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Nicht nur die Polizei würde sich brennend für diese Aufzeichnungen interessieren. Falls die Bullen das Buch in die Hände bekämen wäre er geliefert. Aus dem Knast würde er niemals wieder herauskommen. Und das bei seinem Gesundheitszustand. Undenkbar! Aber auch Andere hatten den Wert des Buches erkannt. Sergio war der Mittelsmann der Italiener gewesen. Gemeinsam hatten sie einen richtig großen Deal vereinbart. Insgesamt fast 100 Kilo Stoff. Also fast sechs Millionen Deutsche Mark! Wenn dieser Deal funktionierte, dann könnte er sich Ärzte auf der ganzen Welt leisten. Und er brauchte diese Ärzte dringend. Mittlererweile hatte er eine regelrechte Todesangst. Er würde Stück für Stück und immer schneller verfaulen. Und die bisherigen Ärzte, die er konsultiert hatte, rieten ihm ins Krankenhaus zu gehen. Vermutlich auf die Isolierstation oder was! Er wollte nicht zum Abnibbeln in ein verdammtes Krankenhaus. Mit der richtigen Summe würde er mit den richtigen Ärzten eine Kur durchziehen. Und danach wie früher arbeiten können. Oder er würde sich zurückziehen und das Leben genießen. Von dieser Summe müsste eigentlich trotz teurer Kurmaßnahmen noch genug übrig bleiben. Vielleicht Karibik? Oder eine griechische Insel? Na egal. Auf jeden Fall gesund und braun gebrannt in einer Strandbar, umringt von jungen Mädels oder auch jungen Griechen. Das mit den Jungs hatte er immer genossen. Viel mehr als mit den Mädels. Also dann doch eher eine griechische Insel? Auf so einer Insel könnte er leben wie er wollte. Und eigentlich könnte er dann dort seine Vorliebe für Jungs ganz offen ausleben. Nicht so wie hier. Im Milieu durfte man in dieser Hinsicht keine Informationen preisgeben. Das war schlimmer als in mancher evangelischen Dorfgemeinde. Ruckzuck war der Ruf versaut. Und man wurde nicht mehr für voll genommen. Und man wurde auch erpressbar. Apropos Erpressung. Dieser Sergio hatte eigentlich den Tod verdient. Nur nicht bevor er erzählt hatte, was er wusste. Und Siggi hätte sich viel Zeit genommen herauszufinden, was Sergio wusste. Dieser Dummkopf Georgy hatte es echt versaut. Überfährt auf einem Parkplatz zweimal einen Italiener. Auch noch einen Italiener der Mafia. Gut, der Wagen war geklaut gewesen. Sie hatten den Wagen im Industriegebiet in der Nähe der Müllentsorgungsanlage mit Benzin übergossen und angezündet. Bisher war er noch nicht gefunden worden. Zumindest hatte er nichts gehört. Allerdings ermittelte die Polizei nach diesem grausamen Mord. Die waren jetzt überall unterwegs. Und schnüffelten herum. Das hätte man ganz anders anfassen müssen. Sergio war während den Verhandlungen zwischen ihm und den Italienern hier im Büro gewesen. Und womöglich war Siggi kurz raus gegangen, um Getränke zu ordern. Oder er hatte einen von diesen widerlichen Hustenanfällen bekommen, die ihm den Atem nahmen und musste kurz ins Bad um den Schleim heraus zu husten. Er wusste es nicht. Er hatte es gar nicht bemerkt, dass ihm etwas fehlte. Der nächste Eintrag wäre ja erst nach Abschluss des Deals fällig gewesen. Er wollte doch um Gottes willen so schnell als möglich diesen wichtigen Deal – den wichtigsten Deal seines Lebens! – über die Bühne bringen und mit dem Geld die Behandlungen beginnen. Scheißegal, zum Blutaustausch in die Schweiz wie Keith Richards oder irgendwas, was ihn wieder auf Vordermann brachte. Wahrscheinlich war dieser Diebstahl nur wegen seiner miserablen Verfassung möglich gewesen. Früher wäre ihm nie so etwas passiert. Niemals! Früher hätte er Verrat gerochen. Eine schwache