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ZUGVOGEL. K. Uiberall-James
Читать онлайн.Название ZUGVOGEL
Год выпуска 0
isbn 9783847619789
Автор произведения K. Uiberall-James
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Amadou hat Hunger; mit ein paar Erdnüssen in der Hand lehnt er sich gegen den Türrahmen der winzigen Küche - hineingehen kann er nicht, weil sie bereits überbelegt ist - um zu sehen, wie weit die Essensvorbereitungen gediehen sind. Was er sieht, lässt sein Herz aufgehen. Auf der Küchenarbeitsplatte häufen sich Okra, Tomaten, Möhren, Zwiebeln und Jams, und jede Menge Hühnerschenkel tauen in einer großen Schüssel auf; Petersilie und Maggi-Brühwürfel runden das bunte Bild ab. Im großen Topf auf dem alten Elektroherd brodelt schon das Öl und der entstehende Dampf lässt das kleine Küchenfenster trotz Kippstellung beschlagen. Aus dem Kassettenrekorder in der Fensternische ertönt so lautstark ein afrikanischer Pop-Song, dass der an ihn angelehnte Fünfkilo-Sack Duftreis in die Horizontale rutscht. Die dort anwesenden Freunde von Malik bewegen sich in ihrem coolen Outfit zu der Musik und zerkleinern dabei gut gelaunt das bereits geputzte Gemüse; ihre weiten Jeans rutschen dabei fast von der Hüfte. Sie amüsieren sich über Amadous bewundernden Blick, und legen, mit dem Küchenmesser in der Hand, noch ein paar anstößige Bewegungen nach. Amadou fühlt sich provoziert, eine kleine Kostprobe seines Könnens zu geben. Lässig gibt er ein paar sensationelle, schlangenähnliche Ganzkörperbewegungen zum Besten, ohne sich auch nur von der Stelle zu bewegen. „Johh, hey, du hast es drauf.“ Amadou strahlt, „wenn ihr das sagt …“
Währenddessen breitet Malik Zeitungspapier auf dem kleinen Tisch vor der Couch aus. Ibrahim und Sekou erzählen von zu Hause und die in Hamburg und Umgebung lebenden Afrikaner erteilen erste Ratschläge.
Aus erster Hand
„Ihr müsst euch unbedingt eine deutsche Freundin zulegen.“
„Ja Mann, er hat Recht.“ Alle nicken beifällig.
„Aber dafür sind wir nicht hierhergekommen“, versucht Ibrahim einzuwenden, und Sekou fügt hinzu: „Wir wollen arbeiten und dann wieder zurück nach Hause.“
„Genau“, sagt Amadou, der zwischen Küche und Wohnzimmer alles mitbekommt, beipflichtend, „eine Freundin würde uns nur von unseren Zielen ablenken.“
„Was für Ziele denn?“ Aller Augen ruhen nun auf Amadou, der unschlüssig darüber, ob er über seine Wunschvorstellungen reden soll, zu der Gruppe am Tisch tritt.
„Na ja, ich möchte, ich dachte mir … ach, natürlich muss ich erst mal Arbeit finden.“ Mutlos senkt er den Kopf. Auf einmal findet er sein Ziel unerreichbar, Lichtjahre entfernt. Sekou springt seinem Freund bei.
„Amadou ist ein herausragender Tänzer und Musiker. Er möchte hier versuchen, damit Geld zu machen. Vielleicht könnt ihr ihm ja dafür auch ein paar Tipps geben?“ Anscheinend nicht; denn betretenes Schweigen ist die Antwort.
„Ähm, wie auch immer …“, meldet sich räuspernd ein schüchterner Landsmann zu Wort, „etwas Besseres als eine deutsche Freundin kann euch gar nicht passieren.“ Seine Freunde grinsen und klopfen ihm beifällig auf die Schulter.
„Apollinaire muss es ja wissen; er hat von uns allen das größte Los gezogen.“
„Wieso das denn?“ „Erzähl doch mal.“ Erwartungsvoll hängen die Augen der Neuankömmlinge an Apollinaires Lippen.
„Okay, wenn ihr unbedingt wollt, aber erst nach dem Essen.“
Etwas später tragen die ‚Köche’ dampfende, wohlriechende Schüsseln mit Reis und Gemüse, Fleisch und Soße auf. Einige Besucher erheben sich, um noch schnell die Hände zu waschen, andere strecken ihre Hände helfend beim Platzieren der Speisen aus.
