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Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Читать онлайн.Название Die toten Seelen
Год выпуска 0
isbn 9783752962406
Автор произведения Nikolai Gogol
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Endlich standen sie vom Tische auf. Manilow war außerordentlich zufrieden; er legte seine Hand dem Gast auf den Rücken und wollte ihn schon ins Gastzimmer geleiten, als dieser plötzlich mit bedeutungsvoller Miene erklärte, daß er mit ihm in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen habe. »In diesem Falle gestatten Sie mir, Sie in mein Kabinett zu bitten«, sagte Manilow und führte ihn in ein kleines Zimmer, dessen Fenster auf den in der Ferne blauenden Wald hinausgingen. »Dies ist mein kleiner Winkel«, sagte Manilow. »Ein angenehmes Zimmerchen«, sagte Tschitschikow, nachdem er es mit einem Blicke gestreift hatte. Das Zimmer war in der Tat nicht ohne Anmut: die Wände waren mit einer blauen Farbe, die ins Graue hinüberspielte, gestrichen; vier Stühle, ein Sessel und ein Tisch standen darin; auf dem letzteren lag das Buch mit dem Lesezeichen, von dem wir schon sprachen, ferner einige vollbeschriebene Bogen Papier; am meisten gab es hier aber Tabak. Er war hier in allerlei Behältnissen vorhanden: in Paketen, in einem Topf und schließlich auch als einfacher Haufen auf dem Tische. Auf den beiden Fensterbänken prangten Häuflein Tabakasche, die nicht ohne Sorgfalt in hübschen Reihen angeordnet waren. Dies verschaffte offenbar dem Hausherrn zuweilen einen angenehmen Zeitvertreib.
»Darf ich Sie bitten, hier in diesem Sessel Platz zu nehmen«, sagte Manilow. »Sie werden es bequemer haben.«
»Gestatten Sie mir, daß ich mich auf den Stuhl setze.«
»Gestatten Sie mir, Ihnen das nicht zu gestatten«, entgegnete Manilow lächelnd. »Dieser Sessel ist bei mir eigens für die Gäste bestimmt. Ob Sie wollen oder nicht, Sie müssen sich hineinsetzen.«
Tschitschikow setzte sich.
»Gestatten Sie mir, Ihnen eine Pfeife anzubieten.«
»Nein, ich rauche nicht«, erwiderte Tschitschikow freundlich, sogar mit sichtlichem Bedauern.
»Warum denn?« fragte Manilow ebenso freundlich und mit Bedauern.
»Ich habe es mir nicht zur Gewohnheit gemacht. Ich fürchte mich: man sagt, die Pfeife trocknet die Lunge aus.«
»Gestatten Sie mir zu bemerken, daß es nur ein Vorurteil ist. Ich glaube sogar, daß das Pfeifenrauchen viel gesünder ist als das Schnupfen. Wir hatten in unserem Regiment einen Leutnant, einen herrlichen und außerordentlich gebildeten Menschen, der die Pfeife nicht nur bei Tisch, sondern auch, mit Verlaub zu sagen, an allen anderen Orten nie aus dem Munde ließ. Heute ist er über vierzig Jahre alt und dabei, Gott sei Dank, so gesund, wie man es sich besser gar nicht wünschen darf.«
Tschitschikow bemerkte darauf, daß ähnliche Fälle wohl vorkämen und daß es in der Natur überhaupt viele Dinge gäbe, die selbst ein großer Geist nicht zu fassen vermöge.
