Скачать книгу

Sekou. Wacht auf! Es ist schon fast Mittag.“ Ibrahim rüttelt sanft an den Schultern seiner Freunde.

      „Was … ist ja gut, ich bin jetzt wach“, mault Amadou und Sekou reckt und streckt sich, dass alle Knochen knacken.

      „Mann, ist das kalt hier.“ Er erhebt sich und schiebt die Vorhänge zur Seite. „Immer noch alles grau“, kommentiert er den Ausblick und lässt frustriert die Vorhänge wieder zurückfallen. „Ich gehe wieder ins Bett.“

      „Ich auch.“

      „Nichts da“, sagt Ibrahim nachdrücklich, „Sekou, erinnerst du dich nicht mehr? Du hast versprochen, die Küche aufzuräumen; Amadou und ich werden in der Zeit die Betten abbauen und Frühstück machen.“

      Wenig später hocken sie über einem eher frugalen Mahl, da keiner von ihnen Lust hat, den Bäcker zu suchen; und überhaupt ist das Wetter alles andere als einladend. Wie ein altes, zerschlissenes Betttuch hängt der Himmel tief über der grauen Vorstadt.

      „Wenn ich jetzt zu Hause wäre, bräuchte ich nur den Vorhang in der Tür zu heben und schon wäre ich draußen und könnte die kühle Morgenluft genießen“, schwärmt Ibrahim.

      „Wenn du jetzt zuhause wärest, würdest du schon seit Stunden auf dem Feld schuften“, kontert Sekou. Er schaut seine Freunde der Reihe nach forschend an. „Was ist denn los mit euch?“

      „Ach nichts, es ist nur … dieses Haus, man ist so weit weg von der Natur. Ich weiß nicht, ob ich mich daran jemals gewöhnen werde.“

      Sekou klopft Ibrahim freundschaftlich auf die Schulter und meint tröstend: „Wir müssen uns doch sowieso eine eigene Bleibe suchen, dann achten wir darauf, dass sie zu ebener Erde ist und einen Garten hat, okay?“

      Amadou beklagt sich über etwas Anderes. „Mir gefallen die Leute hier nicht. Sie rennen mit einem arroganten Gesichtsausdruck durch die Gegend und schauen durch andere Menschen einfach durch.“

      „Meine Güte“, stöhnt Sekou, „wir sind gerade mal angekommen und ihr meckert schon über das Wetter und die Menschen. Überlegt doch mal: Wir haben ein Dach über dem Kopf und eine Heizung gegen die Kälte, wir sind bei Freunden, sprechen unsere eigene Sprache und essen afrikanisch. Ich finde, das ist für den Anfang mehr als genug.“ Betreten auf ihre nackten Füße blickend, nicken Ibrahim und Amadou zustimmend.

      Als Toucou von der Arbeit nach Hause kommt, sitzen die Drei einträchtig vor dem Fernseher. Die Vorhänge sind zugezogen und die Heizkörper voll aufgedreht. „Na, ist euch kalt?“, fragt Toucou grinsend, „dann kommt in Bewegung; wir gehen einkaufen und dabei zeige ich euch unser Viertel.“ Er stellt die Heizungsventile etwas niedriger ein und wartet im Flur auf die Drei.

       Toucou als Fremdenführer

      Draußen haben sie ein Gefühl, als wenn ihnen ein gigantischer Diffuser die feuchte Luft bis tief in ihre Lungen pustet. Eklig! Die Feuchtigkeit erreicht jede noch so kleine ungeschützte Stelle der Haut, lässt den Jackenkragen im Nacken unangenehm kratzen und ihre Gesichter vor Nässe glänzen.

      Nicht nur die frisch Angekommenen empfinden das Wetter als scheußlich, auch die wenigen Menschen, die ihnen begegnen, hasten mit missmutigem Gesichtsausdruck an ihnen vorbei. Vorwurfsvoll mustert Amadou Toucou.

      „Mussten wir unbedingt heute rausgehen?“

      Toucou lacht. „Ja, allerdings; denn wir haben nichts Anständiges mehr zu essen im Haus. Hier sagt man zwar: ‚Bei solch scheußlichem Wetter schickt man nicht mal einen Hund vor die Tür’, aber manchmal muss es eben sein“, und tröstend fügt er hinzu: „Morgen soll es schön werden.“

      Stunden später kommen sie schwer beladen mit Tüten heim und schleppen sich müde die vier Stockwerke hoch. Toucou amüsiert sich über die ‚Neuen’.

      „Ihr pfeift ja aus dem letzten Loch“, zieht er sie auf.

