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Mord aus kühlem Grund. Achim Kaul
Читать онлайн.Название Mord aus kühlem Grund
Год выпуска 0
isbn 9783750231757
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Die Augen zu, sag ich!« Und dann schnippte er einmal mit Daumen und Zeigefinger.
»Santa Madonna, la Polizia macht in Hypnose?«, murmelte Roberto, als er verblüfft zusah, wie der Baggerführer tatsächlich die Augen schloss und nachzudenken schien. So stand er etwa zwei Minuten vor dem Kommissar, der beinahe an seiner Methode zu zweifeln begann.
»Nun«, sagte Zweifel schließlich, »was erscheint da vor Ihrem geistigen Auge?« Nepomuk Steiner öffnete seine Augen.
»Mei, wenn Sie mi so frogn – da erscheint eigentlich gar nix.« Zweifel seufzte. »So kann I ned nachdenkn. Da fällt mir nur ein, dass mei Frau mir heut die Brotzeit verweigert hat, weil I gestern auswärts gessen hob’. Muss I heut Mittag halt scho wieder auswärts essen. Das is weibliche Logik. Aber das wird Sie jetzt ned so intressiern, schätz ich.« Zweifel wedelte unwillig mit seinem Bleistift und klopfte damit auf sein Notizbuch. Der Baggerfahrer Nepomuk Steiner kam langsam ins Schwitzen. Er kratzte sich im Nacken, dann hustete er einmal kräftig, mehr aus Verlegenheit. »Nur weil Sie nach was gefragt ham, was nicht so war wie es sein sollte. Mei. Die Nackerten. Die warn halt recht aufgregt.«
»Das meine ich nicht, Herr Steiner. Probieren wir es anders. Was war, als Sie heut Morgen hier angekommen sind?«
»Ois wie immer. Koiner da außer mir. I ben immer der erschte.«
»Und später?« Zweifel war nun klar, dass er seinem Gegenüber alles aus der Nase ziehen musste. Der zog sie gut vernehmlich hoch.
»Um zehne hab I mein brek.«
»Ihren was?«
»Brek. Pause. Wissens, auf’m Bau müssens sich Ihre Kräfte gut einteilen.«
»Ich dachte, Sie sitzen bequem auf Ihrem Bagger und buddeln im Sand.« Nepomuk Steiner verschränkte erneut seine muskelbepackten Arme und versuchte herauszufinden, ob er jetzt beleidigt war. Er war es nicht.
»Genau, Herr Polizeipräsident, und Sie dürfen den ganzen Tag im dicken Auto sitzen und tatütata machen.« Zweifel ließ den Kopf sinken. Dann drehte er sich um, damit er sein Schmunzeln unbemerkt wegpacken konnte. Dabei blickte er direkt in Robertos sizilianische Augen, in denen mehr als ein Fragezeichen stand. Ilse Sontheimer daneben schüttelte verwundert ihren Kopf.
»Apropos tatütata«, ließ sich Nepomuk Steiner vernehmen. Zweifel drehte sich wieder zu ihm um. »Jetzt woaß I, was Sie moina, Herr …«
»Bevor Sie mich jetzt zum Justizminister machen, Herr Steiner, ich bin Kommissar, einfach nur Kriminalkommissar«
»Herr Kommissar, ja, des war übrigens a gute Serie damals, ›Der Kommissar‹. Kennans die?« Zweifel flüchtete sich in Galgenhumor.
»Deswegen bin ich Kommissar geworden.«
»Ach was! Da schau her. Was wollt’ ich jetzt sagen? Richtig. Die hatten keine Sirene. Des war irgendwie auch gar kein richtiges Rettungsfahrzeug. Blaulicht hat auch gefehlt. Des war also nicht wie es sein sollte, wie Sie gesagt ham.«
»Jetzt müssen Sie mir helfen, Herr Steiner. Ich bin nicht so schnell im Rätselraten. Was haben Sie denn genau gesehen?«
»Zwei Sanitäter. Die müssen schon lang vor allen anderen dagewesen sein. Bevor der ganze Zinnober losging.« Zweifel schaute ihn schweigend an und zog die Augenbrauen nach oben. Nepomuk Steiner dämmerte, dass er seine Ausführungen etwas besser sortieren musste. Also holte er tief Luft. »Als der John mich angerufen hat …«
»Sie meinen Herrn Fischli, den Bademeister? Wieso hatte der überhaupt Ihre Nummer?«
»Mir san Nachbarn, scho ewig, der John und I. Wie gesagt, da hab I ja noch gar nix mitgekriegt gehabt von dem ganzen Tohuwaboschlagmichtot, als der mi angrufn hot. Die ganzen Sankas und Notarztwägen sind ja erst viel später gekommen. Aber die andern zwei, die ohne Sirene, die warn mindestens scho a halbe Stunde vorher da. Die san mir aufgfalln, als I grad mal im Gebüsch war, Sie verstehn scho.«
»Um welche Uhrzeit war das genau?«, fragte Zweifel.
