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So oder so ist es Mord. Anja Gust
Читать онлайн.Название So oder so ist es Mord
Год выпуска 0
isbn 9783753188300
Автор произведения Anja Gust
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Knoblich hatte keine gute Sicht. Dennoch beschleunigte er und führte manch riskante Manöver durch. Dabei konnte die junge Frau nur mit Mühe ihr Unwohlsein verbergen. Ab und an umklammerte sie zaghaft den Gurt, verkniff sich aber jede Bemerkung. Erst in der Kurve der Abfahrt Neumünster-Einfeld bremste er ab.
Sie atmete hörbar auf und fixierte, Gott weiß warum, die vorbeifliegenden schwarz verschlammten Hartriegel am Seitenstreifen, welche, allen Widrigkeiten zum Trotz, dort prächtig gediehen.
„Ach, kommen Sie! Das war doch noch gar nix!“, spöttelte der Möchtegern-Schumi vergnügt. „Ich habe schon andere Jagden hingelegt und mich noch nie um einen Baum gewickelt. So was muss man in unserem Job abkönnen. Anderenfalls kippt man ja beim erstbesten Gegenwind um.“
„Keine Bange. Das habe ich auch nicht vor“, erwiderte sie erleichtert.
„Nehmen Sie den Mund nicht zu voll! Sie wissen doch noch gar nicht, was Sie erwartet!“, orakelte der Hauptkommissar mit sichtlichem Genuss. Es amüsierte ihn zusehends, die junge Referendarin zu verunsichern.
„Was Sie nicht sagen“, erwiderte diese schnippisch. Aber irgendwie hatte sie sich ihr Praktikum anders vorgestellt, nicht so anstrengend und vor allem weniger chaotisch.
Irritiert warf er ihr einen Seitenblick zu. „Wie meinen Sie das?“
„Nichts weiter. Hab’ nur laut gedacht.“ Sie sah, wie es in ihm arbeitete und fürchtete, er würde sie bei der nächsten Bemerkung an der kommenden Kreuzung raussetzen. Hatte sie doch bereits im Vorfeld einige Dinge geäußert, die ihm nicht passten. Dass er aber gleich so empfindlich reagierte, überraschte sie nun doch. Dabei hatte er noch vollmundig mit seinem dicken Fell und der offenen Atmosphäre geprahlt. Von wegen.
„Was ist das dort drüben?“, lenkte sie rasch auf einige, sich linksseitig abzeichnende Gebäude ab, welche sich an einen Knick drückten, der ein Stück Brachland umfriedete.
„Das ist der Verwaltungstrakt. Die Anstalt selbst folgt weiter hinten“, erwiderte Alex und setzte den Blinker.
„Sieht irgendwie beklemmend aus, so dunkel“, sie machte eine Pause und schauderte, „und monströs. Ich meine, die hohen Mauern und die verschlossenen Tore – fast wie ein Gefängnis.“
„Ist es auch“, erklärte er selbstgefällig und riss dabei das Lenkrad nach links, um den Wagen möglichst eng um die Kurve zu ziehen. „Keine Bange“, beschwichtigte er sofort und brachte das Fahrzeug mit quietschenden Reifen wieder in die Spur. „Hier sollte man zügig fahren, wegen der Bodenwellen, verstehen Sie? Wenn man nur darüber holpert wie ein Opa mit Hut, verlängert sich die Rüttelplatte und das ist nicht gut für die Bandscheiben.“
Zugegeben fiel ihm in diesem Moment nichts Besseres ein. Dabei gehörte Originalität normalerweise zu seinen Stärken, vor allem beim ‚Eintakten‘ junger Assistentinnen, die im Rahmen ihres Referendariats ihr Praktikum im Landeskriminalamt versahen.
Diese erwiesen sich meist als extravagant, unbeholfen und hypersensibel. Kurzum, eine abstruse Mischung aus neunmalklug und hilflos. Daher mussten die Mädels erst aufgebaut werden, um praxistauglich zu sein. Das wiederum oblag einem alten Hasen wie ihm, der ihnen mit Fingerspitzengefühl einige ungeschriebene Regeln zu verklickern hatte.
Doch bei aller Zuversicht, die er zu Beginn noch empfand, musste er bereits einige Dämpfer einstecken. Die ‚Neue‘ erwies sich sperriger als gedacht. Auch wenn sie nicht unbedingt zu jener Sorte gehörte, die sich ständig im Spiegel betrachtend die Lippen tupfte oder mit oberschlauen Bemerkungen nervte, war sie auf andere Weise anstrengend.
Ob es an ihrer Zurückhaltung, den komischen Fragen oder ihrer Emotionslosigkeit lag, blieb unklar. Irgendwie wurde er mit ihr nicht warm. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es mit der Brechstange zu versuchen und ihr anhand einiger Präzedenzfälle beizubringen, wo der Hammer hing.