»Aber gestatten Sie mir zuvor eine Bitte . . .« sagte er mit einer Stimme, in der ein seltsamer oder beinahe seltsamer Unterton lag; dabei schielte er aus irgendeinem Grunde nach der Türe. Auch Manilow sah sich um, er wußte selbst nicht warum. »Wann haben Sie die letzte Revisionsliste eingereicht?«
»Es ist schon lange her; offen gestanden, ich habe es schon vergessen.«
»Sind Ihnen seit jener Zeit viele Bauern gestorben?«
»Das weiß ich wirklich nicht; darüber müßte man, glaube ich, den Verwalter fragen. He, Junge! Ruf mal den Verwalter her, er muß heute hier sein.«
Nun erschien der Verwalter. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren, ohne Bart und mit einem Rock angetan; er hatte hier offenbar ein sehr ruhiges Leben, denn sein Gesicht war voll und wie geschwollen, und die gelbliche Gesichtsfarbe und die kleinen Äuglein wiesen darauf hin, daß er allzu gut wußte, was Federbetten und Daunenkissen sind. Es war ihm sofort anzusehen, daß er die gleiche Laufbahn hinter sich hatte wie die meisten Gutsverwalter; anfangs hatte er einfach als ein des Lesens und Schreibens kundiger Junge im Herrenhause gelebt, hatte dann irgendeine Agaschka, die Wirtschafterin und Favoritin der Hausfrau, geheiratet und war dann selbst Haushälter und zuletzt Verwalter geworden. Sobald er aber Verwalter geworden war, trieb er es genau so wie alle Verwalter: er verkehrte mit allen reicheren Bauern des Dorfes, stand bei ihnen Gevatter, legte den ärmeren Bauern schwere Fronarbeit auf, pflegte erst um neun Uhr früh aufzustehen, dann auf den Samowar zu warten und Tee zu trinken.
»Hör mal, mein Bester, wie viele Bauern sind bei uns gestorben, seit wir die letzte Liste eingereicht haben?«
»Das ist nicht so leicht zu sagen. Viele sind seitdem gestorben«, sagte der Verwalter. Dabei rülpste er und hielt sich die Hand wie ein Schild vor den Mund.
»Ja, ich muß gestehen, das habe ich mir auch selbst gedacht,« fiel ihm Manilow ins Wort, »es sind wirklich sehr viele gestorben!« Hier wandte er sich an Tschitschikow und wiederholte: »Wirklich, sehr viele!«
»Wie viele ungefähr?« fragte Tschitschikow.
»Ja, wie viele?« wiederholte Manilow die Frage.
»Ja, wie soll ich es sagen? Es ist doch unbekannt, wie viele gestorben sind: kein Mensch hat sie gezählt.«
»Gewiß,« bestätigte Manilow, sich an Tschitschikow wendend, »das ist auch meine Ansicht, die Sterblichkeit war groß; es ist völlig unbekannt, wie viele gestorben sind.«
»Bitte, zähle sie einmal,« sagte Tschitschikow zu dem Verwalter, »und stelle eine kleine Namensliste auf.«
»Ja, eine Liste mit allen Namen«, sagte Manilow. Der Verwalter sagte: »Zu Befehl!« und ging.
»Zu welchem Zwecke brauchen Sie das?« fragte Manilow, als der Verwalter gegangen war.
Diese Frage schien dem Gast einige Schwierigkeit zu machen; sein Gesicht nahm auf einmal einen so gespannten Ausdruck an, daß er sogar errötete – er wollte offenbar etwas sagen, was sich nicht gut in Worte kleiden ließ. Manilow bekam bald in der Tat so seltsame und ungewöhnliche Dinge zu hören, wie sie noch kein menschliches Ohr gehört hat.
»Sie fragen, zu welchem Zweck? Der Zweck ist folgender: ich möchte gerne die Bauern kaufen . . .« begann Tschitschikow. Hier verschluckte er sich und kam nicht weiter.
»Gestatten Sie aber die Frage,« sagte Manilow, »wie wollen Sie die Bauern kaufen: mit dem Boden oder zwecks Übersiedlung, also ohne Boden?«
»Nein, eigentlich will ich nicht die Bauern,« sagte Tschitschikow, »ich möchte die toten . . .«
»Wie? Entschuldigen Sie . . . ich höre etwas schlecht, mir kam eben vor, als hätten Sie etwas sehr Merkwürdiges gesagt . . .«
»Ich habe die Absicht, die Toten zu kaufen, die aber in der letzten Liste noch als Lebende geführt werden«, sagte Tschitschikow.
Manilow ließ seine Pfeife auf den Boden fallen, riß den Mund auf und blieb mit aufgerissenem Munde einige Minuten sitzen. Die beiden Freunde, die soeben von den Annehmlichkeiten eines freundschaftlichen Zusammenlebens gesprochen hatten, saßen unbeweglich