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sie nicht!“, beharrte Alex, nun ganz in seinem Element. „Du schuldest mir seither fünf Dollar und glaube mal nicht, dass du sie mit dem nächsten Drink verrechnen kannst!“

      Und während er weiterhin mit ihm debattierte und dabei allerlei haarsträubende Gründe für seinen Zweifel anführte, fasste plötzlich jemand nach Kathis Hand und zog sie etwas zur Seite.

      „Ihr Kollege macht das ausgezeichnet. So sollte man vorgehen – den Dialog annehmen, ihn erweitern und ihn somit in Übereinstimmung mit dem Rezipienten bringen.“ Die Person, die das sagte oder besser analysierte, war ein sympathisch wirkender Mann in den mittleren Jahren mit dunklen, überaus lebendigen Augen, sanfter Stimme und einem angenehmen Gesichtsausdruck. Er trug einen weißen Kittel und ein Namensschild auf der Brust – zweifellos der Stationsarzt. Während des Sprechens schaute er sie jedoch nicht an, sondern verfolgte gebannt den Disput, als fürchtete er, etwas zu verpassen.

      „Ein Zugang zum Patienten ist nur über ein Eintauchen in dessen Psyche möglich“, fuhr er erklärend fort und stand in dem Aufruhr so unverrückbar und gerade wie ein Leuchtturm in Nordseewellen. „Allein das Aufgreifen seiner Innenwelt durch eine glaubwürdige Reflexion erzeugt eine beiderseits tragfähige Kommunikationsbasis. So etwas nennt man in der Psychiatrie ‚Kommensurabilität‘. Ich habe diese Notwendigkeit Ihrem Kollegen bereits erläutert und er scheint es zu beherzigen, wie man sieht. Sie müssen wissen, dass hier jeder seinen Tick hat. Nur gehört es hier zur Normalität, verrückt zu sein, so paradox es auch klingen mag.“

      Kathi war überrascht, aber auch erleichtert. Sogleich sondierte sie den Arzt etwas näher. Offenbar hatte Alex seinen Sensor betätigt, was das plötzliche Erscheinen des Weißkittels bewirkt hatte.

      „Oh ja“, erwiderte sie spontan, obwohl sie keineswegs alles verstanden hatte. „Ich finde das sehr interessant. Und wenn ich ehrlich bin, hätte ich das von Alexander, ich meine von Herrn Hauptkommissar Knoblich, gar nicht erwartet.“

      Ihr Gegenüber schien erst etwas darauf erwidern oder protestieren zu wollen, dann lächelte er vieldeutig.

      „Zugegebenermaßen“, gestand sie schließlich, „wüsste ich nicht, wie ich mich in solchen Situationen verhalten sollte.“

      „Ach, das ist gar nicht so schwer“, winkte der Mann mit einem sanften Lächeln ab. „Sie müssen nur die Abnormität als etwas Normales begreifen. Dann …“ Er hielt kurz inne, da plötzlich eine aufgebrachte Frau auf ihn zusteuerte.

      „Sie Wicht! Was fällt Ihnen ein“, keifte diese augenblicklich los und plusterte sich drohend vor ihm auf. Unwillkürlich wich Kathi einen Schritt zurück.

      „Was ist denn los, was ärgert Sie?“, fragte er mit einem unbeeindruckten freundlichen Lächeln.

      „Die Äpfel“, stieß sie gehetzt aus. „Wo sind die Äpfel?“

      „Welche Äpfel?“

      „Die für den Kuchen!“, knurrte sie. „Jemand hat Geburtstag. Ich muss sofort einen Apfelkuchen backen. Aber die anderen glauben mir nicht.“

      „Ich glaube Ihnen“, sagte er, lächelte und nickte. Dann tat er, als reiche er ihr einen Korb und meinte: „Hier sind sie!“

      Augenblicklich strahlte sie über das ganze Gesicht und lachte aus vollem Hals. Es war, als hätte ein Frühlingswind die Gewitterwolken weggeblasen. Und obgleich es nichts als eine leere Geste war, tänzelte sie vergnügt davon, so tuend, als hielte sie tatsächlich einen Korb in der Hand. „Es gibt Kuchen. Jawohl, Kuchen!“, rief sie. „Heute feiern wir Geburtstag.“ Kathi sah der Frau sprachlos nach.

      „Sehen Sie, welche Kraft die Einbildung besitzt?“, fuhr ihr Gegenüber jetzt seelenruhig fort. „Genau genommen ist das Leben ein Parforceritt. Irren wir nicht alle durch die Stadt wie Kassandra durch das belagerte Troja, und sind die Einzigen, die von einem nahenden Verhängnis wissen, aber niemand will uns zuhören? Letztlich sind wir doch alle verrückt – ein jeder auf seine Weise. Nur wo beginnt Normalität und wo endet sie? Die Grenzen hierfür sind mitunter fließend. Oder was meinen Sie dazu?“

      Ratlos zuckte Kathi mit den Schultern.

