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dem Plattenbauhotel zu treffen, einverstanden. Die Frau hieß Astrid und war etwa dreißig Jahre alt. Als sie gegangen war, fragte das eine Mädchen das andere: »Hast du die Brust gesehen?«

      »Klar!«

      »Die linke!«, sagte das Clownsgesicht.

      »Die war künstlich!«, behauptete der Oberlippenbart.

      »Auf jeden Fall.«

      Ich hatte natürlich auch die Brüste der Frau gesehen und war verwirrt: »Wie kommt ihr darauf?«

      »Die meisten Frauen haben in dem Alter Brustkrebs. Das ist völlig normal«, stellte der Oberlippenbart fest.

      »Die linke war eindeutig künstlich!«, sagte das Clownsgesicht.

      Ich traf mich nicht mit Astrid am Grillplatz, ich habe sie nie wieder gesehen. Aber ich kam mit einer Idee für eine Kurzgeschichte über eine Frau mit einer künstlichen Brust zurück aus Bulgarien: »Die Frau mit der amputierten Brust«

      Ich fing an zu lesen. Frau Meier-Benoit unterbrach mich. Ich solle langsamer lesen und Satzzeichen wie Punkt und Komma beachten. »Vielleicht bin ich tatsächlich zu schnell für diese Leute«, dachte ich und las langsamer. Bald wurde ich wieder unterbrochen.

      »Lesen Sie bitte viel langsamer. Sonst können wir den Text nicht verstehen.«

      »Strengt euch an, Pack!«, hätte ich am liebsten gesagt. Es war nicht einfach, Rücksicht auf die geistige Trägheit des Publikums zu nehmen. Als ich meine Kurzgeschichte gelesen hatte, war es still im Raum. Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog, so nervös war ich. Niemand sagte etwas, alle waren völlig beeindruckt von meinem Text. Es hatte ihnen die Sprache verschlagen. Plötzlich fragte die mütterliche Hausfrau behutsam, ob es richtig sei, ein solch ernstes Thema, von dem viele Frauen betroffen seien, so zu behandeln.

      »Literatur darf alles, kann alles, muss alles!«, sagte ich.

      Alle schwiegen wieder. Die Zirkelleiterin forderte die Gruppe auf, ihre Meinung zu äußern. Der Alte umklammerte mürrisch seinen Krückstock. Der Lehrer sah durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Sicher weil er sich nicht eingestehen konnte, wie gut ich war. Nach langem Schweigen der Runde sagte der Buchhalter, er wolle kein Urteil über die literarische Qualität der Kurzgeschichte abgeben, würde aber gern erfahren, ob die Frau ihre furchtbare Krankheit überlebt hätte. Plötzlich sahen mich alle an. Sie wollten es wirklich wissen! Wie naiv diese Leute doch waren. Sie interessierten sich tatsächlich für Astrid als Mensch. Ich versuchte, ihnen zu erklären, dass es sich um eine fiktive Frau handele, deren Krankheitsverlauf für die Kurzgeschichte unwichtig sei. Niemand wagte es danach, meine Kurzgeschichte zu beurteilen. Die Zirkelleiterin erklärte, es sei der Mut des Autors zu würdigen, für den Versuch, ein solches Problem literarisch zu bewältigen. Dann trug sie ein Gedicht von Hölderlin vor und spielte auf der Blockflöte. Mein Urteil über diese Leute stand fest. Ich besuchte den Zirkel Schreibender Arbeiter nie wieder.

