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ZUGVOGEL. K. Uiberall-James
Читать онлайн.Название ZUGVOGEL
Год выпуска 0
isbn 9783847619789
Автор произведения K. Uiberall-James
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
„Komm schon, rede weiter.“ Etwas verlegen ringt er sich zu einer, wie es scheint, ausweichenden Bemerkung durch:
„Na ja, sie kennen keine Tabus beim Sex“.
„Keine Tabus? Was für Tabus denn? Was meinst du damit?“ Toucou fühlt sich in die Enge getrieben. Das geht ihm jetzt doch zu weit. Sollen doch die anderen den Neuen alles erklären. Er steht auf und fragt in die Runde: „Wer will Tee?“, und als alle nicken, verschwindet er in der Küche.
Die Atmosphäre im kleinen Wohnzimmer ist fiebrig, nicht nur wegen der schweißdurchtränkten verbrauchten Luft. Fast jeder der Anwesenden hat etwas zu dem Thema beizusteuern, und die Meinungen darüber gehen durchaus auseinander. Es herrscht ein heilloses Durcheinander, weil alle auf einmal reden. Die drei Freunde heften verwirrt ihre Blicke mal auf die, dann wieder auf jene Person. Endlich erbarmt sich einer, den sie ‚Professor’ nennen, und sagt laut in belehrendem Ton:
„Die jungen deutschen Frauen wollen emanzipiert sein.“
„Ja und?“, fragt Sekou, „ich meine, auch bei uns zu Hause gibt es eine Form von Gleichberechtigung.“
„Aber hier übertreiben sie maßlos.“ Er hebt emphatisch die Hände, um sie dann resigniert wieder fallen zu lassen. „Wie soll eine Beziehung funktionieren, wenn sie nicht auf ihren Freund oder Ehemann hören, wenn sie nur das machen, was sie wollen? Die jungen deutschen Frauen haben vor nichts und niemandem Respekt, nicht einmal vor ihren Eltern!“
„Was?“
„Und die älteren, sind die anders?“, will Ibrahim wissen.
„Ich bin noch nicht fertig mit den Jungen“, bremst der ‚Professor’ Ibrahim lehrerhaft aus und fährt fort: „ Also wenn ihnen ein Mann gefällt, in der Disco zum Beispiel, sprechen sie ihn ungeniert an und gehen vielleicht mit ihm noch in derselben Nacht ins Bett. Manche von ihnen haben jedes Wochenende einen neuen Freund“, zustimmendes Gemurmel aus der Zuhörerschaft, „sie benehmen sich schamlos in der Öffentlichkeit.“
„Wie denn?“ „Sie verlangen von uns, dass wir sie am helllichten Tag auf offener Straße oder auf der Tanzfläche vor allen Leuten küssen.“
„Und ihr macht das alles mit?“, staunt Sekou.
„Na ja, einige von uns haben es versucht, nur um der Freundin einen Gefallen zu tun, und auch, um sie nicht zu verlieren, aber die Frauen sind einfach nie zufrieden. Sie sind zu anspruchsvoll; ständig wollen sie etwas mit uns unternehmen, und das nicht nur am Wochenende wie bei uns zu Hause. Sie sind richtig vergnügungssüchtig. In der Woche wollen sie ins Kino gehen, Vorträge besuchen, Freunde einladen oder besuchen; sie nennen das ihr social life und unser Sozialleben interessiert sie einen feuchten Kehricht.“
„Und dann wollen sie auch noch stundenlang spazieren gehen“, wirft jemand entrüstet ein.