Dabei sparte er nicht mit diversen Superlativen wie ‚größte, schlimmste‘ und ‚brutalste‘, welche er mit großartigen Gesten bedeutungsschwer untermauerte. Doch die Wirkung blieb bescheiden. Erst bei seinem Lieblingsfall von Matze Frentzen mit dem abgebissenen Ohr (einem erst kürzlich pensionierten Profiler) horchte sie auf.
„Abgebissenes Ohr?“
„Aber sicher doch.“ Mit gewichtiger Miene legte er sogleich nach: „Dabei hatte Matze noch Glück. Hätte es ihn am Hals erwischt, wäre ratzfatz die Kehle durch gewesen. Sie glauben ja nicht, wie gefährlich ein Menschenbiss sein kann. Ich sage Ihnen, bei Verrückten weiß man nie, woran man ist. Sie lächeln dich an und im selben Moment springen sie dir an die Gurgel. Schon deshalb muss eine solche Anstalt bewacht werden, strenger als ein Gefängnis.“
„Ist es wirklich so schlimm?“, fragte sie mit dem erwarteten Entsetzen.
„Noch viel schlimmer!“, fuhr er fort. „Ich könnte Ihnen von Dingen berichten“, er machte eine bedeutungsschwere Pause, „doch lassen wir das – sonst bekommen Sie noch Albträume. Und das wollen wir doch nicht, oder?“ Er lachte hämisch. „Das Problem ist nur“, bemerkte er und räusperte sich, „dass die Patienten nicht verantwortlich sind. Wenn also etwas passiert, ist es immer unsere Schuld. Bleiben Sie daher unbedingt an meiner Seite. Dann kann Ihnen nichts passieren.“
Ihre plötzliche Betroffenheit versöhnte ihn. Allerdings vermisste er ihre ängstlichen Rückfragen, um sie dann mit salopper Verharmlosung in noch größere Unruhe zu versetzen. Das war sozusagen seine Spezialität.
Stattdessen Schweigen. Das war ärgerlich. Schließlich war er kein Anfänger, sondern als Hauptkommissar und erster SB2 im Kommissariat 21 ein Routinier seines Fachs.
Erst neulich hatte ihm der Referatsleiter, Oberrat Dr. Stedekinn, der ihm zutiefst zuwider war, anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums in aller Form gratuliert. Dabei lief ihm bei der Erinnerung an den laschen Händedruck noch immer ein Schauer über den Rücken. Dieser Kerl konnte einem aber auch nicht gerade in die Augen sehen. War es vielleicht Rache, als dieser maßgeschneiderte Olympiakörper sich erdreistete, ihn vor versammelter Mannschaft einen alten Haudegen zu nennen?
Seitdem hieß Alex überall nur noch ‚Haui‘, obwohl er bestimmt alles andere als eine Rampensau war. Sein Enddienstgrad war so gut wie erreicht, sein Dienstlächeln eingebrannt, und bis jetzt hatte er noch jede Hürde mit links genommen.
Was sollte also diese dumme Bemerkung? Womöglich hatte dieses Mäuschen von Referendarin davon erfahren und gab sich deshalb so zugeknöpft. So etwas ging in dieser Behörde schnell.
Freilich hätte er das erfragen können. Aber das war ihm doch zu plump. Wenn sie nicht reden wollte – bitteschön. Sie wusste ja nicht, was sie verpasste. Er konnte nämlich durchaus originell sein und verstand sich auf manch kurzweilige Unterhaltung. Ebenso hatte er in puncto Action und Husarenstücke einiges zu bieten.
Aber warum regte er sich auf? Sie war es doch gar nicht wert. Was erlaubte sie sich eigentlich mit ihrer Wortkargheit? Ein bisschen Small-Talk war doch nicht zu viel verlangt.
Bis jetzt hatte sein neuer Schützling nicht mal Referenzen und die Zwischenbeurteilung fiel auch nicht besonders gut aus. Adjektive wie ‚introvertiert‘ und ‚sensibel‘ deuteten schon jetzt auf ein baldiges Scheitern hin. Und ob das allein mit weiblichen Attributen zu kompensieren war, blieb fraglich.
Das sah Björn Altnickel, sein Erzrivale aus dem Nachbarkommissariat, freilich ganz anders. Als die ‚Neue‘ nämlich kurz vor der Abfahrt ganz ungeniert mit kapriziös übereinandergeschlagenen Beinen die Akte studierte, bekam dieser Trottel wahre Stielaugen. Natürlich begriff er nicht, dass dies nur eine Masche war.
Doch Alex dachte nicht daran, ihn zu warnen. Warum auch? Dieser Kerl war ein Schmierfink. Zwar brüstete er sich gegenüber Anfängern gern mit seinem Halbwissen, zog aber in entscheidenden Momenten sofort den Schwanz ein. Dann kannte er seinen Platz und empfahl sich als aufrechter Getreuer. Das kam bei Stedekinn gut an.
Als Alex ihm das mal vorwarf, sprang der Oberrat seinem Günstling prompt bei. Die Folge