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zuoberst liegende Seite und murmelte ein für seinen Chef gut hörbares »wie bedauerlich«. Klopfer ignorierte die Bemerkung.

      »Sie halten mich auf dem Laufenden. Auch was Penny Stocks und Dr. Kälberers Ergebnisse angeht. Ich erwarte morgen mehr Antworten als Fragen, Zweifel.«

      Lucy saß oder besser thronte auf ihrem Bürostuhl, hatte Schokolade weder in der Hand noch im Mund und blickte skeptisch auf die unwegsame Landschaft aus Aktenordnern, Notizbüchern, Papierstapeln, Filzstiften, Lochern, Kalendern, Tassen, Tellern und einem einzelnen Radiergummi auf ihrem Schreibtisch, als sei irgendjemand anders dafür verantwortlich. Als sie Zweifel aus Klopfers Büro kommen sah, schnaufte sie erleichtert. Der Kommissar legte erst das Dossier über Kronberger und dann beide Ellenbogen auf ihren Tresen.

      »Gute Arbeit, Lucy«, sagte er und klopfte auf die oberste Seite, auf der unter anderem auch ein Pressefoto Theo Kronbergers abgebildet war. Lucy nickte.

      »War ’ne Kleinigkeit. Im Internet gibt’s jede Menge Klatsch und Tratsch über den Mann. Ich hab einfach die Gerüchte, Verleumdungen, die Home-Stories und die Aussagen der sogenannten für gewöhnlich gut unterrichteten Kreise weggelassen. Die sind für gewöhnlich gut erfunden.«

      »Respekt. Das Weglassenkönnen ist eine große Kunst, Lucy. Manche Maler sagen das und viele Schriftsteller.«

      »Meinetwegen. Ich hab da viel Erfahrung damit. Vielleicht sollte ich bei der VHS einen Kurs anbieten. ›Ihr Schreibtisch – eine Oase des Nichts‹ oder:›Von der Vielfalt zur Einfalt in dreiundzwanzig Schritten.‹ Allerdings gibt es da etwas, das ich nicht weglassen kann.« Sie öffnete ihre Schreibtischschublade und schenkte Zweifel einen verzweifelten Blick. »Schauen Sie sich das bloß an. Diese gähnende Leere macht mich fertig.« Zweifel riskierte ein Auge und war verblüfft.

      »Ich glaube, das ist das erste Mal in sechs Jahren, dass in dieser Schublade ein Schokoladenvakuum herrscht. Wie kommt denn solches, Lucy? Kein Geld? Keine Disziplin? Keine Planung?«

      »Ha!«, sie warf beide Arme in die Luft, »ich wurde heimgesucht.«

      »Aha. Und von welcher Plage?«

      »Ein Presseköter. Von der unerfreulichen Sorte.«

      »Und den belohnen Sie auch noch?«

      »Ich bin ja selbst fassungslos. Aber dieser Reisser …«

      »Ich verstehe. Klopfer hat sowas erwähnt. Mit der Presse müssen Sie leben lernen, Lucy.«

      »Aber ich hab ihn mit meinen letzten beiden Riegeln gefüttert. Die hatte ich mir gerade erst besorgt. Den werd’ ich doch nie wieder los.«

      »Vielleicht frisst er Ihnen beim nächsten Mal aus der Hand. Da sollten Sie ein paar Leckerli parat haben.«

      »Das Gleiche hat der Chef mir auch schon empfohlen«, sagte sie und seufzte.

      »Apropos empfehlen«, sagte Zweifel und tippte auf das Dossier. Sie haben das alles ja schon gelesen. Was halten Sie von Kronberger? Wie würden Sie sich verhalten?« Lucy schob ihre Schublade vorsichtig zu und schaute Zweifel nachdenklich an.

      »Dieser Mann gibt sich nie mit weniger als 100% zufrieden. Er ist sehr klein und sehr leise und immer sehr höflich, aber er hat etliche Millionen in seinem Geldspeicher. Also hat er in seinem Leben sehr viel sehr richtig gemacht. Er hat keine Frau und er hat keine Geduld, vor allem mit Leuten, die etwas falsch machen. Und jetzt hat er einen toten Sohn und Sie dürfen ihm das morgen Vormittag beibringen.« Sie legte ihre Hände zusammen. »Ich schlage vor, Sie frühstücken vorher was Ordentliches.«

      »Sie meinen, ich soll von meinem Frühstücksbüffet mal nichts weglassen.« Sie nickte.

      »Falls doch was übrigbleibt, dürfen Sie es bei mir entsorgen.«

      »Ich nehme Sie beim Wort Lucy.«

      »Da werd’ ich gern genommen.« Zweifel zwinkerte ihr zu, schnappte das Dossier und wandte sich zum Gehen. Lucys Blick fiel auf einen ihrer Notizzettel, die sie in Augenhöhe auf den Rand der Theke geklebt hatte. »Hat Sie übrigens Ihr Freund aus Berlin erreicht?« Zweifel drehte sich abrupt um.

      »Welcher Freund?«

      »Daniel Braun oder Brahm oder so. Schreckliches Gekritzel, das ich da fabriziert habe«, sagte sie und wedelte mit dem Zettel in der Luft herum. Zweifel starrte sie an.

      »Wann hat der angerufen?« Lucy ahnte nichts Böses.

      »Na Freitagabend, Sie waren schon weg. Sagte er hätte Sie ewig nicht gesehen und wäre gerade in der Nähe.« Zweifel trat ganz dicht an die Empfangstheke und fixierte Lucy, der ein wenig unbehaglich wurde.

      »Daniel Braun«, sagte er langsam und musste sich räuspern.

      »Also doch. Hab ich’s ganz richtig notiert. Er war sehr freundlich am Telefon und schien gut aufgelegt. Sagte, er wäre dabei gewesen, als das mit Ihrer Frau passierte, damals in Berlin.«

      »So, sagte er das?« Zweifels Stimme klang plötzlich etwas heiser.

      »Ja, er konnte mir viele Einzelheiten nennen. Und dann sagte er, er hätte eine wichtige Nachricht für Sie. Hat er Sie denn nicht angerufen?« Zweifel strich über seine Augen.

      »Ich hab seit vier Wochen eine neue Geheimnummer, Lucy, das wissen Sie doch. Er kann mich gar nicht angerufen haben, es sei denn …« Lucy schluckte. »Lucy …!«

      »Na ja, er war so glaubwürdig und …«

      »Haben Sie ihm etwa die Nummer gegeben?« Sie nickte trotzig.

      »Ist er etwa nicht Ihr Freund?« Zweifel schaute an die Decke und holte tief Luft. Er schüttelte den Kopf und fuhr sich nochmal mit der Hand über die Augen. Dann schaute er Lucy an.

      »Daniel Braun war mein Freund, Lucy. Wir haben uns wirklich ewig nicht gesehen und wir werden uns ewig nicht wiedersehen. Er war tatsächlich dabei, damals, als meine Frau starb. Aber er ist mit ihr in die Luft gesprengt worden, Lucy. Er kann daher wohl kaum in der Nähe sein und das bedeutet Sie haben meine Geheimnummer einem Wildfremden gegeben.« Lucy öffnete den Mund, aber ihr fehlten die Worte. Zweifel war schon an der Tür, als er sich nochmal umdrehte. »Und ja, Lucy, ich bin angerufen worden. Heute Morgen. Von einer äußerst merkwürdigen Stimme.«

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