      „Sehen Sie dort drüben den kleinen Kahlkopf mit der grünen Jacke? Er ist ein Autist, der morgens, sobald der Wecker geklingelt hat, zur Dusche schlurft und sich Apfelshampoo ins Haar massiert. Apfelshampoo, unbedingt, ohne Kompromisse. Anschließend putzt er sich die Zähne – erst die linke obere Kauleiste, dann unten und wieder oben. Genauso verfährt er mit der rechten Seite. Immer in derselben Reihenfolge. Fertig. Niemals anders. Aber Hand aufs Herz“, er machte eine rhetorische Pause, „wer tauscht denn gern seine Gewohnheiten? Sie etwa?“ Im selben Atemzug fuhr er fort: „Ebenso darf bei diesem Burschen ein Bleistift nicht mit der Spitze nach unten in einem Behältnis stecken. Das macht ihn fuchsteufelswild. Am meisten aber hasst er es, wenn jemand am Esstisch die Kartoffeln mit der Soße vermanscht. Das muss man beachten, wenn man Zugang zu ihm sucht. Ansonsten ist er von anderen Menschen kaum zu unterscheiden.“

      Unerwartet zupfte jemand an dem Ärmel von Kathi und sah sie wie ein bettelnder Hund an, mit der Frage, ob sie etwas zu essen hätte. Dabei rotierte dessen Hand auf seinem Bauch.

      Erschrocken fuhr sie herum und schüttelte den Kopf. Als sie wieder allein waren, fuhr der Weißkittel seelenruhig fort: „Das Wichtigste ist, dass man den Leuten zuhört und das glaubhaft. Das ist wichtiger als alles andere. Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen einige Patienten vor!“

      „Nein danke!“, wehrte Kathi entschieden ab. „Es ist für mich hier noch vieles zu fremd.“

      „Kann ich verstehen“, pflichtete der Doktor ihr bei. „Und doch gibt es kaum eine bessere Möglichkeit zur freien Kommunikation als hier. Wie oft lassen wir uns in unseren Urteilen von althergebrachten Zwängen und Glaubenssätzen leiten. Wenn es uns aber gelingt, diese Muster zu überblenden und den reinen Fakt zu betrachten“, er räusperte sich, „kommen wir zu einem völlig wertfreien Denken, getreu dem Spruch ‚sapere aude‘3.“

      Dabei strahlte er Kathi an, die von seiner Professionalität beeindruckt war. Sie versuchte zu nicken, war aber aus einem ihr unerklärlichen Grund blockiert. „Wie um Himmelswillen kommen Sie darauf?“

      Unverhofft verlor er alle Hemmungen, neigte sich ihr zu und flüsterte in fast schon unangenehmer Vertrautheit: „An Kants Leitspruch kommt niemand vorbei, das wissen wir beide doch besser als jeder andere, nicht wahr?“

      Entgeistert sah Kathi ihn an. Offenbar war er nicht normal. Aber wer war das hier schon. Folglich schwankte ihr Urteil zwischen einem guten Psychologen und einem durchtriebenen Scharlatan, der mit ihrer Unwissenheit spielte, um sie zu erforschen. Normalerweise hasste sie so etwas. Jetzt aber schmeichelte es ihr.

      Erst jetzt stellte sie zu ihrer Verwunderung fest, dass er noch immer ihre Hand hielt, die er bei der Begrüßung wie selbstverständlich ergriffen hatte.

      Plötzlich bemerkte sie ihren Partner, den sie in diesem Moment ganz vergessen hatte.

       Als dieser sie Hand in Hand mit diesem Mann bemerkte, wurde er kreidebleich. Er sagte auch etwas und machte einige hektische Gesten. Aber aufgrund der Entfernung und des Lärms war nichts zu verstehen. Erst als er näher trat und den Doktor aufforderte, seine Begleiterin auf der Stelle loszulassen, kam sie wieder zu sich.

      Schon wollte sie Alex beruhigen, denn schließlich wäre doch nichts passiert. Aber als er diesen Mann mit ‚Herr Wittenburg‘ ansprach, fiel sie aus allen Wolken. Augenblicklich zog sie ihre Hand zurück.

      „Darf ich Ihnen unsere neue Referendarin vorstellen?“, setzte der Hauptkommissar mit bebender Stimme hinzu. „Katharina Freifrau von Hardenberg.“

      „Sehr angenehm. Sind Sie jetzt enttäuscht?“, erkundigte sich der Beschuldigte sogleich mit einem eigenartigen Lächeln.

      „Oh nein, durchaus nicht, nur etwas durcheinander!“ Kathi hatte alle Mühe, sich zu beherrschen.

      „Professor Wittenburg erlaubt sich bisweilen solche Scherze“, fuhr Alex erklärend dazwischen. „Aber bei seinem Charme fällt

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