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In deutschen Zeiten. Uwe Heit
Читать онлайн.Название In deutschen Zeiten
Год выпуска 0
isbn 9783738092554
Автор произведения Uwe Heit
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Was ist ein Tipp?«
»Das ist Tanzschulfachsprache.«
Rolf schwang mich über das Linoleum. Ich trat ihm auf die Füße.
»Richtig tippen, Blödmann!«, rief Rolf wütend. »Tippen, tippen!«
Plötzlich stieß er mich von sich: »Ich schlage dir in die Fresse! Ich schlag rein! Nur einen Schlag!« Er sah mich wütend mit geballten Fäusten an. Ich versuchte, ihn zu besänftigen. Rolf hatte oft erzählt, dass und wie er schnell zugeschlagen hatte – wegen der »Weiber« und auch sonst. Schließlich beruhigte er sich.
Als er mich das zweite Mal von sich schob, fuhr seine Faust wild durch die Luft. »Ich baller zuerst in deine Magengrube und dann auf dein Kinn. Ein Schlag und du krümmst dich zusammen. Brüllst tierisch. Dann schickt meine Faust dich in den Himmel. Klaro?«
Ich redete beruhigend auf ihn ein. Endlich übten wir weiter, bis er mich wieder von sich stieß.
»Du hast genug gelernt.«
»Ich kann tanzen?«
»Du musst die Weiber immer so führen wie ich.«
»Wie meinst du das?«
Rolf starrte mich an, als hätte er gerade erkannt, dass ich noch dümmer war, als er gedacht hatte.
»Denkst du, ich tanze so wie du? Wie eine Frau?«
Wir Lehrlinge durften den Plattenbau nur verlassen, wenn wir gute Noten bei der Zimmerreinigung bekamen. Eines Tages hatten Rolf und ich es tatsächlich geschafft: Unsere Wohnung war nach Meinung der Erzieherin vom Dienst so sauber, dass wir die Genehmigung erhielten. Bevor sie uns gestattete, das Heim zu verlassen, erinnerte sie uns daran, welche Vergehen welche Strafen zur Folge haben würden. Dann erhielten wir die Ausgangsmarke, ein Stück Eisen mit eingestanzter Nummer, deren Verlust einen Monat Ausgangssperre bedeuten würde. Wir bereiteten uns gründlich auf den Besuch der Diskothek vor. Rolf putzte seine Zähne mit einem Waschmittel für Buntwäsche, damit sie strahlend weiß wurden, weil er ein Mädchen kennenlernen und »bumsen« wollte. Er trug seine schwarze, dick gerippte Hose. Ich hatte mir für die Disko eine braune Hose angezogen. Ich hätte gern eine Jeans gehabt. Eine echte Jeans. Eine Levi’s. Für Maurerlehrlinge gab es keine männlichere Hose als dieses Symbol des amerikanischen Imperialismus. Rolf besaß angeblich drei. Die Weiber würden schwach werden, wenn sie seine muskulösen Beine in den hautengen Jeans sehen würden, behauptete er.
Bei unserer Ankunft standen Jugendliche in einer schier endlos langen Schlange vor der Diskothek. Während der Stunden des Wartens und Vorrückens in der Schlange in Richtung Eingang dachte ich über meine Chancen bei Mädchen nach. Ich hatte erfahren müssen, dass sie nicht größer wurden, wenn ich erzählte, dass ich Baufacharbeiterlehrling war. Rolf hatte gesagt, dass wir uns als Studenten der Zahnmedizin ausgeben sollten. Das würde Mädchen beeindrucken. Ich wusste aber nichts über Zahnmedizin und konnte nicht glauben, dass uns jemand für Studenten der Zahnmedizin halten würde. Wir sahen wie Baufacharbeiterlehrlinge aus. Rolf sprach zwei Blondinen vor uns in der Schlange an. Er sagte, wir wären Studenten der Zahnmedizin.
»Zahnarzt? Du? Wer ’s glaubt, wird selig!«, sagte die blasse Blonde.
»Ich kann dich ja küssen! Dann spürst du es!«, erwiderte Rolf frech.
Die andere Blondine lächelte.
Als die Eingangstür der Diskothek geöffnet wurde, zuckte die menschliche Schlange wie nach einem Stromschlag und wandte sich hin und her. Rolf und ich wurden umhergeworfen, nach vorn, zur Seite, nach hinten. Es kostete uns Kraft, in der Schlange zu bleiben. Wir wussten, würden wir hinausgeworfen, würden wir nicht wieder hineinkommen. Aneinandergeklammert gelangten wir Schritt für Schritt näher an den Eingang. Endlich konnte ich ihn in der Ferne erkennen. Beim Anblick der Gesichter der Türsteher Stunden später verlor ich fast die Hoffnung, dass wir es in die Disko schaffen würden. Unser Kampf um den Platz in der Schlange wurde in der Nähe des Eingangs noch härter. Mädchen kreischten. Ich hatte Angst um meine Rippen. Vor dem Eingang ging es um jeden Zentimeter. Jeder kämpfte. Niemand wusste, wann die Türsteher die Tür endgültig schließen würden. Mädchen wurden über unsere Köpfe hinweg in die Diskothek gezogen. Rolf und ich waren schließlich an der Tür. Ein Türsteher ergriff mich am Hals und versuchte, mich aus der Schlange zu lösen. Ich stemmte mich mit ganzer Kraft gegen die Schlange, während er an meinem Hals zerrte. Endlich gab mich die Schlange frei und ich fiel in den Eingang. Ich hörte Rolfs Brüllen, sah seinen aufgerissenen Mund, Teile seiner Kunstlederjacke und seinen verdrehten Oberarm in der Masse. Er kämpfte verbissen. Nachdem die Türsteher auch ihn hereingezogen hatten, schlossen sie mit einem gewaltigen Ruck die Tür. Die Schlange brüllte.
