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reif für den Schrottplatz. Während ich noch überlegte, ob ich Ben in das halb zusammengefallene Bett legen könnte, wachte der wieder auf. Er hatte gerade mal zehn Minuten geschlafen.

      Lange genug, um neue Kräfte zu sammeln! Er schrie mit einer Lautstärke, die ich noch nicht an ihm kannte. Erschrocken stürzte ich zu ihm und nahm ihn auf den Arm. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung, trotzdem brüllte er aber weiter. Vielleicht hatte er schon wieder Hunger? Obwohl noch nicht einmal eine Stunde vergangen war? Andererseits hatte er ja die vorherige Flasche fast vollständig wieder ausgespuckt. Also setzte ich den Flaschenwärmer in Betrieb und holte die zweite Flasche aus dem Kühlschrank. Während wir warteten, lief ich auf und ab, wiegte ihn, klopfte ihm auf den Rücken, blies ihm ins Gesicht. Nichts schien ihn zu trösten. Als die Flasche so halbwegs warm war, setzte ich mich mit ihm hin. Er nahm gierig zwei oder drei Züge, doch dann begann er wieder zu brüllen. Hatte er doch keinen Hunger? Aber was hatte er denn dann?

      In dem Moment summte mein Handy. Rana hatte eine SMS geschickt und wollte wissen, ob es Ben gut gehe. Ich spürte die größte Lust, sie anzurufen und ihr zu sagen, dass ihr Sohn sich unmöglich verhalte und sie ihn sofort abholen sollte. Vorwurfsvoll guckte ich Ben an: „Wenn deine Mutter wüsste, was du hier für ein Theater machst! Was schreib ich ihr denn jetzt?“ Bens Antwort war ein Schrei. Schnell tippte ich „Alles supi“ und schickte die SMS weg.

      Dann kam mir der rettende Gedanke: der Fernseher! Ich erwischte gerade noch die Wettervorhersage. Erschöpft ließ ich mich in meinen Lieblingssessel sinken und drehte Ben so, dass er auch was sehen konnte. Aber der Fernseher interessierte ihn überhaupt nicht. Ben schrie weiter. Langsam schlug meine Frustration in Wut um. Ich stand auf, machte den Fernseher wieder aus und schrie zurück: „Jetzt sei endlich ruhig, verdammt noch mal!“

      Ben guckte mich erschrocken an und seine Augen füllten sich mit Tränen. Jetzt schrie er nicht mehr, jetzt weinte er richtig. Ich stand da wie vom Blitz getroffen. Ich hatte meinen Sohn angeschrien. Ich hatte kurz davor gestanden, ihn zu schütteln oder zu hauen. Was war ich für ein Monster?

      Mein Handy summte erneut. Rana hatte noch mal geschrieben: „Da bin ich ja beruhigt. Sein Schnuller ist in der Windeltasche. Den braucht er zum Einschlafen.“

      Meine Fresse, Ben wollte mich gar nicht nerven, er hatte versucht, mir etwas mitzuteilen. Was war ich für ein Idiot! Ich fand den Schnuller, gab ihn Ben, und entschuldigte mich bei ihm. Der war aber glücklicherweise nicht nachtragend. Er lächelte mich so breit an, dass ihm der Schnuller gleich wieder aus dem Mund fiel. Und was für ein Lächeln das war! Ich hatte gar nicht gewusst, was für ein hübsches Kind Ben war.

      Erschöpft legte ich mich ins ungemachte Bett mit ihm und sah ihm eine Weile zu, wie er mit Inbrunst an seinem Schnuller sog. Dabei guckte er mich die ganze Zeit an. Bis sich die Augen schlossen und er einschlief. Vielleicht war es auch anders herum, und er guckte mich an, bis sich meine Augen schlossen und ich einschlief.

      Am nächsten Morgen wachte Ben gegen 6 Uhr auf. Ich dagegen hatte kaum geschlafen. Um 21, um 24 und um 3 Uhr hatte ich ihn gefüttert, obwohl er jedes Mal nur wenige Schlucke trank. Irgendwann in der Nacht hatte ich es auch geschafft, das Bett neu zu beziehen, die Wäsche in den Trockner zu tun, und Ben zweimal die Windel zu wechseln. Wenn ich zwischendurch doch mal einnickte, dann schreckte ich gleich wieder auf aus Sorge, dass ich Ben überrollen und erdrücken könnte, oder dass ich ihn aus dem Bett stoßen würde, oder dass er aufhören könnte zu atmen.

