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für einen Neustart des Ökosystems nicht zu verpassen.“

      Bidmila 5 hatte zittrige Hände, und eine bebende Stimme. Er musste spontan erkrankt sein, da sein Körper in all den Millionen von Jahren, die er jetzt auf dieser Mission unterwegs war, noch nie solche Symptome an sich beobachtet hatte. Das Prozedere für die Meldung an die Flottenleitung kannte er nicht, da er noch nie von einem solchen Fehler gehört hatte.

      Jetzt würde sein Projekt, auf dem er seinen wohlverdienten Ruhestand genießen wollte, von unendlich vielfältigen Mutationen heimgesucht werden. Der Planet würde wahrscheinlich sogar ähnliche Geschöpfe hervorbringen, wie er eines war, nur eben ohne besonders zuverlässige Funktionen, und mit verschwindend geringer Lebensspanne. Zeit, die er warten musste, falls es in seinen Lebenszyklus überhaupt noch hinein passte.

      Der Bordcomputer meldete sich zu Wort, und gab mit stoischer Ruhe seine Fakten bekannt.

      „Nach Berechnung aller verfügbaren Parameter von Nidmila 23, sind folgende Szenarien wahrscheinlich.

       Besiedlung des Planetensystems in 100 Millionen Zyklen bei 27,22 Prozent.

       Höchste Wahrscheinlichkeit des Neustarts in 347 Millionen Zyklen bei 82,03 Prozent.

       Zu diesem Zeitpunkt noch verfügbare Ressourcen bei 11, 31 Prozent.

       Mögliches intelligentes interstellares Leben bei 0,07 Prozent.

       Neue Sterblichkeit von Nidmila 23 durch Schädigung des Verdauungssystems bei 127,92 Millionen Zyklen.

       Errechneter Verlust der Lebensspanne ist 3 Prozent.

      Alle Daten wurden bereits an die Missionsleitung gesendet.

      Immerhin, dachte der „Zweite Inspekteur der Milchstraße letzte Außenbahn“ bei sich, verliert sein Schützling zur Strafe auch ein paar Millionen Sonnenumkreisungen Lebenszeit, auch wenn der Gedanke ihn nicht über den Verlust seines Ruheplaneten hinweg helfen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass die Planetentechniker wieder Sternenmaterial heranschaffen mussten, um ihre neue Heimat erneut mit Ressourcen zu versorgen. Ein zweiter Trabant wäre die Folge, und damit noch mehr Berechnungen für eine stabile Rotation. Auch die Sonnenumkreisung des Projektes mussten neu stabilisiert werden.

      Wieder bekam er dieses heiße Kribbeln im Körper, und Wasser trat aus seinen Poren an Stirn und Nacken. Er hatte das Verlangen, Nidmila 23 anzufassen, und Bilder dieses Aktes bemächtigten sich seines Denkens, als er das erste Mal, seit seiner Geburt vor 92,55 Millionen Zyklen, zu schreien anfing.

      „Sie haben unserem Volk einen riesigen Schaden zugefügt! Dafür werden Sie sich persönlich bei allen 74578 Bewohnern unserer 346 Sonnensysteme entschuldigen, ach Unsinn, um Verzeihung werden Sie alle bitten müssen. Eine Entschuldigung gibt es dafür nicht, dass Sie einfach auf dieses …, dieses“, er suchte nach den richtigen Worten, die für eine solche Situation angemessen erschienen, „auf diese Erde geschissen haben!“

      Der Schiffscomputer meldete sich ordnungsgemäß aus dem „Off“.

      „Verlust der Lebenserwartung von Bidmila 5 durch erhöhte Dysfunktion des cerebralen Kortex liegt bei 5,62 Prozent.

      Die Augen des Chefingenieurs fingen an Funken zu sprühen, als er sich der Zentraleinheit des Bordsystems zuwandte.

      „Ach, halt doch die Fresse, Du Schrotthaufen!“

       2. Die Höhle

      „Sagen Sie mir nicht, was ich nicht weiß, Koller, denn dafür bezahle ich Sie nicht. Sorgen Sie nur dafür, dass wir die Höhle finden, um den Rest kümmere ich mich dann schon, verstanden?“

      Friedrich Koller blieb gelassen neben der Forscherin stehen, und ließ den Wutausbruch an sich abperln. Es war nicht das erste Mal, dass Sybille Berger sich über etwas beschwerte. Im Gegenteil, ein Tag ohne emotionale Ausbrüche, hätten ihn misstrauisch gemacht. Bereits als sie die Reise vor zwei Jahren planten, war er sich der kommenden Schwierigkeiten bewusst gewesen, und er hatte sich darauf eingestellt.