Die Mahlzeit verläuft ruhig; jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Die Anwesenden, an den Platzmangel in Unterkünften für Afrikaner gewöhnt, bewegen sich langsam und rücksichtsvoll. „Ich wünschte, wir hätten eine größere Wohnung“, sagt Malik betrübt zu Ibrahim gewandt, „aber für Afrikaner gibt es so gut wie keine anständige, bezahlbare Wohnung.“ Er macht eine Beifall heischende Pause, aber niemand hat Lust, auf das Thema einzusteigen, also fährt er fort: „Die Deutschen schieben uns ab in Hochhäuser weit außerhalb der Stadt, sieh uns an. Wir wohnen in einem ethnischen Schmelztiegel, der sich schon allein wegen der unterschiedlichen Kulturen zu einem sozialen Krisengebiet entwickelt. In unserem Viertel leben Menschen aus allen Ländern der Erde; die meisten sind arbeitslos und von Heimweh geplagt; da kann eine Ungerechtigkeit der Behörden schnell der Funke sein, der die Lunte zum Brennen bringt.“
Apollinaire schaut Malik nachdenklich an. „Warum wertest du dieses Viertel so ab? Okay, wir befinden uns im Getto; aber das ist doch nichts typisch Deutsches.“
„Der Meinung bin ich auch. Die Großstädte in Afrika haben auch Gettos“, bestätigt Sekou Apollinaires Aussage, und Toucou sagt grinsend: „mit dem Unterschied, dass die dortige Regierung den Armen im Getto nicht die Miete zahlt und das Geld zum Überleben.“
Apollinaire klopft seinem Freund mitfühlend auf die Schulter. „Wisst ihr, Malik hat mit seiner Frau in einer sehr schönen Wohnung gelebt.“
Amadou hält es vor Hunger kaum noch aus. Sehnsüchtig schweift sein Blick über die gefüllten Schüsseln auf dem Tisch; da er fast eine Woche kaum etwas gegessen hat, ist der Nachholbedarf an Kalorien groß. Malik hat den Blick aufgefangen und sagt etwas unwirsch: „Na dann, guten Appetit.“
Das heimatliche Essen und die wohltuende Gesellschaft der Landsleute hat noch nie seine positive Wirkung verfehlt. Aber Amadou kann nicht abschalten; seine Gedanken kreisen immer noch um die Frage, warum eine deutsche Freundin so wichtig sein soll.
Nach dem Essen helfen alle mit, die Spuren der Mahlzeit zu beseitigen. Die Zeitungspapierunterlage wird mitsamt den abgenagten Hühnerknochen und anderen Speiseresten vorsichtig zusammengefaltet und im Mülleimer der Küche entsorgt; auf den Boden gefallene Reiskörner werden mit einem Stückchen Karton sorgfältig zusammengekratzt und aufgenommen. In der Küche sind Malik und zwei Freunde schon mit dem Vorspülen des Geschirrs beschäftigt. Sekou bietet seine Hilfe an, doch die wird lachend zurückgewiesen.
Als alle wieder zusammensitzen, zündet Malik sich eine Zigarette an und nimmt die Fernbedienung des Fernsehers in die Hand.
„Warte“, sagt Amadou und hält ihn am Arm fest, „Apollinaire hat uns doch eine Erklärung versprochen.“ Er kann seine Neugier nicht mehr zügeln. „Los, nun sag schon“, fordert er Apollinaire, sich ihm zuwendend, auf.
„Was denn? Ach so, das meinst du; also, da gibt’s nicht viel zu sagen; eine deutsche Freundin ist einfach hilfreich für alle eure Pläne; nicht mehr und nicht weniger.“
„Geht’s nicht etwas genauer?“
Die anderen mischen sich ein. „Das stimmt nicht ganz. Nicht alle deutschen Frauen sind gut für euch.“
„Ja, manche verstehen nichts von unseren Problemen.“ Leidgeprüft nicken einige der Anwesenden und blicken stumpf vor sich hin.
„Also, jetzt bin ich genauso schlau wie vorher“, mault Amadou und blickt Hilfe suchend in Ibrahims und Sekous Richtung.
Ibrahim versteht die Aufforderung und nimmt bedächtig den Gesprächsfaden wieder auf: „Da komm’ ich jetzt aber auch nicht mehr mit. Erst soll es so wichtig sein, eine deutsche Freundin zu haben, und da sind sich alle einig, und im nächsten Moment sagt einer, dass aber manche deutsche Fr...“
„Ja, das ist schon erklärungsbedürftig“, unterbricht ihn Sekou. Sein Sitznachbar Toucou rafft sich zu einer Erklärung auf.
„Die meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, dass es in Deutschland zwei Sorten von Frauen gibt, die mit Afrikanern zu tun haben wollen. Zum einen sind es die jungen Hübschen, die nur mal mit einem Schwarzen schlafen wollen, um herauszufinden, ob er im Bett wirklich besser als ein Europäer ist und …“ Er wird von allgemeinem Gelächter unterbrochen. „Hört mir doch erst mal zu. Also, … und ob es stimmt, was man in Deutschland über die Afrikaner sagt, nämlich dass sie einen größeren Penis haben; denn wenn es so wäre, hätten sie mehr Spaß am Sex; zum anderen …“