      Jetzt war es zum Schlafen eh zu spät. Ben war wach und hatte Hunger. Ich gab ihm die letzte Flasche, die er dieses Mal in einem Zug ausleerte. Danach nahm ich ihn hoch und klopfte auf seinen Rücken, bis er mir ins Ohr rülpste. Und dann legte ich ihn auf meinen Schoss und wir begannen eine ernsthafte Unterhaltung. Er erzählte mir von seinen Eindrücken und ich fragte nach, ob ich alles richtig verstanden hatte. Das ging in etwa so:

      „Billa billa.“

      „Billa, billa, balla?“

      „Idgie, dadz.“

      „Ah, idgie dadz. Dada dadz!“

      „Dll, dll.“

      „So so. Dll, dll.“

      Gut, dass mich niemand sehen konnte. Wie blöd war das denn? Kein Wunder, dass Rana kurz vor dem Nervenzusammenbruch stand, wenn sie seit Wochen solche Unterhaltungen führen musste.

      Schließlich war es halb 8 und ich beschloss, dass ich Ben ruhig ein bisschen früher nach Hause bringen konnte. Punkt 8 stand ich mit Ben im Arm vor der Tür.

      „Da seid ihr ja. Hallo Ben, mein Süßer! Ja, wie geht’s dir denn? Mattes, komm doch rein.“

      „Nee Alba, ist schon gut, ich bring nur schnell die Sachen und dann fahr ich wieder nach Hause. Leg mich ein bisschen hin.“

      „Wieso, hast du nicht gut geschlafen? Hat Ben denn nicht durchgeschlafen?“

      „Durchgeschlafen?“

      „ Er schläft normalerweise von 9 bis 6 durch, hab ich doch geschrieben. Hast du das nicht gelesen?“

      Und das war Lektion Nr. 4: „Niemals ein Baby aufwecken, um es zu füttern!“

      „Ach so, doch , klar. Er hat durchgeschlafen, wie ein Baby. Alles bestens. Übrigens, das Kinderbett, das habe ich noch bei mir stehen, fürs nächste Mal. Ihr braucht es ja erst mal nicht, oder?“

      „Ist gut. Vielen Dank nochmal. Wir hatten wirklich einen ganz tollen Abend. Danke dir und bis zum nächsten Mal.“

      Ich setzte mich kopfschüttelnd wieder ans Steuer. Es war nicht zu fassen, ich hätte durchschlafen können! Da fiel mein Blick auf einen Zettel neben dem Gaspedal: Albas Zettel. Als ich die Worte las: „Reisebett: erst die Seiten einrasten lassen, dann den Boden durchdrücken. Sonst geht es nicht!“, knüllte ich den Zettel zusammen und schmiss ihn aus dem Fenster.

      Kapitel 5

      In den nächsten zwei Wochen nahm ich Ben regelmäßig für einen Tag und eine Nacht zu mir. Dabei lernte ich immer mehr dazu. Lektion Nr. 5: „Beim Wickeln darauf achten, wohin der Schniepel zeigt. Oder vorher eine wasserabweisende Schürze anziehen.“ Lektion Nr. 6: „Bloß weil das Baby an einem Tag von 13 bis 15 Uhr schläft, heißt das nicht, dass es an einem anderen Tag zwischen 13 und 15 Uhr auch nur ein Auge zumacht.“

      Währenddessen wurde Rana immer normaler und legte immer weniger Symptome einer postnatalen Depression an den Tag. Sie fand zu einer appetitlichen Körperhygiene zurück, schreckte nicht jedes Mal zusammen, wenn Ben nieste, und konnte auch wieder lauthals lachen.

      Als ich mit Alba im Büro der Firma zusammensaß und unbezahlte Rechnungen sortierte, sprach ich sie darauf an.

      „Sag mal, meinst du immer noch, dass Rana nach Rio fliegen sollte? Es scheint ihr doch wieder ganz gut zu gehen. Was sagt sie denn selbst dazu?“

      „Ja, sie ist schon fast wieder sie selbst! Aber sie will immer noch nicht nach Rio. Sie sagt, sie kann Ben nicht alleine lassen, und ihn mitzunehmen kommt bei dem langen Flug auch nicht in Frage.“

      „Also verstehe ich das jetzt richtig: Solange sie nicht nach Rio will, ist sie krank und muss unbedingt hin. Aber wenn sie bereit ist, nach Rio zu fliegen, ist sie wieder gesund, und kann zu Hause bleiben?“

      Alba rollte mit den Augen und wandte sich wieder den Rechnungen zu. Ich bekam aber jedes Mal Atembeschwerden, wenn ich zu lange mit den Akten der Buchhaltung zu tun hatte. Da war mir das Thema Rana schon lieber.

      „Angenommen, sie willigt ein in diesen Flug. Gilt ihre Einladung denn überhaupt noch? Und soll ich dann mit Ben wirklich in Urlaub fahren? Wäre es nicht besser, ich bliebe zu Hause mit ihm, damit er seine gewohnte Umgebung hat?“

      Alba ließ die Papiere wieder sinken. „Die Einladung habe ich schon längst angenommen für sie, der Flug und das Hotel sind alles bestätigt. Ja, und deinen Urlaub habe ich auch schon gebucht.“

      „Echt jetzt? Du hast einen Urlaub gebucht

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