      Abendschule

      Ich hatte mich entschlossen, neben der Arbeit im Wald das Abitur zu machen. An der Abendschule. Einer meiner Mitschüler war Kurt, ein junger, sehr korrekter Mann mit altmodischer Brille. Er wollte nach dem Abitur Koch in der Nationalen Volksarmee werden. Keiner in unserer Klasse verstand seinen Wunsch: Wir waren der Meinung, dass eine Karriere als Koch in der NVA keine Karriere war. Kurt arbeitete als Koch in einer heruntergekommenen Gaststätte der Altstadt, deren Hilfskoch auch während der Arbeit trank. Ihn im Sinne des sozialistischen Kollektivs zu erziehen, war keine einfache Aufgabe für Kurt. Vielleicht wollte er deshalb einen Arbeitsplatz mit klaren Strukturen und eindeutiger Befehlsgewalt. Unser Mitschüler Olaf war ein schlaksiger, gutmütiger junger Mann. Er war Tischler und Mitglied einer kleinen kirchlichen Gemeinde. Olaf erzählte uns gern, wie Mitglieder seiner Gemeinde zum christlichen Glauben gefunden hätten. Mit leuchtenden Augen berichtete er von einer jungen Frau, die täglich achtzig Zigaretten geraucht und hemmungslosen Sex gehabt hätte, bis sie durch ihn zum christlichen Glauben und zur Enthaltsamkeit bekehrt worden sei. Olaf war seit Jahren auf der Suche nach einer Frau für die Ehe. Natürlich sollte sie Mitglied seiner Glaubensgemeinschaft sein, was seine Wahl erheblich einschränkte. In unserer Stadt kamen für ihn nur zwei Mädchen infrage. Er charakterisierte beide in einer Weise, die es klar an christlicher Nächstenliebe fehlen ließ, und blieb auch nach den Protesten der Mädchen unserer Abendklasse dabei. Notgedrungen suchte er ein heiratswilliges Mädchen in anderen Gemeinden der DDR. Er fuhr mit seinem Motorrad in den Süden, in den Norden, nach Osten und Westen, ans Meer und in die Berge. Überall wurde er enttäuscht. Olaf schimpfte wochenlang über das Treffen mit einer verdorbenen, sündigen Glaubensgenossin, bei deren Anblick er nach einer Fahrt von dreihundert Kilometern sofort das Motorrad gewendet und wieder nach Hause gefahren sei. Das Mädchen habe sich die Lippen geschminkt! Seine künftige Ehefrau sollte unbedingt noch eine weitere Leidenschaft mit ihm teilen: die Liebe zum Seeadler in Mecklenburg. Durch die Schädlingsbekämpfungsmittel der Landwirtschaft, deren Gift durch Beutetiere auch in den Körper des Adlers gelangte, war der Vogel fast ausgestorben. Olaf widmete sich in seiner freien Zeit den letzten mecklenburgischen Adlern. Tagelang beobachtete er mit einem Fernrohr den letzten bewohnten Adlerhorst in unserem Landkreis. Nie, nie, niemals würde er dessen Platz verraten, versicherte er uns. Uta war eine muntere Rothaarige. Sie stellte sich der Klasse mit dem Satz vor: »Ich bin die Müllerin!« Sofort sah ich Uta vor mir, wie sie mehlüberstäupt und keuchend riesige Mehlsäcke durch eine Mühle schleppte. Tatsächlich arbeitete sie als Buchhalterin in einer Getreidemühle. Uta fragte mich am ersten Tag, ob wir nicht zusammen Schularbeiten machen wollten. Wir standen auf dem Flur der Abendschule und sie presste ihre Hüfte gegen meine. Uta verließ die Klasse nach einem Streit mit Herrn Schulz, dem Direktor der Abendschule, der auch unser Russischlehrer war. Wir Schüler waren bestürzt von der Nachricht, dass wir auch das Fach Russisch haben würden. Alle waren der Meinung, dass wir schon genug sinnlosen Russischunterricht gehabt hätten. Sogar Kurt äußerte diese Meinung, wenn auch nur leise. Immerhin wollte er fünfundzwanzig Jahre in der Armee dienen. Herr Schulz war ein sehr großer, sehr schlanker Mann mit spiegelblanker Glatze; ein Mann mit sehr aufrechter Haltung: Herr Schulz behauptete, Russisch sei die künftige Weltsprache auf allen Kontinenten. Wir hielten dagegen, dass wir Russisch in unserem Alltag nicht anwenden konnten, dass wir als Ausländer den größten Teil der Sowjetunion nicht bereisen durften und die Sprache in den anderen sozialistischen Ländern sehr unbeliebt war. Der Direktor sagte sehr vorwurfsvoll, Russisch sei die Sprache von Puschkin und Tolstoi. Es war schon erstaunlich, dass wir es überhaupt wagten, mit ihm über den Sinn dieses Unterrichtsfachs zu diskutieren. Wir unterlagen dem Irrtum, dass berufstätige Erwachsene eine eigene Meinung vertreten durften. Der Direktor befreite uns davon, indem er knapp erklärte, dass wir die Sprache der Sowjetunion beherrschen müssten, wenn wir das Abitur absolvieren wollten. Kurt, der zukünftige Offizier, hatte zu diesem Zeitpunkt längst nichts mehr gesagt. Olaf, als Mitglied einer geduldeten kirchlichen Gemeinde in der DDR, hatte gar nicht erst mit dem Direktor diskutiert. Uta war die einzige Schülerin, die den Sieg der russischen Sprache in der Welt nicht akzeptierte. Sie diskutierte gern und wusste nicht, wann man aufhören musste. Herr Schulz interpretierte das Schweigen der anderen als Zustimmung und sagte etwas zu ihr, was die meisten von uns so oder ähnlich längst von ihm erwartet hatten. »Es drängt sich mir die Frage auf, ob Sie an diesem Ort richtig aufgehoben sind.«

      Unser Deutschlehrer war Herr Backhaus, ein kleiner, gütiger Mann mit rundem, rotwangigem Gesicht, ein Pädagoge, wie geschaffen für den Beruf. Er war Direktor an meiner Grundschule gewesen, bevor er viele Jahre als Hilfsarbeiter in einer Fabrik zur Herstellung von Briketts gearbeitet hatte. Ein ehemaliger Mitschüler von mir, Detlef Pieckowna, war nicht unschuldig daran gewesen, dass Herr Backhaus Hilfsarbeiter geworden war. Detlef war zunächst so unauffällig gewesen, dass andere Kinder in der Klasse nicht einmal über sein Aussehen spotteten. Lehrer wurden erst auf ihn aufmerksam, wenn wieder einmal feststand, dass Detlef der beste Schüler der Klasse war. Dann wurde er dreizehn Jahre alt und Hormone veränderten seinen Körper. Detlef entdeckte die Liebe. Viele verlieben sich mit dreizehn, die meisten in andere junge Menschen. Detlef verliebte sich in Waffen. Soldaten hatten viele Waffen in den Wäldern, den Seen, in den Flüssen und Teichen unserer Gegend zurückgelassen, besonders am Ende des letzten Weltkriegs. Detlefs Vater, ein Lehrer, verbot seinem Sohn das Spielen mit Waffen,

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