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ich hier nicht befürchten, aber die Nächte zogen sich endlos in die Länge. Wie jemand auf die Idee kommen kann, ein kleines Kind alleine in einer dunklen Kammer auf einem Dachboden schlafen zu lassen, ist mir bis heute noch ein Rätsel. Meine Erinnerungen an diesen Dachboden haben mich noch lange Jahre beschäftigt. Vielleicht wollten sie mich ja auch verstecken. Auf jedem Fall machte ich dort kein Theater, den über meine Lippen kam kein einziges Wort, solange die Sonne nicht wieder am Himmel lachte.

      Wie bei jedem anderen Kind auch wuchsen meine Haare, und sie wuchsen immer länger. Aber anstatt nun mit mir einen Friseur aufzusuchen, bekam ich eine Haarklammer in die Haare gesteckt. Diese Klammer hatte die Aufgabe dafür zu sorgen, dass ich etwas sehen konnte. Wenn sie abends rauskam, fielen die Haare ins Gesicht, und es wurde dunkel. Ich hatte nur noch Haare vor den Augen. Nach und nach begriff ich, warum dies so war. Sie waren nicht arm, sie bewohnten schließlich alleine ein kleines Haus zur Miete. Mein Großvater mütterlicherseits war Beamter. Sie hatten auch alle Dinge, die man so gebrauchen kann. Sei es nun ein Fernseher, eine Gitarre oder auch sonstige Dinge. Sie waren wirklich nicht arm. Nein, sie waren einfach nur extrem geizig. Sie wollten für mich keinen einzigen Pfennig ausgeben, und der Friseur hatte damals schon die dumme Angewohnheit Geld für das Haareschneiden zu nehmen. All das störte mich damals aber herzlich wenig, denn im Grunde war ich nur froh darüber, dass ich meine Ruhe hatte. Einzig die Tatsache, dass ich nicht mit Messer und Gabel essen durfte, störte mich schon. Ich war zwar erst fünf Jahre alt, aber ich hatte es mir bei den Erwachsenen abgeschaut, wie man mit Besteck umgeht. Leider sahen das meine Großeltern anders, und so verboten sie mir das Essen mit Besteck, da ich in ihren Augen wohl noch zu klein dafür war.

      Eines schönen Sommertages saß ich dann auf den Treppenstufen vor der Haustür. Es waren etwa vier bis fünf kleine Betonstufen, die rechts und links von einem Eisengeländer eingerahmt wurden. Mir war furchtbar langweilig, und so spielte ich eine ganze Weile mit meinen Händen an den Stangen des Treppengeländers, bis ich dann irgendwann auf die glorreiche Idee kam, meinen Kopf dort hindurchzustecken. Das hätte ich wohl lieber sein lassen sollen, denn mein Kopf blieb stecken, und ich war gefangen. Was blieb mir anderes übrig, als lautstark um Hilfe zu rufen? Meine Großeltern kamen heraus und sahen die Bescherung. Am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig als die Stäbe des Geländers ein wenig auseinanderzubiegen. Es sind diese Kleinigkeiten aus der Kindheit, die man wohl niemals vergisst. Diese paar Minuten in der Gefangenschaft des Geländers zogen sich damals für mich wie eine Ewigkeit in die Länge.

      Verbote gab es dort für mich zur Genüge, und die Begründung war stets die Gleiche, ich bekam nur zu hören ich sei noch zu klein. War ich das den wirklich. Hatte ich nicht schon mit meinen fünf Jahren jede Menge Erfahrungen sammeln können. Aber woher sollten sie das auch wissen? Ich bin mir sicher, dass Sie sich vorher noch nie mit mir beschäftigt hatten. Aber über sie will ich nicht klagen, den sonst behandelten sie mich gut. Ich wurde nicht angeschrien und es gab auch niemals Schläge. Es war nicht schön, aber es war friedlich. Ich durfte endlich mal Kind sein. Spielen und Fernsehen, diese Dinge beherrschten mein Leben. Wobei es Fernsehen erst am Abend gab. Auch muss ich erwähnen das meine Großeltern zwar geizig, aber trotzdem ganz normale Leute waren. Sie hätten niemanden körperlich etwas angetan. Sie behandelten mich immer gut, auf jeden Fall musste ich keine körperliche Not leiden. Der Grund, warum ich hier war, war das meine Mutter auf gar keinen Fall wollte, dass ich bei meinem Vater sein sollte. Lieber sollte ich bei ihren Eltern wohnen, als dass mein Vater mich hätte haben können. Und er hatte alles versucht, damit sein kleiner Sohn zu ihm durfte, und sei es nur eine Zeit lang gewesen. Aber ich war wohl das ideale Druckmittel für meine Mutter. Mit mir konnte sie ihm wirklich verletzen, denn ich war seine einzige verwundbare Stelle.

