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schwitzt wohl, oder was. Wenn du doch wenigstens mal ins Bad gehen wolltest.« Worauf Petruschka nichts erwiderte und sich nur bemühte, irgendeine Arbeit vorzunehmen: entweder ging er mit der Bürste zu dem zum Putzen aufgehängten Frack seines Herrn oder räumte einfach etwas auf. Was dachte er sich wohl, während er so schwieg? Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Auch du bist gut: es ist dir doch nicht zu dumm geworden, vierzigmal dasselbe zu wiederholen . . .« Das weiß Gott allein, es ist schwer zu ergründen, was sich so ein Leibeigener denkt, wenn ihm sein Herr eine Rüge erteilt. Das ist also alles, was man zunächst von Petruchka zu wissen braucht. Der Kutscher Sselifan war jedoch ein ganz anderer Mensch . . . Der Autor kann sich aber nicht entschließen, seine Leser solange mit Leuten der niederen Klasse zu unterhalten, da er aus Erfahrung weiß, wie ungerne sie die Bekanntschaft der niederen Stände machen. So ist einmal der Russe: er ist sehr darauf erpicht, einen Menschen, der auch nur um eine Stufe höher steht als er, kennenzulernen, und die flüchtigste Bekanntschaft eines Grafen oder Fürsten ist ihm mehr wert als die intimste Freundschaft eines anderen Menschen. Der Autor hat sogar einige Bedenken, daß sein Held nur Kollegienrat ist. Hofräte werden vielleicht seine Bekanntschaft nicht verschmähen, aber diejenigen, die dem Generalsrang nahestehen, werden ihm vielleicht einen jener verächtlichen Blicke zuwerfen, die der Mensch hochmütig auf alles wirft, was ihm zu Füßen kriecht; oder sie werden, was noch schlimmer wäre, an ihm mit einer für den Autor tödlichen Nichtachtung vorbeigehen. Wie traurig aber auch das eine wie das andere sein mag, wir müssen doch zu unserem Helden zurückkehren. Nachdem er also noch am Vorabend die nötigen Befehle erteilt hatte, erwachte er früh am Morgen, wusch sich, rieb sich vom Kopf bis zu den Füßen mit einem nassen Schwamm ab – was er nur an Sonntagen zu tun pflegte –, rasierte sich so sorgfältig, daß die Wangen in Bezug auf Glätte und Glanz dem echten Atlas gleich wurden, zog den Frack von preißelbeerfarbenem Tuch mit Glanz an, darüber einen mit einem ausgewachsenen Bären gefütterten Mantel, stieg, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite vom Gasthofdiener gestützt, die Treppe hinunter und setzte sich in den Wagen. Der Wagen rollte mit Donnergepolter aus dem Gasthoftore auf die Straße. Ein vorbeigehender Pope zog den Hut, und einige Jungen in schmierigen Hemden streckten ihre Hand aus und bettelten: »Herr, schenk etwas der armen Waise!« Als der Kutscher merkte, daß der eine von ihnen großer Liebhaber war, auf das hintere Trittbrett zu steigen, zog er ihm eins mit der Peitsche über, und der Wagen begann über die Steine zu springen. Nicht ohne Freude erblickte man in der Ferne den gestreiften Schlagbaum, welcher verhieß, daß das schlechte Pflaster, ebenso wie jede andere Qual, bald ein Ende nehmen würde. Nachdem Tschitschikow seinen Kopf einige Male ziemlich heftig am Wagenkasten angeschlagen hatte, fuhr der Wagen endlich auf weichem Boden weiter. Kaum war die Stadt hinter ihnen geblieben, als zu beiden Seiten der Landstraße die bei uns überall verbreiteten unharmonischen Bilder auftauchten: Erdhügel, Tannengestrüpp, niedere, verkümmerte, junge Fichten, angebrannte Stämme alter Fichten, wildes Heidekraut und ähnlicher Unsinn. Hie und da fuhren sie durch Dörfer, die sich schnurgerade hinzogen und deren Häuser an aufgestapeltes altes Brennholz erinnerten; sie waren mit grauen Dächern gedeckt, unter denen geschnitzte Verzierungen in Form gestickter Handtücher herabhingen. Wie gewöhnlich saßen einige Bauern müßig in ihren Schafpelzen auf den Bänken vor den Toren; die Weiber mit dicken Gesichtern und eingeschnürten Brüsten blickten aus den oberen Fenstern heraus; aus den unteren Fenstern sah hie und da ein Kalb heraus oder steckte ein Schwein seine blinde Schnauze hervor. Mit einem Worte, die bekannte Landschaft. Nachdem er schon die fünfzehnte Werst hinter sich hatte, erinnerte sich Tschitschikow, daß hier nach Manilows Aussage dessen Gut liegen mußte; aber auch der sechzehnte Werstpfahl flog vorbei, ohne daß vom Gute etwas zu sehen wäre. Wären sie nicht zwei Bauern begegnet, so hätten sie sich kaum zurechtgefunden. Auf die Frage: »Ist das Dorf Samanilowka noch weit?« zogen die Bauern die Mützen, und der eine von ihnen, der etwas klüger war und einen Knebelbart trug, antwortete: »Vielleicht Manilowka und nicht Samanilowka?«

      »Na ja, Manilowka.«

      »Manilowka! Wenn du noch eine Werst gefahren bist, so bist du da, das heißt das Gut liegt dann gerade rechts.«

      »Rechts?« fragte der Kutscher.

