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begann – obgleich er mir so gutmütig erschienen war – laut und mit dem offenbaren Wunsch, mich zu verletzen, darüber zu sprechen, daß es Spitzbuben gebe, die für die Fahrt nichts zu bezahlen pflegen.

      Zu Hause schlief noch alles, so daß ich nur von der Dienerschaft die zwei Zwanziger borgen konnte. Endlich bezahlte Wassilij für mich die Droschke gegen mein nachdrücklich gegebenes Ehrenwort, dem er (ich sah es seinem Gesichte an) nicht den geringsten Glauben schenkte; er zahle nur, weil er mich liebte und sich an eine Gefälligkeit erinnerte, die ich ihm einmal erwiesen hatte. So waren meine Empfindungen wie Rauch verflogen. Als ich mich ankleidete, um mit allen andern in die Kirche zur heiligen Kommunion zu gehen, und es sich herausstellte, daß mein Anzug nicht hergerichtet war und daß ich ihn nicht anziehen konnte, beging ich eine ganze Menge Sünden; nachdem ich einen andern Anzug angelegt hatte, ging ich zur Kommunion in einem seltsamen Zustande von Zerstreutheit und mit vollkommenem Mißtrauen gegen meine eigenen schönen Eigenschaften.

      Wie ich mich zum Examen vorbereitete

      Am Donnerstag in der Osterwoche fuhren Papa, meine Schwester und Mimi mit Katjenka aufs Land, so daß in Großmamas ganzem großen Hause nur Wolodja, ich und St. Jérôme zurückblieben. Die Stimmung, in welcher ich mich am Tage der Beichte und während der Fahrt ins Kloster befunden hatte, war ganz vergangen und hatte nur eine verworrene, wenn auch angenehme Erinnerung zurückgelassen, die immer mehr und mehr von den neuen Eindrücken des ungebundenen Lebens verdrängt wurde.

      Das Heft mit der Aufschrift »Lebensregeln« war mit den alten Schulheften beiseite gelegt. Obgleich der Gedanke an die Möglichkeit, Regeln für alle Lebenslagen zusammenzustellen und sich immer nach ihnen zu richten, mir gefiel und mir außerordentlich einfach und zugleich erhaben erschien, und obgleich ich beabsichtigte, ihn zu verwirklichen, so hatte ich doch gleichsam vergessen, daß dieses sofort zu geschehen hatte, und verschob es immer wieder auf unbestimmte Zeit. Mich tröstete nur das eine, daß jeder Gedanke, der mir jetzt in den Sinn kam, genau auf irgend eine der Unterabteilungen meiner Grundsätze und Pflichten paßte: entweder auf die Grundsätze über die Beziehungen zu den Nächsten, oder zu mir selbst, oder zu Gott. »Ich werde es dann auf dieses oder jenes beziehen und ebenso noch viele, viele Gedanken, die mir dann über diesen Gegenstand kommen werden«, sagte ich zu mir selbst. Oft frage ich mich jetzt: wann war ich wohl besser und gerechter, damals, als ich an die Allmacht des menschlichen Geistes glaubte, oder jetzt, wo ich die Kraft der Entwicklung verloren habe und an der Kraft und Bedeutung des menschlichen Geistes zweifle? Und ich kann mir keine sichere Antwort geben.

      Das Bewusstsein meiner Freiheit und jenes Frühlingsgefühl der Erwartung von irgend etwas Unbestimmtem, von dem ich schon gesprochen habe, erregten mich dermaßen, daß ich mich gar nicht mehr beherrschen konnte und mich sehr schlecht zum Examen vorbereitete. Zuweilen arbeitete ich am Morgen im Unterrichtszimmer und wußte, daß ich unbedingt arbeiten müsse, weil morgen das Examen über einen Gegenstand sein werde, in welchem ich noch ganze zwei Fragen gar nicht durchgenommen hatte; doch da zieht plötzlich durch's Fenster irgend ein Frühlingsduft, – mir ist, als müsse ich mich durchaus an irgend etwas erinnern, die Hände lassen unwillkürlich das Buch sinken, die Füße beginnen wie von selbst sich zu bewegen und auf und nieder zu wandern, und im Kopfe ist es, als hätte jemand auf eine Feder gedrückt und eine Maschine in Gang gesetzt: im Kopfe beginnen so leicht und natürlich verschiedene bunte, lustige Gedanken zu tanzen, mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man kaum ihren Glanz bemerkt; und eine Stunde oder zwei vergehen unmerklich. Oder ich sitze am Abend bei der Talgkerze in meinem Zimmer; plötzlich sehe ich auf einen Augenblick vom Buch auf, um das Licht zu putzen oder mich auf dem Stuhle zurechtzusetzen, und bemerke, daß überall, hinter der Tür, in den Ecken, Finsternis herrscht, und höre, daß es im ganzen Hause still ist, – und wieder kann ich nicht anders, als einhalten und der Stille lauschen und auf das Dunkel der nach dem finsteren Zimmer geöffneten Tür blicken und lange, lange unbeweglich dasitzen oder aber hinuntergehen und durch alle leeren Zimmer schreiten.

