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Gräfin.

      »Es sind wirkliche Räuber, besonders Dolochow«, erzählte Madame Karagin. »Stellen Sie sich vor, sie haben, ich weiß nicht wo, sich eines jungen Bären bemächtigt, ihn in ihrem Wagen zu Aktricen mitgenommen. Die Polizei wollte sie verhaften, aber denken Sie sich, sie haben den Polizeioffizier ergriffen, dem Bären auf den Rücken gebunden und ihn mit dem Polizisten auf dem Rücken in die Moika gejagt.«

      »Ach, ma chère, wie spaßhaft muß der Mensch ausgesehen haben!« rief der Graf, laut auflachend.

      »Aber das ist ganz abscheulich, dabei gibt es nichts zu lachen, cher comte!« rief Madame Karagin, und wider Willen platzte sie ebenso heraus wie der Graf.

      »Es hat viel Mühe gekostet, den Unglücklichen zu retten, und wenn man bedenkt, daß der Sohn des Grafen Besuchow sich auf so unsinnige Weise amüsiert! Er galt doch für einen intelligenten, gut erzogenen Menschen! Nun, ich hoffe, man wird ihn nirgends empfangen, trotz seines Vermögens. Man hat ihn mir vorstellen wollen, aber ich habe diese Ehre sogleich abgelehnt; ich habe Töchter!«

      »Wo haben Sie denn erfahren, daß er so reich ist?« fragte die Gräfin, indem sie den Fräulein den Rücken wandte, die sich sogleich anstellten, als ob sie nichts hörten. »Der alte Graf hat nur natürliche Kinder, und Peter ist eins davon, glaube ich.«

      Madame Karagin machte eine Handbewegung. »Ich glaube, es sind ihrer zwanzig.«

      Die Fürstin Drubezkoi, welche vor Verlangen glühte, mit ihren Beziehungen zu prahlen, ergriff das Wort und sagte leise mit wichtiger Miene: »Das will ich Ihnen sagen. Der Ruf des Grafen Besuchow ist bekannt. Er hat so viele Kinder, daß er selbst nicht die Zahl weiß, aber Peter ist sein Liebling.«

      »Was für ein schöner Greis war er noch vor einem Jahr«, sagte die Gräfin. »Oh, er hat sich seitdem sehr verändert. Apropos, ich wollte Ihnen sagen, daß der nächste Erbe seines ganzen Vermögens der Fürst Wassil ist, durch seine Frau, aber der Alte hatte eine Vorliebe für Peter, hat sich viel mit seiner Erziehung beschäftigt und an den Kaiser über ihn geschrieben. Deshalb kann niemand sagen, wem von beiden die Erbschaft zufällt nach seinem Tod, den man in jedem Augenblick erwartet, Peter oder dem Fürsten Wassil. Das Vermögen ist kolossal, vierzigtausend Seelen und Millionen an barem Kapital. Ich weiß es aus sicherer Quelle, nämlich vom Fürsten Wassil selbst. Der alte Besuchow ist auch ein bißchen verwandt mit mir durch seine Mutter, und er ist der Taufpate von Boris«, fügte sie hinzu.

      »Fürst Wassil ist seit gestern Abend in Moskau. Er hat einen dienstlichen Auftrag erhalten.«

      »Ja, aber unter uns gesagt, das ist nur ein Vorwand, er ist nur gekommen, weil er erfuhr, daß das Befinden des Grafen Besuchow schlimmer ist als je.«

      »Aber die Geschichte ist doch sehr gut«, wiederholte der Graf lachend. »Sie kommen doch zu Tisch, nicht wahr, ma chère?«

      11

      Tiefes Stillschweigen trat ein. Die Gräfin sah Madame Karagin mit freundlichem Lächeln an, ohne einen Versuch zu machen, ihre Befriedigung darüber, daß sie ging, zu verbergen. Die Tochter der Madame Karagin nahm ihr Kleid zusammen mit einem fragenden Blick nach ihrer Mutter, als man plötzlich die Schritte mehrerer Personen im Nebenzimmer vernahm. Ein Stuhl wurde umgeworfen und ein junges Mädchen von dreizehn Jahren, welches das Musselinkleid aufgenommen hatte und etwas darin trug, stürzte mitten in den Salon und blieb verdutzt stehen. In demselben Augenblick erschien ein Student in seiner Uniform und ein Gardeoffizier, sowie ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren und ein kleiner Knabe in kurzem Jäckchen mit erhitztem Gesicht. Der Graf erhob sich tänzelnd und erfaßte das junge Mädchen mit seinen Armen.

      »Ah, da ist sie!« rief er. »Heute ist ihr Namenstag.«

      »Alles hat seine Zeit, meine Liebe«, sagte die Gräfin mit erheuchelter Strenge. »Du verwöhnst sie immer, Elias.«

      »Guten Tag, meine Liebe, ich wünsche Ihnen Glück zum Namenstag! Ein reizendes Kind!« sagte Madame Karagin zur Mutter gewendet.

