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Die Kartause von Parma. Stendhal
Читать онлайн.Название Die Kartause von Parma
Год выпуска 0
isbn 9783754174517
Автор произведения Stendhal
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Einer der unberittenen Husaren sieht die beiden Brückenverteidiger am Boden liegen, benutzt die Gelegenheit, schwingt sich auf Fabrizzios Pferd und will es eben in Galopp setzen. Der Wachtmeister ist inzwischen aus dem Gasthof herbeigeeilt, weil er seinen Oberst hat fallen sehen und ihn schwer verletzt glaubt. Er rennt dem Pferde Fabrizzios nach und stößt seine Säbelspitze dem Räuber in die Lenden. Der fällt.
Als die übrigen Husaren nur noch den Wachtmeister auf der Brücke stehen sehen, reiten sie im Galopp darüber weg und verschwinden schleunigst. Der zu Fuß flieht in die Felder.
Der Wachtmeister ging zu den Verwundeten. Fabrizzio war bereits wieder auf den Beinen. Die Wunde schmerzte nicht weiter, blutete jedoch stark. Der Oberst erhob sich nur mühsam; sein Sturz hatte ihn betäubt, aber er war nicht verletzt.
»Ich habe keine Schmerzen,« sagte er zum Wachtmeister, »nur in meiner alten Wunde an der Hand.«
Der vom Wachtmeister verwundete Husar starb.
»Zum Teufel mit ihm!« rief der Oberst, und zum Wachtmeister und den anderen beiden herbeikommenden Reitern gewandt, fügte er hinzu: »Sorgt nur für den jungen Kerl da, dem es so übel ergangen ist durch meine Schuld! Ich will selber auf der Brücke bleiben und versuchen, die Tollgewordenen aufzuhalten. Führt den jungen Mann in den Gasthof und verbindet ihm den Arm! Nehmt eins von meinen Hemden!«
Fünftes Kapitel
Das ganze Abenteuer hatte keine Minute gedauert. Fabrizzios Wunden waren unbedeutend. Man verband ihm den Arm mit Leinwandstreifen, die aus dem Hemd des Obersts geschnitten wurden, und wollte ihm ein Lager im Obergeschoß des Gasthofs bereiten.
»Aber während ich hier in der Oberstube aufgepäppelt werde,« sagte Fabrizzio zum Wachtmeister, »wird sich mein Pferd unten im Stall allein langweilen und mit einem anderen Herrn auf und davon gehen.«
»Gar nicht übel für einen Rekruten!« meinte der Wachtmeister.
Man bettete Fabrizzio auf frisches Stroh in demselben Stand, wo sein Pferd angebunden war. Da er sich sehr schwach fühlte, brachte ihm der Wachtmeister einen Becher Glühwein und unterhielt sich ein wenig mit ihm. Ein paar in die Unterhaltung eingeflochtene Lobsprüche versetzten unseren Helden in den siebenten Himmel.
Der Morgen graute schon, als Fabrizzio erwachte. Die Pferde wieherten unablässig und machten schrecklichen Lärm. Der Stall war voller Rauch. Zunächst begriff Fabrizzio die Unruhe nicht. Er besann sich kaum, wo er sei. Schließlich, halb erstickt vom Qualm, kam er auf den Gedanken, das Haus müsse brennen. Im Nu war er aus dem Stall und aufgesessen. Er hielt Umschau. Mächtiger Rauch quoll aus den beiden Fenstern über dem Stall, und das ganze Dach stak in wirbelndem, schwarzem Qualm. Etwa hundert Flüchtlinge waren nachts im Weißen Roß angelangt. Alles schrie und fluchte. Die fünf oder sechs, die Fabrizzio am nächsten standen, waren offenbar sinnlos betrunken. Einer von ihnen wollte ihn festnehmen und brüllte ihn an: »Wohin willst du mit meinem Gaul?«
Als Fabrizzio eine Viertelstunde geritten war, wandte er sich um. Kein Mensch war ihm gefolgt. Der Gasthof stand in Flammen. In der Ferne sah Fabrizzio die Brücke. Er begann seine Wunde zu fühlen. Der Verband drückte, und der Arm war ganz heiß. ›Was mag aus dem alten Oberst geworden sein?‹ dachte er. ›Er hat sein Hemd hergegeben, damit mein Arm verbunden würde.‹
Unser Held war an diesem Morgen wundervoll kaltblütig. Der starke Blutverlust hatte ihm die ganze Romantik seines Wesens genommen.
›Nach rechts,‹ sagte er sich, ›und weg von hier!‹ Gemächlich begann er den Fluß entlang zu reiten, der unterhalb der Brücke nach rechts von der Straße fortfloß. Die Ratschläge der guten Marketenderin fielen ihm wieder ein. ›Das war Freundschaft!‹ sagte er sich. ›Was für ein ehrlicher Charakter!‹
Nach einer Stunde Wegs fühlte er sich sehr matt. ›Ach, ob ich ohnmächtig werde?‹ sagte er sich. ›Wenn ich ohnmächtig werde, wird man mir mein Pferd rauben und vielleicht meine Kleider und damit mein Hab und Gut.‹ Er hatte nicht mehr die Kraft, die Zügel zu halten, und saß nur noch mühsam aufrecht. Da kam ein Bauer, der auf einem Felde dicht an der Straße gearbeitet und seine Blässe bemerkt hatte, und bot ihm ein Glas Bier und ein Stück Brot an.