»Mei, so halber elfe. I war grad fertig mit meim Brek.«
»Wie kommen Sie darauf, dass es Sanitäter waren?«
»Ja was denn sonst? Die warn so angezogen wie Sanitäter. Und die ham eine Tragbahre rauszogn aus`m Auto.« Nepomuk Steiner machte eine bedeutsame Pause und nickte Roberto und Frau Sontheimer zu, die stumm einige Meter hinter Zweifel auf »etwas Neuigkeit« warteten. »Da lag einer drauf, also, eine Person lag drauf. I konnt nicht erkennen ob Männlein oder Weiblein. Und das fand I reichlich komisch. Warum laden die da, hinter der Therme, also wo weit und breit kein Eingang is, jemanden aus? Warum laden die überhaupt jemanden aus? Die ham doch da nix zu suchen. Die müssten doch ins Krankenhaus fahrn mit dera Person, oder ned?« Zweifel hatte sich stirnrunzelnd Notizen gemacht.
»Haben die zwei Sie bemerkt?«
»Kann I mir ned vorstelln.«
»Und weiter?«
»Nix weiter. Mei Kollege hat mi anpfiffn. I hab mi dann wieder auf mein Baggr konzentrierd und auf mei Arbeit. Und, bittschön, des würd’ I jetzt ganz gern auch wieder tun. I muss ja fertig wern.«
»Sie haben diese zwei Sanitäter mit ihrem Patienten ab dem Zeitpunkt also aus den Augen verloren?« Steiner nickte. Zweifel steckte seinen Notizblock weg und rieb mit der linken Hand über seine Glatze. »Wenn Sie mir noch zeigen, wo Sie die beiden gesehen haben, steht einem Wiedersehen mit Ihrem Bagger nichts entgegen.«
»Ich sollte Ihnen doch auch etwas zeigen!«, mischte sich Ilse Sontheimer ein. Zweifel nickte, kratzte sich am Kopf und fasste Roberto ins Auge.
»Und Sie? Haben Sie mir auch etwas zu zeigen?« Roberto erbleichte.
»Santa Madonna! Sono innocente, isch bin unschuldig«, stammelte er und wich zurück, beide Hände hochhaltend.
»Das sind wir alle«, murmelte Zweifel, »ganz am Anfang.«
Moritz Kronberger wachte auf. Etwas stimmte nicht. Da war ein großer schwarzer Stein in seinem Denken. Etwas Ungeheuerliches war, während er schlief, durch sein Unterbewusstsein gekrochen. Er erinnerte sich an seinen Traum. Er war eine einsame Bergstraße hinaufgelaufen, bei strahlendem Sonnenschein. Doch seine Bewegungen waren äußerst langsam und strengten ihn an. Das musste an dem großen, dunklen Mantel liegen, den er trotz der sommerlichen Hitze trug. Der Mantel ließ ihn frösteln. Er lag schwer auf seinen Schultern. Er konnte seine Hände nicht sehen, die Ärmel waren zugenäht. Er fühlte seine kalten Finger, die innen an dem Futterstoff unaufhörlich kratzten, während er einen Schritt vor den anderen setzte. Es war windstill. Eine Serpentine folgte auf die andere. Hoch über ihm im strahlend blauen Himmel begleitete ihn eine Bergdohle. Er konnte ihre Rufe hören. Er konnte seine Füße nicht sehen. Der Mantel war so lang, dass er am Boden schleifte. Seine Fußsohlen waren kalt und schmerzten. Er trug weder Schuhe noch Strümpfe. Sein Atem ging keuchend. Die Luft war sehr dünn. Die Sonne brannte. Er fror. Weiter oben in der Ferne konnte er den Gipfelgrat ausmachen. Die Straße war nun zu einem Schotterweg geworden und wurde immer schmaler. Seine Schritte verlangsamten sich. Er spürte die spitzen und kantigen Steine, die sich schmerzhaft in seine Fußsohlen bohrten. Der Mantel legte sich immer enger um seinen Körper. Er schnürte ihm die Brust ein, presste sich von allen Seiten an seine stolpernden Beine, bis es ihm nicht mehr möglich war, auch nur einen Schritt zu machen. Er blieb stehen. Er musste stehenbleiben. Einige Meter vor ihm landete, mit schwarzen Flügeln heftig flatternd, die Bergdohle. Er atmete schwer und keuchte seine Erschöpfung in die dünne Bergluft. Irgendwann drehte der Vogel den Kopf und zeigte ihm sein Gesicht. Der Anblick erschreckte ihn zu Tode und riss ihn aus seinem Schlaf. Moritz Kronberger versuchte, sich zu orientieren. Er hatte die Sätze seines Vaters so verinnerlicht, dass sie wie ein Mantra an seine Stirn pochten. Wer überlegen kann, wird überleben. Darum ging es. Ums Überleben. Ein eiskalter Stich fuhr ihm in die Brust. Sein Bruder hatte nicht überlebt. Florian war tot. Das hatten sie ihm klargemacht. Aber wie konnte das sein? Sie hielten ihn doch für Florian. Er öffnete die Augen. Trübes Kellerlicht umfing ihn. Es roch anders hier. Er