      Das kleine Mädchen mit seinen schwarzen Augen und seinem etwas zu großen Mund war eher häßlich als hübsch, dafür aber von einer unvergleichlichen Lebhaftigkeit. Sie war noch außer Atem vom heftigen Lauf, ihre schwarzen, ganz zerzausten Haare fielen rückwärts herab, ihre nackten Arme waren dünn und schmächtig. Sie trug noch Beinkleider mit Spitzenbesatz und Schuhe an ihren kleinen Füßchen, mit einem Wort, sie war in diesem hoffnungsvollen Alter, wo das kleine Mädchen kein Kind mehr – das Kind aber noch kein junges Mädchen ist. Sie entschlüpfte ihrem Vater und stürzte auf ihre Mutter zu, ohne im geringsten auf den erhaltenen Verweis zu achten. Sie verbarg ihr Gesicht in dem Spitzendickicht, mit dem das Kleid der Gräfin besetzt war, brach in lautes Lachen aus und erzählte hastig eine Geschichte von ihrer Puppe, die sie dabei aus ihrem Rock hervorzog.

      »Du siehst ja, es ist meine Puppe, Mimi.« Natalie konnte kaum sprechen, ließ sich auf die Knie der Mutter nieder und lachte so herzlich, daß Madame Karagin nicht umhin konnte, mitzulachen.

      »Geh, geh mit deinem Ungeheuer«, sagte die Gräfin, indem sie sich zornig anstellte. »Sie ist meine Jüngste«, sagte sie zu Frau Karagin.

      Natalie blickte die fremde Dame einen Augenblick an und verbarg darauf von neuem ihr Gesicht. Madame Karagin war genötigt, dieses Familienbild zu bewundern und bemühte sich, ihre Rolle gut zu spielen.

      »Sage mir doch, Kleine, wer ist denn Mimi? Wahrscheinlich deine Tochter?«

      Verdrießlich über den herablassenden Ton der Fremden gab Natalie keine Antwort. Während dieser Zeit war die ganze junge Gruppe ins Zimmer getreten und machte sichtlich Anstrengungen, ihre natürliche Lebhaftigkeit in Schranken zu halten. Es war Boris, der Gardeoffizier, der Sohn der Fürstin Drubezkoi, dann Nikolai, der Student, der älteste Sohn des Grafen Rostow, Sonja, die fünfzehnjährige Nichte des Grafen, und Petruschka, sein jüngster Sohn.

      Die beiden jungen Leute waren Jugendfreunde von demselben Alter, aber sehr verschieden voneinander. Boris war groß, blond und von regelmäßiger Schönheit, Nikolai war lockenköpfig und klein und sein Gesicht hatte einen offenen Blick. Auf seiner Oberlippe erschien der erste Flaum, alles an ihm atmete Eifer und Lebhaftigkeit. Beim Eintritt war er tief errötet und versuchte vergebens, etwas zu sagen, Boris dagegen war sofort gefaßt und erzählte scherzhaft, er habe die Ehre gehabt, Mademoiselle Mimi in ihren Jugendjahren kennenzulernen, aber seit fünf Jahren habe sie schrecklich gealtert und der Kopf sei in Stücke zerbrochen. Dabei warf er einen Blick nach Natalie, welche sogleich sich zu ihrem kleinen Bruder umwandte. Dieser kämpfte vergebens mit einem unbezwinglichen Lachen, und bei diesem Anblick konnte sie sich nicht mehr halten, sprang auf und lief eilig davon.

      »Mama, willst du nicht ausgehen?« fragte Boris lachend. »Hast du nicht den Wagen nötig?«

      »Ja, gewiß, du kannst ihn bestellen«, erwiderte seine Mutter.

      Boris verließ den Salon und folgte Natalies Spuren.

      12

      Nur Nikolai und Sonja, das fremde Mädchen und die ältere Tochter der Gräfin waren zurückgeblieben. Letztere war vier Jahre älter als Natalie und wurde schon zu den Erwachsenen gerechnet.

      Sonja war eine Brünette mit sanften Augen. Ihre dunkle Gesichtsfarbe sprach sich noch stärker auf ihrem Hals und den feinen, graziösen Händen aus, und eine dicke Flechte von schwarzem Haar umgab zweimal ihren Kopf. Die Harmonie ihrer Bewegungen, ihr etwas zurückhaltendes Wesen erinnerte an ein kleines Kätzchen, das sich eben in eine hübsche junge Katze verwandeln wollte. Sie versuchte durch ein Lächeln am Gespräch teilzunehmen, aber ihre Augen richteten sich unwillkürlich auf den Vetter, der im Begriff war, zur Armee abzugehen. Es war klar, daß das Kätzchen sich nur für einen Augenblick bezwang und nach dem Verlassen des Salons sogleich mit dem lieben kleinen Cousin wieder tollen und laufen werde.

      »Ja, meine Liebe«, sagte der alte Graf, »Nikolai will seinem Freund Boris, der zum Offizier ernannt wurde, aus Freundschaft folgen und mich verlassen. Er will das Studieren aufgeben und Offizier werden.«

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