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und frühen Jugend wohl auch die herzliche Verbundenheit zur amerikani-schen Besatzungsmacht, denn die Soldaten machten sich eine Gaudi daraus, uns Kindern, die wir vor dem hohen Stacheldrahtzaun der Kaserne spielten, Kaugum­mis und Lutscher zuzuwerfen. Wir prügelten uns darum. Nach der Rauferei zeigten sie auf einzelne von uns, die nichts abbekommen hatten, und warfen ihnen auch etwas zu.

      Das war wohl Besatzungsgerechtigkeit. Niedergeschrieben schon in der Bill of Rights, damals, vor langer Zeit, 1789. Doch über Geschichte machten wir uns in jenen jungen Jahren keine Gedanken. Schließlich hatte die Geschichte gerade erst mit uns Nachgeborenen begonnen. Der Krieg war wie der Einschlag eines Kometen, der die Dinosaurier ausgelöscht hatte. Der Krieg war für mich eine Ewigkeit her. Ich war schließlich ganze fünf Jahre nach seinem Ende geboren. Der Krieg war eine totgeschwiegene, aber unleugbare Vergangenheit, die in meinen jugendlichen Augen vor urig langer Zeit für immer vergangen war. Brennend interessierte uns die Gegenwart – und das andere Geschlecht.

      *

      Um unseren Entjungferungsplan an jenem hochsommerlichen Samstag umzusetzen, mussten Hanna und ich noch Tante Ria schachmatt setzen. Aber wie? Sie hatte im zweiten Geschoss einen Balkon zum Hausgarten hin, auf dem sie nachmittags gerne residierte. Wenn ich Hanna vorne zur Haustür rein ließ, war sicherzustellen, dass Tante Ria schön hinten auf ihrem Balkon sitzen blieb. Hanna und ich mussten uns also auf die Minute abstimmen und ständig auf unsere klobigen Armbanduhren schauen. Übrigens waren Armbanduhren eine luxuriöse Ausnahme. Hanna kam mit der Straßenbahn; die hielt am Prüfling, da war Endstation. Von dort hatte sie nur zwei Minuten bis zur Obernhainerstraße 7.

      Gottseidank besaßen meine Eltern – wohl eher aus beruflichen als aus privaten Gründen – eine Luxustech- nik. Das war ein marmorweißer Telefonapparat mit Ziffern-Wählscheibe und mit einer elegant geschwungenen Telefongabel, auf der dezent ein gleichfarbiger Tele- fonhörer ruhte. Dieses Telefon hatte seinen festen Platz im Flur und thronte auf dem extra beim Versandhaus Neckermann bestellten Telefontischlein, auf dem ein dunkelrot besticktes Unterlegdeckchen dem Apparate- tisch einen quasi-religiösen Charakter verlieh – ein ver- ehrenswerter Telefonschrein.

      Nun also musste ich vorab telefonisch mit Hanna besprechen, wann genau ich die Haustür offen stehen lassen musste, damit sie unbemerkt über den Flur zur Kellertür und hinunter in mein Souterrain-Zimmer gelangen konnte. Im Garten hatte ich aus Ablenkungsgründen eine große Wanne aufgestellt und einen Wasserschlauch hineingelegt. Wasser war teuer. Geld war knapp. Wasservergeudung war eine schlimme Sache. Das war mein Köder.

      Ich hantierte extra laut singend im Garten herum, bis sich Tantchen gestört fühlte und schimpfend an die Balkonbrüstung trat. „Kannst du nicht einmal ein biss- chen leiser sein. Es ist Mittagsruhe! Kaum sind deine Eltern aus dem Haus, wird es hier unerträglich laut!“

      „Ach, Tante Ria“, sagte ich, „Gut, dass du gerade auf deinem Balkon bist. Ich möchte dich bitten, einen Augenblick auf das Wasser hinunterzuschauen, damit es nicht überläuft. Ich muss noch etwas im Keller suchen. Wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe, rufe einfach durch den Treppenflur. Dann stelle ich das Wasser ab.“

      Der Plan klappte. Die neugierige Tante war ausge- trickst. Heute war aus einem weiteren Grund ein idealer Tag für unser Vorhaben. Es gab noch eine andere Miet- partei im Haus, nämlich im Erdgeschoss, weil meine Eltern die aufgenommene Hypothek auf das nur zur Hälfte geerbte Haus nicht alleine stemmen konnten, um Mutters Schwester, Tante Anneliese, auszubezahlen. Die Mieter waren Herr und Frau Winkelmann, Geschäftsleute, die einen teuren Möbelladen am Römerberg be- trieben. Die attraktive Frau Winkelmann war vierzig Jahre alt und konnte ziemlich laut in ihrem Schlafzim- mer, das genau über meinem Souterrain-Jugendzimmer lag, stöhnen. Das war für mich Erotik pur. Geiles Kopfkino. Und Hanna lernte, wie ich mitbekam, auch sehr schnell von ihr. Die Winkelmanns waren an jenem Samstag auf Einkaufstour in Italien, wo sie teilweise ihre exquisiten Möbel anfertigen ließen. Bis auf Tante Ria hatten wir also tatsächlich absolut freie Fahrt.