Stelle in seiner Organisation erspürt. Aber der Philosoph hatte sich intensiv unter den Männern umgehört. Wie er das immer so machte. Sie mussten wahrscheinlich seine Gedichte lesen. Und er war sich deshalb ganz sicher, dass diese Männer lieber ihr rechtes Ei hergeben würden als ein Buch aus Siggis Schreibtisch zu klauen. Und dem Philosophen vertraute er als einzigem von dieser Horde von geldgeilen Idioten. Er war zwar ein irrer Killer. Und schrieb ganz üble und wahnwitzige Gedichte. Aber er war auch sehr professionell und vor allem völlig loyal. Der Philosoph arbeitete nicht wegen schnödem Geld, sondern aus Passion. Und ihm war noch nie ein Fehler passiert. Fälle, die er bearbeitete, erschienen entweder als tragischer Unfall oder als Überdosis in der Zeitung oder tauchten überhaupt niemals mehr auf. Deshalb hatte Siggi auch ihn mit diesem heiklen Fall beauftragt. Auch wenn er wusste, dass der Philosoph trotz seiner Loyalität bei großen Deals immer einen Obolus von den harten Drogen abzweigte. Das würde er bei keinem der anderen Junkies tolerieren. Aber zwischen ihnen gab es einen unausgesprochenen Deal, der von beiden schweigend eingehalten wurde. Der Philosoph nahm sich etwas, aber nie zu viel. Und er war es wert. Auch wenn er mit den Drogen dann für Tage verschwand und sich in seiner Wohnung voll ballerte. Wenn er gebraucht wurde, war er da und nie zugeknallt. Er hätte den Philosophen alleine die Aufgabe mit Sergio erledigen lassen sollen. Sergio hatte den Deal mit den 100 Kilo mit eingefädelt. Und Siggi wusste nicht, dass Sergio vor hatte ein doppeltes Spiel zu spielen. Mit dem Buch und den ganzen Transaktionen darin hatte er vermutlich nicht nur Siggi, sondern auch die Italiener erpresst. Und als zusätzliches Druckmittel hatte er den kleinen Lieferwagen - einen spanischen MB 100 - verschwinden lassen. Gegen eine Zahlung der Hälfte des Wertes des Dopes wollte er das Buch und einen Schlüssel für das Versteck des Fahrzeugs übergeben. Wahrscheinlich hatte er den selben Vorschlag auch den Italienern gemacht. Immerhin musste Siggi anerkennen, dass dieser Plan zumindest von der Summe her durchaus respektabel gewesen war. Vermutlich hatte Sergio ähnliche Vorhaben wie er. Nur ohne medizinische Behandlungen. Aber mindestens Karibik musste es dann schon sein. Denn im Grunde war der Plan reiner Selbstmord. Sowohl die Organisation von Siggi als auch die der Italiener hätte alles gegeben, um ihn zu erwischen. Und dann hätte es sehr lange gedauert, bis die gerechte Strafe an ihm vollzogen gewesen wäre. Vermutlich hätten sich Siggi und die Italiener gestritten, welches Körperteil vom wem abgetrennt werden darf. Naja, jetzt war der Sergio platt gefahren auf dem Parkplatz gefunden worden. Die Italiener hatten sich bisher noch nicht gemeldet. Was verdächtig war. Siggi hatte fünf zusätzliche Männer im Haus als Wache aufgestellt und ihnen eingeschärft aufmerksam zu sein. Falls die Italiener ihm die Sache anhängen wollten, waren sie spät dran. Vermutlich suchten sie ebenfalls nach dem fehlenden Lieferwagen. Aber es konnte auch durchaus sein, dass sie ihm einen Besuch abstatten wollten, um ihm Fragen zu stellen. Das war eine riesengroße Scheiße, das alles. Und er hatte eigentlich gar keine Zeit für so etwas. Verzweifelt ließ Siggi sein Gesicht in seine Hände fallen und rieb sich die Augen. Im nächsten Moment schaute er angeekelt auf die braunen Streifen in seinen Handflächen. Seine Schminke war total verschmiert. Das musste ein Ende haben oder er drehte noch total durch.

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