      »Rechts«, sagte der Bauer. »Das ist die Straße nach Manilowka; ein Samanilowka gibt es hier nicht. So heißt eben das Dorf: Manilowka. Ein Samanilowka gibt es nicht. Dort siehst du gerade auf dem Berg ein steinernes einstöckiges Haus, das ist das Herrenhaus, in dem der Herr selbst wohnt. Das ist Manilowka, ein Samanilowka hat es hier aber niemals gegeben.«

      Sie machten sich also auf die Suche nach Manilowka. Nach zwei weiteren Werst bogen sie auf einen Feldweg ab; nun waren sie schon wohl zwei, drei oder sogar vier Werst auf diesem Wege gefahren, aber vom einstöckigen steinernen Hause war noch immer nichts zu sehen. Tschitschikow erinnerte sich der alten Regel: wenn ein Freund einen zu sich aufs Gut einlädt, das fünfzehn Werst von der Stadt entfernt sein soll, so sind es sicher dreißig Werst. Das Dorf Manilowka konnte wohl kaum jemand durch seine Lage verlocken. Das Herrenhaus stand ganz einsam auf einer Anhöhe, die jedem Winde offen war, dem es nur zu blasen einfiel; der Abhang des Berges, auf dem es stand, war mit geschorenem Rasen bekleidet. Darauf waren auf englische Manier zwei oder drei Beete mit Fliederbüschen und gelben Akazien angelegt; hie und da erhoben kleine Gruppen von fünf bis sechs Birken ihre kleinblättrigen, dünnen Wipfel. Unter zwei dieser Birken war ein Pavillon zu sehen, mit flacher grüner Kuppel, blauen Holzsäulen und der Inschrift: »Tempel einsamer Betrachtung«; etwas tiefer befand sich ein mit grünem Schlamm überzogener Teich, wie er in den englischen Parks russischer Gutsbesitzer gar nicht selten ist. Am Fuße dieser Anhöhe und auch hier und da auf ihrem Abhange lagen kreuz und quer graue, roh aus Balken gezimmerte Bauernhäuser, die unser Held aus unbekannten Gründen sofort zu zählen begann: er zählte ihrer über zweihundert. Zwischen ihnen erblickte man nirgends ein Bäumchen oder irgendein Grün: man sah nichts als die nackten Balken. Das Bild belebten zwei Bauernweiber, die, die Röcke malerisch hochgerafft, bis an die Knie durch den Teich wateten und an zwei Klötzen ein zerrissenes Schleppnetz zogen, in dem zwei in die Maschen geratene Krebse und einige silbern schimmernde Plötzen zu sehen waren; die Weiber hatten sich anscheinend gezankt und wechselten ab und zu Schimpfworte. Etwas weiter abseits dunkelte ein Fichtenwald in einem langweiligen Graublau. Selbst das Wetter war sehr entsprechend: der Tag war weder heiter noch trübe, sondern von dem eigentümlichen Hellgrau, das man an den Uniformen der Garnisonsoldaten sieht – dieses im übrigen sehr friedlichen, doch an Sonntagen oft angetrunkenen Heeres. Zur Vervollständigung des Bildes fehlte es nicht an einem Hahn, dem Künder der Witterungsumschläge, der, obwohl sein Kopf von den Schnäbeln anderer Hähne anläßlich gewisser Liebeshändel fast bis zum Gehirn durchlöchert war, sehr laut krähte und sogar mit den Flügeln schlug, die zerzupft waren wie alte Bastmatten. Als Tschitschikow sich dem Hofe näherte, erblickte er den Hausherrn selbst, der in einem grünwollenen Rocke auf dem Flur stand und die Augen mit den Händen beschattete, um die sich nähernde Equipage besser sehen zu können. In dem Maße, als der Wagen sich dem Hause näherte, wurden seine Augen lustiger und sein Lächeln breiter.

      ›Pawel Iwanowitsch!‹ schrie er, während Tschitschikow aus dem Wagen stieg: ›Endlich haben Sie sich unser doch erinnert!‹

      Die beiden Freunde tauschten herzliche Küsse aus, und Manilow führte seinen Gast ins Zimmer. Obwohl die Zeit, in der sie durch den Flur, das Vorzimmer und das Esszimmer gehen werden, etwas kurz ist, wollen wir doch versuchen, inzwischen etwas über den Hausherrn zu sagen. Hier muß aber der Autor gestehen, daß solch ein Unternehmen recht schwierig ist. Es ist viel leichter, große Charaktere zu schildern, da darf man die Farben mit vollen Händen auf die Leinwand werfen: glühende, schwarze Augen, buschige Brauen, eine durchfurchte Stirn, ein über die Schulter geworfener schwarzer oder feuerroter Mantel – und das Bildnis ist fertig; doch alle diese Herren, von denen es so viele auf der Welt gibt und die einander äußerlich so sehr ähnlich sehen, sich aber, wenn man genauer hinsieht, durch eine Menge kaum erfaßbarer Eigentümlichkeiten unterscheiden – diese Herren bilden dem Bildnismaler ungeheure Schwierigkeiten. Da muß man seine Aufmerksamkeit außerordentlich anspannen, ehe man alle die feinen, beinahe unsichtbaren Züge erkennt, und muß überhaupt seinen in der Wissenschaft der Menschenkenntnis geschärften Blick sehr tief versenken.

      Gott allein weiß es vielleicht zu sagen, was für einen Charakter Manilow hatte. Es gibt eine Sorte von Menschen, die weder Fisch noch Fleisch sind oder, wie es in einem

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