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jährigen Rentnerin. Sein kleines gammeliges Zimmer roch nach: Scheiße, Pisse und Sperma, er wollte da raus, und das um jeden Preis. Es war Zufall, dass er eines Abends seinen Schnaps bei Ede Liedloff im „Bumser“ trank, denn eigentlich waren ihm die Preise im „Bumser“ zu hoch, - aber, speziell „das“ ist ein anderes Thema. Es war wenig Betrieb an jenem bestimmten Abend. Ede, der uneingeschränkte Chef saß mit seiner Bodyguard im Laden, dort, wo sich der Tresen befand, er starrte auf den eingeschalteten Fernseher und guckte sich, mit offenem Mund, die dritte Wiederholung der ersten Mondlandung der Menschheitsgeschichte an, er konnte es einfach nicht fassen, dass die Amerikaner auf dem Mond gelandet waren, - dann erschien wie gesagt: Horst, normal gekleidet, wenn nicht sogar „armselig“ gekleidet, etwas ängstlich, etwas unsicher und etwas unbeholfen wirkte er. Ede sah ihn lange an, bevor er ihn fragte: „Na, du, - wie sieht es aus? Pimpern, oder saufen? Auf was hast du Bock, sag` an?“ Horst sagte daraufhin: „Saufen, nur saufen, denn saufen ist billiger! Im Moment kann ich mir nämlich nur „wichsen“ leisten! So sieht das aus, mein Herr.“ Ede lächelte nach diesem Geständnis, das ihm runter ging wie Öl. Ja, und irgendwie mochten sich die beiden auf Anhieb. Horst erzählte „alles“ von sich, das gefiel Ede. - Und wie das Schicksal es so wollte, stellte er, Ede, Horst, nach einigen Schnäpsen noch am selben Abend als „Türsteher“ ein, weil die Stelle gerade frei war; ein besseres Zimmer als das alte erhielt er auch. So begann eine dicke, aufrichtige Freundschaft, wie sie unter Männern auf dem Kiez nicht unbedingt üblich war- und ist.

      Wie aber verliefen die folgenden Jahre für die beiden?

      Gut bis sehr gut, lautet die Antwort. Der Kiez, insgesamt betrachtet, boomte, Touristen strömten in Scharen herbei, um sich im Rotlicht verzaubern zu lassen, die Gier nach sinnlicher Befriedigung, nach Sex, nach Leuchtreklame, nach mehr Schein als sein, die war so groß, dass die Kassen laut klingelten, und zwar bis ins europäische Ausland. Ede, der Eigentumswohnungen sammelte wie Postkarten, lebte vorwiegend in dem Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, protzig, großkotzig ließ er „den“ Edel-Luden raushängen, während Korn-Horst eine Luxuswohnung in Kieznähe bevorzugte, weil er lieber dichter dran war am Milieu. Korn-Horst, um ihn im Visier zu behalten, war im Laufe der Jahre zum Geschäftsführer aufgestiegen, das war allerdings nur eine: Einnahmequelle, die andere hieß Steuerbetrug. Er schleuste für sich und Ede, sowie für viele andere auf dem Kiez, Millionen am Fiskus vorbei, ohne dass es jemanden auffiel, und das, bis Anfang der achtziger Jahre, bis der Kiez zu einem Kampfplatz für unterschiedliche Interessen und Rassen wurde, bis dahin schienen Ede und Korn-Horst unschlagbar zu sein, dann jedoch beanspruchten durchgeknallte Kanacken, die sofort, aus geringsten Anlässen schossen den Löwenanteil der Einnahmen für sich – der Kiez begann unattraktiv zu werden, die Entwicklung als solches, kotzte Besucher, wie auch ehemalige Kiez-Größen, nur noch an. Die Stammkundschaft blieb aus, das Geld wurde weniger, die Wirtschaftslage, von Grund auf betrachtet, war von unfähigen, bestechlichen Politikern kaputt gemacht worden, und es schien immer weiter bergab zu gehen. Nun kamen für den Kiez die neunziger Jahre. Dass Deutschland sich in einer Krise befand, das merkten die Betroffenen gegen Ende, der eben erwähnten, neunziger Jahre hautnah. Viele Leute waren plötzlich insolvent, der Staat hatte, vertreten durch Politiker aller Parteien, das Geld zum Fenster hinausgeschmissen, allerdings nicht zum Wohl für das eigene Land. Und auch Ede sowie Korn-Horst mussten den Gürtel enger schnallen, bis sie nicht mehr konnten, denn sie hatten damals nicht rechtzeitig vorgesorgt. Die Schulden drückten gewaltig, sogar die Sparguthaben hatten sich in Luft aufgelöst; der Fall, der menschliche Fall, von ganz oben nach ganz unten, war ziemlich kurz- aber heftig gewesen. Ede zog, nachdem er finanziell total am Arsch war, in eine Genossenschaftswohnung nach Harburg-Eißendorf, und lebte dort von einer kleinen, mickrigen Rente, die kaum zum Überleben reichte, während Korn-Horst als Untermieter, ohne „echten“ Mietvertrag, bei einem Kumpel in Hamburg-Hamm lebte...

