen ganz zu Diensten. Ich will sogar Unvorsichtigkeiten begehen«, fügte er hinzu. »Sagen Sie mir, was ich zu tun habe in dem Augenblick, da dieses ärmliche Zimmer wieder leer ist von der himmlischen Erscheinung, die in der Geschichte meines Daseins ein großes Erlebnis bedeutet!«

      »Sie müssen zum Baron Binder gehen und ihm sagen, daß Sie Fabrizzio von der Wiege an liebten, daß Sie zur Zeit seiner Geburt in unserem Hause verkehrt hätten. Bitten Sie ihn, er möge aus Freundschaft für Sie alle seine Spione in Bewegung setzen, um klarzustellen, ob Fabrizzio vor seiner Abreise nach der Schweiz irgendwie in Verbindung mit einem jener Liberalen gestanden hat, die er überwachen läßt. Wenn der Baron nur im geringsten gut bedient wird, so muß er sehen, daß es sich hier lediglich um eine echte Jugendeselei handelt. Wie Sie wissen, hatte ich in meiner schönen Wohnung im Palazzo Dugnani Stiche von den siegreichen Schlachten Napoleons. An den Unterschriften dieser Stiche hat mein Neffe das Lesen gelernt. Von seinem fünften Jahre an wurden ihm von meinem armen Mann jene Siege erklärt. Wir setzten ihm den Helm meines Mannes auf, und der Junge schlepte seinen langen Säbel. Dann, eines schönen Tages, erfährt er, daß der Abgott meines Mannes, daß der Kaiser nach Frankreich zurückgekehrt ist. Er will zu ihm in seiner jugendlichen Unbesonnenheit, aber es gelingt ihm nicht. Fragen Sie Ihren Baron, mit welcher Strafe diese Torheit gesühnt werden soll!«

      »Ich habe etwas vergessen«, rief der Kanonikus. »Sie werden sehen, daß ich der Verzeihung, die Sie mir gewähren, nicht

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