      „Wir sind auf dem richtigen Weg, Frau Berger. Nach meinen Berechnungen haben wir die Koordinaten in wenigen Stunden erreicht, aber wir müssen jetzt eine Pause machen. Die Träger sind müde, und Sie wollen doch nicht, dass sie uns hier alleine zurück lassen, oder?“

      Die Frage war natürlich rhetorisch gemeint, denn es stand außer Frage, dass sie alle Ruhe benötigten, damit sie heute noch ein Lager bei der „Toca da Boa Vista“ Höhle errichten konnten. Schmollend setzte sich die Ethnologin auf einen abgestorbenen Baumstupf, und trank einen Schluck aus ihrer Feldflasche. Ihre sechs Begleiter stellten die mitgeführten Vorräte ab, und hatten in Windeseile ein kleines Lager mit Kochstelle eingerichtet.

      Nach der Mahlzeit war die Stimmung entspannter, und auch die Träger zogen genüsslich an ihren Zigaretten.

      „Ich will nur keine Zeit mehr verlieren, Friedrich. Ich habe schon so lange gewartet. Gewartet auf meinen Studienabschluss, auf meine Doktorarbeit, meine Forschungsgelder für dieses Projekt. Jetzt darf nichts mehr schief gehen. Das verstehst Du doch?“

      Natürlich verstand Koller. Jeder in Deutschland konnte das verstehen. Sybille hatte ihren Vater mit drei Jahren verloren, als dieser auf einer Forschungsreise in Brasilien diese Höhle untersuchen wollte. Seit dem waren 25 Jahre vergangen, und die Suchaktion nach ihrem Vater war bei Sybille Berger zur fixen Idee geworden. Trotzdem hatte sie alle Widerstände überwunden, und als jüngste Forscherin Deutschlands diese Expedition auf die Beine gestellt. Seinen Respekt hatte sie, obwohl er Zweifel an der wissenschaftlichen Ausrichtung dieser Reise hatte. Aber es war nicht sein Bier, sich um die Finanzen zu kümmern. Als Abenteurer und Mann der Alleingänge, durch unberührte Naturlandschaften, hatte er sich einen Namen gemacht. Ob zum Südpol, oder der Besteigung aller vierzehn Achttausender im Himalaja, wenn es eine Herausforderung war, musste er dabei sein.

      Höhlen hatte er noch nicht erforscht, aber er setzte auf die Erfahrungen von Sybille, die in Europa schon fast alles gesehen hatte, was es an Höhlen gab. Diese war zwar mit über 100 Kilometern Ganglänge extrem weit verzweigt, aber sie hatten eine gute Ausrüstung, und genug Vorräte für vier Wochen dabei. Im Notfall ließen sie einen Helikopter kommen, der neue Nahrung über ihnen abwerfen würde.

      „Du kannst ja ein paar Bilder für die Zeitungen machen, damit die auch etwas bekommen für ihr Geld. Schließlich haben die ja genügend bezahlt für die Rettungsaktion Deines Vaters.“

      Sybille stand auf und schnappte sich die Spiegelreflexkamera. Sie wusste das Koller Recht hatte, aber sie wollte es nicht zu geben.

      „Ich weiß, von wem ich Geld bekommen habe, und die kriegen auch ihre Bilder, aber in erster Linie bin ich für meine Forschung hier“, konterte sie bissig, und ging auf eine Anhöhe zu, von der aus sie das kleine Camp fotografieren konnte.

      Schon bald bahnten sie sich wieder ihren Weg durch das dichte Geflecht aus riesigen Pflanzen, Bäumen und exotischen Blumen. Moskitos umschwärmten sie in Scharen, und brachten die Träger und sie zur Verzweiflung. Nur Friedrich Koller blieb die Ruhe selbst.

      „Ich weiß ja nicht, warum Dir diese Blut saugenden Biester nichts ausmachen, aber ich flippe gleich aus.“

      Koller reichte ihr ein paar Blätter.

      „Du musst sie zerkauen, und dann auf Dein Gesicht und Deine Arme schmieren, dass schreckt die meisten Mückenarten ab.“

      Sybille sah sich die Blätter an, als ob ihr jemand Abfall entgegen hielt, und rümpfte die Nase. „Ich soll mir die eigene Spucke ins Gesicht reiben? Wer weiß, was das für ein Kraut ist, dass Du da in der Hand hältst.“

      Friedrich steckte sich ein paar davon in den Mund, und fing an genüsslich darauf herum zu kauen.

      „Wenn Du nicht willst, kein Problem. Sag mit bescheid, wenn Du soweit bist.“ Dabei konnte er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Sie ließ ihn stehen und setzte sich wieder an die Spitze der Gruppe,

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