»Als ich Sie so bleich sah, habe ich mir gleich gedacht, daß Sie einer der Verwundeten aus der großen Schlacht sind«, sagte der Landmann zu ihm. Nie kam Hilfe gelegener. Im Augenblick, da Fabrizzio in das Stück Schwarzbrot biß, begann es ihm vor den Augen zu flimmern.
Als er sich ein wenig erholt hatte, bedankte er sich.
»Und wo bin ich?« fragte er.
Der Bauer sagte ihm, daß er noch drei Viertelstunden vom Marktflecken Zoonders entfernt sei, wo er gute Pflege finden werde.
Fabrizzio erreichte den Ort, ohne zu wissen, wie; bei jedem Schritt fürchtete er, vom Pferde zu fallen. Er erblickte ein weites, offenes Tor und ritt hinein. Es war der ›Gasthof zur Prelle‹. Alsbald kam die gutmütige Wirtin, ein Riesenweib, herbei. Voller Mitleid rief sie nach ihren Leuten. Zwei junge Mädchen halfen Fabrizzio aus dem Sattel. Kaum war er vom Pferd herunter, als er die Besinnung gänzlich verlor. Ein Arzt wurde gerufen; man ließ ihn zur Ader. Diesen und die folgenden Tage wußte Fabrizzio nicht, was ihm geschah; er schlief fast ununterbrochen.
Die Stichwunde im Schenkel drohte bedenklich zu eitern. Als er wieder bei Besinnung war, legte er den Leuten die Pflege seines Pferdes ans Herz und wiederholte öfters, daß er gut zahlen werde. Das kränkte die gute Wirtin und ihre Töchter.
Vierzehn Tage lang wurde er bewundernswürdig gepflegt. Er begann wieder klarere Gedanken zu haben. Da bemerkte er eines Abends, daß seine Wirtsleute sehr verstört aussahen. Bald darauf trat ein deutscher Offizier in die Stube. Um ihm zu antworten, bediente man sich einer Sprache, die Fabrizzio nicht verstand, aber er merkte sehr wohl, daß die Rede von ihm war. Er tat, als ob er schliefe. Eine Weile darauf, als er dachte, der Offizier könne fort sein, rief er seine Wirtsleute.
»Hat mich der Offizier nicht eben in eine Liste eingetragen und mich für kriegsgefangen erklärt?«
Die Wirtin gab es mit Tränen in den Augen zu.
»Gut! In meiner Attila steckt Geld!« rief er und richtete sich in seinem Bett auf. »Kaufen Sie mir Zivilkleider! Ich will heute nacht auf meinem Pferde davonreiten. Sie haben mir bereits einmal das Leben gerettet, als Sie mich in einem Augenblick aufnahmen, da ich nahe daran war, auf der Straße umzufallen. Retten Sie es mir ein zweites Mal, indem Sie mir behilflich sind, zu meiner Mutter zurückzukehren.«
Da wollten die Töchter der Wirtin in Tränen zerfließen; sie zitterten für Fabrizzio, und da sie einige Brocken Französisch konnten, setzten sie sich an sein Bett und richteten allerlei Fragen an ihn. Mit ihrer Mutter besprachen sie sich auf flämisch, wobei sie sich fortwährend mit zärtlichen Blicken nach unserem Helden umwandten. Er glaubte zu verstehen, daß ihnen seine Flucht große Unannehmlichkeiten bereiten könne, sie es jedoch gern darauf ankommen lassen wollten. Er dankte ihnen in überschwenglichen Worten und faltete dabei die Hände. Ein Jude im Ort besorgte einen vollständigen Anzug. Aber als er ihn gegen zehn Uhr abends brachte und die jungen Mädchen den Zivilrock mit seiner Uniform verglichen, stellte es sich heraus, daß er viel zu weit war. Sogleich gingen sie an die Arbeit des Engernähens. Es gab keine Zeit zu verlieren. Fabrizzio bezeichnete die Stellen seiner Attila, wo Napoleons verborgen staken, und bat seine Wirtsleute, sie in die neuen Kleidungsstücke einzunähen. Zugleich mit dem Anzug war ein schönes Paar neuer Stiefel gebracht worden. Fabrizzio trug kein Bedenken, die Mädchen zu bitten, die Schäfte der Husarenstiefel an der Stelle aufzuschneiden, die er ihnen angab, und seine kleinen Brillanten im Futter der neuen Stiefel zu verbergen.
Durch eine seltsame Wirkung des Blutverlustes und des daraus folgenden Schwächezustandes hatte Fabrizzio sein ganzes Französisch vergessen. Er redete mit seinen Wirtsleuten italienisch, und