Wir richteten uns notdürftig in der Toilette wieder her, dann stellten wir uns an die Tanzfläche, denn die Plätze an den Tischen waren besetzt. Es war sogar an den Wänden des Saals nichts mehr frei. Ich hoffte auf ein Mädchen, das mit mir tanzen würde. Gab es solche Mädchen in der Bezirksstadt? Die Blondinen aus der Schlange vor uns hatten es auch hineingeschafft. Sie tanzten zusammen in unserer Nähe. Auf meine Frage, ob wir mit ihnen tanzen wollten, schrie Rolf mir ins Ohr: »Die wollen nicht ficken!"
Ich zeigte Rolf hübsche Mädchen in der Hoffnung, dass er sie mit mir zum Tanzen auffordern würde. Er reagierte jedes Mal beleidigt. Mir wurde klar, dass er sehr hohe Ansprüche hatte. Endlich entdeckte er auf der Tanzfläche ein Mädchen nach seinem Geschmack. Ich sollte mit der hässlichen Freundin tanzen. Wir forderten die beiden auf und ich sagte meiner Tanzpartnerin sofort: »Ich kann nicht richtig tanzen!« Es schien ihr nichts auszumachen, dass ich ihr immer wieder auf die Füße trat. Wegen der lauten Musik schrie ich meiner Partnerin ins Ohr: »Gehst du nur hierher oder auch woanders hin?«
»Wir gehen überall hin, aber schön ist es nur im Casino«, schrie sie.
Ich hatte schon von der Diskothek gehört.
»Ich bin auch gern im Casino«, schrie ich.
»Ich habe dich noch nie dort gesehen!«, schrie das Mädchen.
Rolf schleuderte derweil ihre hübsche Freundin über die Tanzfläche.
Mein Mädchen ließ sich nicht zu einem zweiten Tanz überreden. Ich stellte mich wieder an die Tanzfläche. Mein Bier war gestohlen worden. Ich forderte Mädchen zum Tanzen auf und erhielt Absagen. Ein Mädchen an einem Tisch schüttelte den Kopf, bevor ich ein Wort sagen konnte. Ein sehr temperamentvoll allein tanzendes Mädchen lehnte fröhlich ab. Rolf tanzte mit seinem Mädchen bis zur Pause. Später erzählte er mir, es sei scharf auf ihn gewesen. Weil der Barkeeper mir kein Bier verkaufen wollte, ging ich in die andere Bar der Diskothek. Deren Barkeeper unterhielt sich mit Gästen. Es ging um ein Seegrundstück, das ein Bekannter von ihnen gekauft hatte. Ich wartete schweigend an der Bar darauf, dass er mich beachtete. Später verkaufte er mir tatsächlich ein Glas Bier. Und dann wurden an dem Tisch neben der Bar sogar Plätze frei. Endlich konnten wir sitzen. Rolf war enttäuscht von den Mädchen in der Disko. »Keine Weiber hier!«, schimpfte er. Als ich nach einer weiteren vergeblichen Aufforderung zum Tanz an unseren Tisch zurückkam, saßen dort zwei fremde Männer. Zu ihnen gehörte eine junge Frau auf einem Hocker an der Bar, die Freundin oder Ex-Freundin von einem der beiden Männer, wie ich aus der Unterhaltung der drei erfuhr. Rolf stierte finster in den Raum. Die Männer beachteten uns nicht. Ich hörte, dass sie Autoschlosser waren. Ein angesehener Beruf in einem Land, in dem man Jahre auf ein Auto aus Pappe warten musste und Ersatzteile dafür nicht kaufen konnte. Plötzlich sprach mich der eine Mann zu meiner Überraschung an.
»Tanz mit ihr!«, sagte er und wies mit dem Daumen auf seine Freundin oder Ex-Freundin an der Bar. Ich sah die füllige Frau in ihrem engen Kleid überrascht an. Herausfordernd erwiderte sie meinen Blick. Eingeschüchtert sah ich weg. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich rührte mich nicht vom Fleck.
»Wird ’s bald?«, fragte der Autoschlosser.
Ich konnte der Frau unmöglich einen Korb geben. Viel zu gefährlich. »Ich will vorher nur noch kurz auf Toilette«, murmelte ich.
»Aber dalli, dalli«, sagte der Mann.
Ich sah