      Wir schreiben, von jetzt an, das Jahr 2010, und wollen versuchen, die: Vergangenheit, den Reichtum und die Privilegien der beiden Herren als Teil „deren Lebens“ anzusehen, denn beide sahen es selber auch so. Sie hatten die Armut, welche nicht nur sie betraf, akzeptiert. – Ede schrieb in Ingo Wilff seiner Bahnhofskneipe regelmäßig an, wenn ihn der Durst überkam, er war permanent pleite, er bettelte viel zu viel nach Geld und nach Anerkennung, er war mittlerweile 74 Jahre alt, er konnte sein Bier fast gar nicht mehr bezahlen, er schmückte sich jedoch gerne mit fremden Federn, er hatte den Überblick verloren, er war nur noch eine tragische Figur aus einer Zeit, die gegenstandslos geworden war... Korn-Horst war, um beim Wort „war“ zu bleiben, wie bereits gesagt, nur noch besoffen, selten hatte er nüchterne Phasen, und wenn er mal eine hatte, dann stritt er mit Ralf über: Gott, das Frankenreich, Angela Merkel - die unfähige Bundeskanzlerin aus der Uckermark, und sie stritten über die Welt, sowie deren Entwicklung. Korn-Horst war ein rechthaberischer Drecksack, Ralf war ihm natürlich nicht böse oder nachtragend, wenn er schrie wie ein Irrer, wenn er mit den Fäusten drohte, wenn er kurz davor war abzuheben, denn dafür waren sie sich in ihrem Grund-Denk-Verhalten zu ähnlich. Beide hatten in ihrem Leben schwere alkoholbedingte Stürme überstanden, und sie hatten dennoch immer wieder zueinander gefunden, weil der regelmäßige Suff hierfür eine solide Basis geschaffen hatte, auf der sie sich regelmäßig bewegten, um es einmal verständlich auszudrücken.

      Rudolf Lüders sagte im Januar 2010, an der Rezeption im Hotel, mit einem Glas Cognac in der Hand, zu mir: „Meine beiden Söhne sind zwar aus dem Knast, Söllinger auch, aber blicken lassen tun die sich nicht.“ „Und warum ist das so?“ Fragte ich. „Weil die auf der Flucht sind, irgendwo in der Ferne sind die zu Gange, Südamerika, oder so. Ich fühle es förmlich, dass das so ist. Die haben einen großen Teil ihrer letzten Beute, welche in Deutschland gut versteckt war, ins Ausland geschafft, irgendwie genial, aber auch sehr bedauerlich, ich wünschte sie würden sich mal wieder blicken lassen.“ Dann ging Rudolf, für mich völlig unerwartet, mit Tränen in den Augen, und mit dem Cognac-Glas in der Hand, auf Toilette, er weinte und kotzte in die Toilettenmuschel. Kurze Zeit später, Rudolf kam nämlich überhaupt nicht mehr zurück, aber ich konnte ihn hören, da erschien seine Gattin: Heide Lüders; wie aus dem „Nichts“ stand sie plötzlich vor mir. „Darf ich dir mal etwas anvertrauen?“ Fragte sie mich. „Ich bin ein geduldiger Zuhörer, wie du weißt!“ „Ich glaube meine beiden Söhne sind auf der Flucht, Rudolf, du hörst ihn im Hintergrund kotzen, hatte eine Art von Eingebung vor ein paar Tagen im Traum gehabt, er glaubt unsere Söhne, vermutlich auch Söllinger, sind in Südamerika. Was sagst du dazu? Und, einen großen Teil der Beute, welche in Deutschland versteckt war, haben sie wahrscheinlich außer Landes geschafft, es ist fast schon genial, aber auch irgendwie nicht. Denn ich, Heide Lüders, ich finde eine innerliche Eingebung, also ich finde das in hohem Maße unheimlich. Es berührt mich, was hältst du davon, sprich mit mir, Jürgen?“ Ich wollte gerade antworten, schon fing Heide, ähnlich wie ihr Gatte, von einer Sekunde auf die andere, an zu schluchzen und verschwand raschen Schrittes in den privaten Räumlichkeiten. Rudolf rotzte und kotzte weiterhin auf der Toilette, ich zog mich hingegen auf unsere (Bianca und meine) Zimmer zurück, ich wollte schreiben, denn mein Kopf war voller Ideen. Doch bevor ich das tat, schaltete ich den Fernseher ein, ich zappte durch die Programme, aber ich fand nichts, was mich sonderlich interessierte, - doch aus irgendeinem Grund ließ ich den Guckkasten an, ich goss mir einen Scotch ein, setzte mich an den Computer, fuhr ihn hoch, klickte auf das „Word-Icon“ und begann, locker aus dem Handgelenk, zu schreiben. Es waren Eindrücke, welche ich niederschrieb, die sehr gemischt waren, Vielfältigkeit entströmte meinem Hirn. Natürlich war Hartz IV, wie auch die alltägliche Politik, immer noch ein Thema für mich, aber was so rund herum um mich im Hotel geschah, das hatte natürlich auch seine Berechtigung, die ich nicht zur Seite legen wollte. Vorrangig waren wir alle durch das Erdbeben auf Haiti erschüttert, weil es dort so entsetzlich viele Tote gegeben hatte, aber genauso erschüttert waren wir, dass die liberale: FDP, Spendengelder in einer Höhe von 1,1 Millionen Euro angenommen hatte. Und Guido Westerwelle, der schwule Außenminister, das Ganze in einer Art und Weise, wie auswendig gelernt, herunterspielte. Magda und Ralf ärgerten sich besonders über die Spendenaffäre bei der FDP, Magda sagte beim gemeinsamen Abendbrot, und nach einigen Gläsern Lambrusco zu uns allen im Frühstücksraum: „Spenden an Parteien, wenn ich das schon höre, dann könnte ich wie wild um mich schlagen. Es war schon immer meine Meinung, dass mit Ausnahme der Linkspartei, alle anderen Parteien und Mitglieder des deutschen Bundestages, korrupte, geldgierige Sausäcke sind. Und... von denen

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