      In jenem Sommer gab es in der Straße, in der meine Großeltern wohnten, ein großes Fest. Ich weiß nicht mehr genau, ob es eine Hochzeit war, oder ein einfaches Straßenfest, aber auf jeden Fall gab es dort sehr viel Joghurt. Ich nutzte die Gunst der Stunde reichlich aus, und schlug mir den Bauch so voll, wie ich nur konnte. Da meine Großeltern mütterlicherseits richtig geizig waren, sagte wohl auch keiner was, als ich mich an dem Joghurt recht großzügig bediente. Als Fünfjähriger kennt man wohl seine eigenen Grenzen nur sehr schlecht. Ich schlang also einen Joghurt nach dem anderen in mich hinein. Warum auch nicht, schließlich kannte ich so etwas wie Süßigkeiten so gut wie gar nicht. Das Einzige, was ich kannte, war die Schokolade, die ich bei den Besuchen bei meinem Vater, von meinen Großeltern väterlicherseits bekam. Jetzt hatte ich die Gelegenheit und ich nutzte sie reichlich. Später in der Nacht sollte es mir noch bitter leidtun. Ich werde diese Nacht niemals vergessen. Vielleicht hatte ich einfach nur zu viel gegessen, vielleicht war auch einer oder mehrere Joghurts schlecht gewesen. Auf jeden Fall füllte ich sicherlich mehr als nur ein paar Eimer in dieser Nacht. Aber ich hatte Glück, den einen Arzt bekam ich nicht zu Gesicht, so musste ich auch keine bittere Medizin schlucken, und in der kleinen Dachkammer konnte ich wohl auch niemanden stören.

      Seit dieser Zeit kann ich keinen Joghurt mehr essen. Andere freuen sich auf den Nachtisch, darauf einen leckeren Pudding oder Joghurt zu essen. Ich kann es einfach nicht mehr, den sofort kommen dann die Erinnerungen in mir zurück. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich überhaupt das erste Mal wieder einen Schokopudding mit Sahne essen konnte. Warum an diesem besagten Tag niemand mitbekommen hatte, wie viel ich gegessen hatte, oder es nicht mitbekommen wollte, kann ich wie so vieles in meiner Kindheit nicht wirklich erklären.

      Warum ich von meinen Großeltern wieder fortkam, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Vielleicht hatte meine Mutter sich ja auch mit ihnen nur zerstritten. Aber für mich war es nicht weiter schlimm, sie zu verlassen. Ich trauerte nicht eine Sekunde beim Abschied. Für mich waren sie auch keine Großeltern, den so verhielten sie sich auch ganz bestimmt nicht. Es konnte ja schließlich nur besser werden. Als kleiner Junge sieht man die Welt halt noch mit ganz anderen Augen. Man glaubt noch an das Gute, und daran, dass es Menschen gibt, denen andere am Herzen liegen und die nicht nur darauf bedacht sind, sich nur selbst zu helfen.

      Als ich etwa zwölf Jahre alt war, erinnere ich mich, dass wir ein Haus in der Siedlung hatten, in dem eine ältere Frau alleine zu leben schien. Hinter diesem Haus war ein hübscher Garten. Nun stand in relativer Nähe zum Maschendrahtzaun, der das gesamt Grundstück umspannte, ein äußerst leckerer Johannisbeerstrauch. Also hängten wir uns halb auf den Zaun und naschten, was das Zeug hielt. Wir waren so damit beschäftigt, dass wir nicht bemerkten, dass plötzlich jemand hinter uns stand. Was für ein Schreck als wir uns dann umdrehten. Wir richteten uns schon mal darauf ein, dass wir jetzt eine auf den Deckel bekommen würden. Aber diese Frau, sie war schon mindestens hundert Jahre alt, so kam es uns jedenfalls vor, sie schimpfte gar nicht. Sie erzählte uns in aller Ruhe, dass sie schon zu alt wäre, um den Zaun zu reparieren, wir sollten doch einfach in den Garten hereinkommen, dort könnten wir so viel essen, wie wir wollten.

      Wir waren beschämt. Sie hatte mit ihrer Freundlichkeit mein Herz berührt. Keiner von uns Kindern hat sich je wieder auf diesen Zaun gelegt, und jeder hat aufgepasst das dieser Frau nichts passierte und darauf, dass ihr keine Streiche gespielt wurden. Mein Großvater väterlicherseits hat mir einmal gesagt, dass man nette Leute auch nett behandeln solle. Und wenn jemand böse zu einem ist, dann soll man erst recht nett zu ihm sein. Er hatte eine tolle Art Geschichten zu erzählen. Oft saß ich bei meiner Oma auf dem Sofa und hörte ihm zu. Er hatte zwei Weltkriege und eine lange Gefangenschaft hinter sich. Auch mehrere Hungerszeiten musste er durchleben. Er kannte sich mit der Bibel gut aus, und wenn ich eine Frage hatte, so konnte er mir meistens eine gute Antwort geben. Viele Geschichten habe ich mir immer wieder anhören müssen. Aber dafür habe ich auch sehr viel daraus lernen können. Ob ich es nun als Kind verstanden habe oder nicht, ich bekam Antworten, und ich wusste da ist jemand der mir zuhört, jemand der sich die Zeit nimmt, mir Antworten zu geben. Ein tolles Gefühl. Ich hoffe, dass meine Enkelkinder mir irgendwann einmal auch gerne zuhören, und dass ich ihnen etwas Gutes erzählen kann.

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