      Nun war Hanna endlich unbemerkt in meinem Zimmer angekommen. Jetzt musste ich nur noch si- cherstellen, dass Tante Ria nicht ausgerechnet heute ihren Waschtag hatte, denn die Waschküche war genau neben meinem Souterrainzimmer. Und falls Hanna oder ich im Laufe unseres sexuellen Startups zu laut werden würden, na ja, dann wäre unser ganzer Aufwand um- sonst gewesen. Also stapfte ich die Treppe hoch und klingelte.

      „Tante Ria, ich wollte jetzt Wäsche waschen; aber falls du heute …“

      „Nein, nein“, unterbrach sie mich, „heute ist mein freier Tag!“

      „Das hast du auch verdient“, sagte ich. Aber bei mir dachte ich, dass sie eine ganz schön faule Sau sei, denn sie ging weder arbeiten, noch half sie meiner Mut- ter beim Reinigen des Hausflures, der Treppen, des Vorhofes oder bei der Pflege des Gartens. Doch ich verbarg meine unschicklichen Gedanken hinter einem freundlichen Lächeln. Und tatsächlich war ich auch erleichtert.

      *

      Wenn du beim ersten richtigen Sex auch noch darauf achten sollst, wie laut du sein darfst, dann haben die Schweine gesiegt. Und Schweine waren natürlich alle, die die rostbraunen und grauen Zustände dieses Landes repräsentierten. Das war das Establishment. Oft reichte das Establishment bis hinunter zu unseren Eltern und den maroden Verwandten. Insbesondere bis zu Onkel Karl, dem alten Nazi und ehemaligen SS-Standarten-Führer, der nach ultrakurzer Entnazifizierung im Handumdrehen zum bestverdienenden Allianz- Direktor aufgestiegen war. Aber in der Hauptsache standen unsere Lehrer allesamt für das verpönte Establishment, gegen das wir mit den ersten Songs der Beatles und Rolling Stones rebellierten.

      Im Sommer 1966 war „19th Nervous Breakdown“ mein Lieblingshit der Stones. Das unerträglich nervige Grau unseres Deutschlands musste zum Abblättern gebracht werden. Wir würden das westdeutsche Haus total renovieren. Aber als erstes mussten wir uns sexuell befreien. Wenn wir die Gefühlswelt befreit hätten, dann würde sich die Menschheit zum Besseren wenden. Han- nas und mein Befreiungsakt stand unmittelbar bevor.

      *

      Alles war erstmal wie immer und es begann halb so wild, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir hatten ja bereits Petting, hatten uns befummelt und aneinander gerieben und liebkost, hatten nach vier Wochen Schülerliebe fast alle Entdeckungsreisen an unseren Körpern abge­schlossen. Und nun kam der letzte Kick, der erste Akt – und, na ja, wie soll ich sagen, er war uns nicht so recht geglückt. Mir schien es ziemlich schwer, bei meiner Liebsten durch- und reinzukommen. Aber nach einer Weile fühlte es sich sehr feucht an und wir beide schauten, was sich da getan hatte.

      Hanna schrie auf. Ich staunte nicht schlecht. Eine ansehnliche Blutlache hatte Laken und Bettdecke ver- saut. Wir nahmen das bereitgestellte Toilettenpapier – eine erotischere Variante hatte sich nicht finden lassen – und ich wischte Hanna ab. Aber Hanna hatte nur Augen für meinen Pimmel. Das Wort „Schwanz“ wurde noch lange nicht benutzt. Und sie schrie wieder: „Du blutest da!“

      Mein Bändchen an der Vorhaut war eingerissen, das blutete wie die Sau. In meiner Erregung hatte ich das nicht mitgekriegt. Es tat auch nicht weiter weh, noch nicht – musste aber verbunden werden, worum sich Hanna liebevoll, zärtlich und mitfühlend bis mitleidig kümmerte. Das war mir höchst peinlich. Der erste reale Sex war eine blutige Erfahrung. Hanna war nicht entjungfert, stattdessen ich. Die romantischen Kerzen waren nicht zum Einsatz gekommen, dazu war es noch zu hell. Der Rest dieses ereignisreichen und doch so jämmerlichen Tages war irgendwie noch ganz schön, wenngleich ich etwas breitbeinig gehen musste. Deshalb saß ich viel. Die Nacht verbrachte Hanna natürlich bei mir.

      Vorher rief sie ihre Eltern an und sagte, dass sie bei ihrer Freundin übernachten würde. Bei der hatte sie zuvor angerufen und sichergestellt, was zu sagen sei, falls Hannas Eltern dort anrufen. Aber gutbürgerliche Eltern glauben ihren pubertierenden Gören. Das wirklich Gute an den guten alten Wählscheiben-Telefonen war, dass der Angerufene nie sehen konnte, von welchem Apparat aus angerufen wurde.

      Jetzt schlichen wir uns hoch in die elterliche

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