      Oft saß ich auch am Abend lange unbemerkt im Salon und lauschte den Tönen der »Nachtigall«, welche Gascha, allein bei der Talgkerze im großen Saale sitzend, mit zwei Fingern auf dem Klavier klimperte. Und gar, wenn der Mond schien, da konnte ich durchaus nicht anders, als vom Bette aufstehen, mich an das in den Vorgarten führende Fenster lehnen und lange dasitzen, das mondbeschienene Dach von Ssaposchnikows Haus und den schlanken Glockenturm unserer Pfarrkirche betrachtend oder in den Abendschatten des Zimmers und des Gebüsches, der über den Fußpfad des Vorgärtchens fiel, starrend, so daß ich am andern Morgen mit Mühe erst um zehn Uhr erwachte.

      Wenn die Lehrer nicht gewesen wären, die mich immer noch unterrichteten, und St. Jérôme, der von Zeit zu Zeit meinen Ehrgeiz unwillkürlich anstachelte, und vor allem, wenn ich nicht gewünscht hätte, in den Augen meines Freundes Nechljudow ein tüchtiger Bursche zu sein, das heißt das Examen ausgezeichnet zu bestehen, was nach seinen Begriffen sehr wichtig war, – wenn alles dies nicht gewesen wäre, so hätten der Frühling und die Freiheit es bewirkt, daß ich selbst alles das, was ich früher wußte, vergessen hätte und auf jeden Fall beim Examen durchgefallen wäre.

      Das Geschichtsexamen

      Am 16. April betrat ich unter dem Schutze St. Jérômes zum ersten Male den großen Universitätssaal. Wir waren in unserem ziemlich eleganten Phaeton vorgefahren. Ich war zum ersten Male in meinem Leben im Frack, und alles, was ich an mir hatte, sogar die Wäsche und die Strümpfe, war ganz neu und sehr fein. Als der Schweizer mir unten den Mantel abnahm und ich in der ganzen Pracht meines Anzuges vor ihm stand, genierte ich mich sogar ein wenig, daß ich gar so elegant sei; als ich jedoch den hellen Parkettsaal betrat, der voller Menschen war, und die Hunderte junger Leute in Gymnasiastenuniform oder in Frack, von denen einige mich gleichgültig anblickten, und am Ende des Saales die Professoren mit ihren ernsten Mienen sah, die ungezwungen um die Tische herumgingen oder in großen Lehnstühlen saßen, – da verlor ich sofort die Hoffnung, die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und mein Gesicht, das zu Hause und noch hier im Flur eine Art von Bedauern darüber verriet, daß ich wider Willen so vornehm und stattlich aussah, nahm den Ausdruck größter Verzagtheit und einer gewissen Mutlosigkeit an. Ich verfiel sogar in die entgegengesetzte Übertreibung und freute mich sehr, als ich aus der nächsten Bank einen außergewöhnlich schlecht und unsauber gekleideten, noch nicht alten, aber fast ganz grauhaarigen Herrn erblickte, der, von den andern entfernt, auf einer der hinteren Bänke saß. Ich setzte mich sofort zu ihm und begann die Examinanden zu betrachten und meine Beobachtungen zu machen; es gab da verschiedene Gestalten und Gesichter, doch sie alle ließen sich, nach meinen damaligen Ansichten, leicht in drei Gattungen teilen.

      Da waren solche, die wie ich mit dem Hauslehrer oder den Eltern zum Examen gekommen waren, in ihrer Zahl der jüngere Iwin mit dem mir bekannten Frost und Ilinka Grapp mit seinem alten Vater; diese alle hatten einen Flaum um das Kinn und steife Wäsche an, saßen ruhig da, ohne die Bücher und Hefte, die sie mitgebracht hatten, zu öffnen, und blickten mit sichtlicher Ängstlichkeit auf die Professoren und die Prüfungstische. Die Examinanden der zweiten Gattung waren junge Leute in Gymnasiastenuniform, von denen viele sich schon rasierten; sie waren zumeist miteinander bekannt, sprachen laut, nannten die Professoren mit Tauf- und Vatersnamen, studierten noch, reichten einander die Hefte, kletterten über die Bänke, holten sich aus dem Korridor Pastetchen und belegte Butterbrote, die sie gleich verzehrten, wobei sie nur ein wenig den Kopf zur Bank hinabneigten. Die Examinanden der dritten Gattung, deren es übrigens nicht viele gab, waren ganz alte Männer im Frack oder noch häufiger im geschlossenen Rock, der die Wäsche verdeckte; diese benahmen sich sehr ernst, saßen abgesondert da und hatten ein düsteres Aussehen; der, der mir dadurch ein Trost gewesen, daß er sicherlich schlechter gekleidet war als ich, gehörte zu dieser letzten Gattung. Den Kopf auf beide Hände gestützt – zerwühlte, halbgraue Haare drängten sich durch seine Finger –, saß er da und las in einem Buche, nachdem er mich nur einen Augenblick mit seinen glänzenden Augen nicht grade wohlwollend angeblickt hatte. Er machte ein finsteres Gesicht und streckte nach der Seite, wo ich Platz genommen, seinen glänzenden Ellenbogen hin, damit ich nicht näher an ihn heranrückte. Die Gymnasiasten dagegen waren sehr umgänglich, und ich fürchtete mich ein wenig vor ihnen. Einer schob mir ein Buch in die Hand

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