      „Lach’ nicht. Ich habe jetzt schon einen tierischen Muskelkater vom Treppen steigen“, stöhnt Ibrahim.

      „Ich auch“, jammert Amadou.

      Toucou gibt ihm verständnisvoll einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. „Ihr werdet euch schon daran gewöhnen“, sagt er.

      „Weißt du, Toucou, wir hatten in unserem Dorf leider keine Möglichkeit zu trainieren“, sagt Sekou ironisch und verzieht, seine Freunde nachahmend, ein wenig leidend das Gesicht. Dafür kassiert er böse Blicke aus zwei Augenpaaren. Gut, dass sie die Wohnung schon erreicht haben.

      Nun ist Kochen angesagt. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend; schließlich wollen alle dasselbe: essen und dann endlich die müden Beine ausstrecken. Als sie Letzteres tun, kommt Malik nach Hause.

      „Hi, wie geht’s? Alles okay?“ Nach einem zuversichtlich abschätzenden Blick in die Runde, geht er, ohne eine Antwort abzuwarten, in die Küche, häuft sich eine große Portion vom Fleisch- und Gemüseeintopf auf einen Teller und kommt damit ins kleine Wohnzimmer. „Mhm, gut“, murmelt er zwischen zwei Bissen, „wer hat heute gekocht?“

      „Wir alle“, antwortet Toucou zufrieden. Anerkennend nickt Malik und widmet sich wieder seinem Essen.

      Als sie gemütlich beim Tee sitzen, fragt Malik mit einem prüfenden Blick auf seine Gäste: „Und? Hat Toucou euch das Viertel gezeigt?“

      „Na klar. Er hat sich sehr viel Mühe gegeben und ich glaube, wir kommen in der Umgebung schon alleine zurecht“, beantwortet Sekou die Frage für alle.

      „Und wie hat es euch gefallen?“

      „Na ja, das Wetter“, beginnt Ibrahim, wird aber von Sekou unterbrochen.

      „Ach, vergiss doch das Wetter. Es wird hier ja nicht immer so schlecht sein, oder?“

      „Natürlich nicht. Und sonst?“

      Amadou sagt nachdenklich: „Mir ist gestern schon aufgefallen, dass alle Leute auf der Straße es brandeilig haben; das ist doch nicht normal. Sie haben keinen Blick für andere Menschen.“

      Malik nickt grüblerisch. „Das hat wohl damit zu tun, dass sie es wirklich eilig haben. Hier sagt man: Zeit ist Geld; und Geld wollen alle verdienen. Ich laufe schon genauso durch die Gegend.“

      Toucou lacht und fügt hinzu: „Ja, mir geht es genauso wie Malik, aber im Gegensatz zu ihm werde ich mich nie an diese Gleichgültigkeit gewöhnen, mit der die Leute an einem vorbei oder über einen hinweg sehen, obwohl ich schon seit Jahren in Europa lebe. Im Fahrstuhl, zum Beispiel, schauen sie einem auf die Schuhe, nur, damit sie einem nicht ins Gesicht schauen müssen; oder sie schauen durch einen durch, als wäre man Luft für sie.“

      „Das heißt, wenn wir erstmal arbeiten, laufen wir genauso durch die Gegend?“, fragt Amadou ungläubig.

      „Sicher. Ihr müsst das verstehen: Wenn ihr nur eine Stunde Mittagspause hättet, in der Zeit essen und noch einige Dinge erledigen wolltet, dann müsstet ihr euch auch beeilen. Und bei dem scheußlichen Wetter heute wollen alle sowieso nur so schnell wie möglich ins Trockene.“

      „Das zumindest kann ich gut verstehen“, seufzt Ibrahim.

      „Ach übrigens, mein Chef hat mir heute angeboten, dass ich einen von euch auf Probe mit zur Arbeit bringen kann; wer von euch will es versuchen?“, fragt Malik aufmunternd in die Runde. Die Begeisterung der ‚Neuen’ hält sich in Grenzen.

      „Das geht mir etwas zu schnell“, antwortet Sekou als Erster, „ich würde auch lieber in einem Restaurant als Küchenhilfe, als im Lager arbeiten.“ Amadou schaut betreten auf seine ineinander verschlungenen Hände und sagt nichts.

      „Also“, Ibrahim muss sich erst räuspern, bevor er weiter spricht, „also, dann gehe ich mit; schließlich haben wir uns vorgenommen, uns für keine Arbeit zu schade zu sein, Hauptsache, sie bringt Geld.“ Malik freut sich über Ibrahims Entschluss. Gerade ihn hätte er am liebsten als Kollegen, weil er ruhig und verantwortungsbewusst zu sein scheint und

Скачать книгу