„Und wenn wir das alles mitmachen“, fährt der ‚Professor‘ unbeirrt fort, „ohne im Gegenzug den uns gebührenden Respekt zu erhalten, die eigene Kultur verleugnend, müssen wir uns zum Dank dafür noch anhören, dass sie aber die Freiheit, mit anderen Männern zu sprechen, nicht aufgeben wollen.“
„Ja, genau.“ „Stimmt; die mit ihrer Freiheit.“
Der ‚Professor’ fährt nachdenklich fort: „Wenn ihr mich fragt, ist diese Emanzipation nichts weiter als purer Egoismus; statt sich auf ihre Freunde oder Männer zu konzentrieren, denken sie nur an sich selbst.“
Aus der Küche ruft Toucou über seine Schulter in Richtung Wohnzimmer: „In Afrika wäre so eine Frau nur mit einer Prostituierten zu vergleichen.“
Er erntet johlende Zustimmung. Seine Freunde klatschen mit den Handflächen auf ihre Oberschenkel und lachen. „Genau, ich hatte am Anfang auch gedacht, dass es hier viele Huren gibt.“
„Aber sie sind es nicht?“, fragt Sekou.
„Nein, denn sie nehmen ja kein Geld für den Sex, und außerdem haben sie ja den meisten Spaß.“
„Hm, hm.“
„Also“, sagt Henri abschließend und klopft dem an seiner Seite sitzenden Ibrahim väterlich auf die Schulter, „es ist die reinste Zeitverschwendung sich mit den jungen Dingern abzugeben, weil sie dich nicht weiterbringen.“
„Aber die anderen, die zweite Sorte Frauen, wie ist die?“, fragt Amadou hoffnungsvoll und nimmt sofort wieder eine gleichgültige Körperhaltung ein, „ich meine, eigentlich interessieren mich die deutschen Frauen gar nicht, aber ihr habt uns richtig neugierig gemacht.“
Der ‚Professor’ holt tief Luft und hebt mit bedeutungsschwerer Stimme an: „Ja, die anderen, das sind die Älteren. Sie sind die richtigen Frauen für uns, solange wir hier in Deutschland wohnen.“ Er macht eine Pause, um sich zu sammeln. Er ist ehrlich bemüht, den Neuen keinen Mist zu erzählen. „Grob gesagt: Sie haben Verständnis für unsere Situation in dem für uns fremden Land; und als Konsequenz daraus helfen sie uns, wo sie nur können.“
„Und was soll das nun wieder heißen?“
„Das heißt, sie haben nichts gegen Ausländer. Egal, ob diese aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen hierher kommen. Nicht nur, dass sie fremde Kulturen und Religionen akzeptieren, nein, sie interessieren sich sogar dafür. Diese Frauen sind oft Künstlerinnen oder haben Berufe im sozialen Bereich. Sie können zum Beispiel Sozialpädagoginnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern, Arzthelferin usw. sein. Und es ist ihnen geradezu ein Bedürfnis, sich für andere starkzumachen, sich für die Hilfebedürftigen in der Gesellschaft zu engagieren. Das ist an sich ja auch ganz lobenswert, aber diese Frauen tun das meistens nur, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Und wen brauchen sie dazu? Uns, den in allen Lebenslagen unwissenden Afrikaner.“
„Das verstehe ich nicht“, meint Amadou kopfschüttelnd, „es ist doch toll, wenn sie uns helfen wollen.“
„Denk doch mal weiter, Amadou“, hilft Ibrahim seinem Freund auf die Sprünge, „was passiert wohl, wenn die Frauen alles für uns erledigen?“
Henri klopft Ibrahim erneut, diesmal anerkennend, auf die Schulter. „Du hast es erfasst. Sie machen uns abhängig von sich, sie binden uns an sich, bis wir nichts mehr ohne sie tun können. Was dabei jedoch am meisten nervt ist, dass sie für jede Kleinigkeit, die sie für uns erledigen, unaufhörlich gelobt werden wollen. Das ist der Horror!“
Malik mischt sich ein: „Ja, das kommt noch dazu: Erst machen sie uns abhängig von ihrer Hilfe, und dann ist es auf einmal zu viel für sie. Sie demonstrieren mit endlosen Diskussionen, was sie alles für uns tun, und wollen unseren ewigen Dank. Wenn sie uns helfen wollen, weil sie in der Lage dazu sind, sollen sie es tun, wenn nicht, dann eben nicht. Was gibt’s da groß zu diskutieren?“
Etwas nachdenklich geworden fügt er hinzu: „Genau diese Abhängigkeit hat übrigens in meiner Ehe zur Trennung geführt. Meine Frau hat mir einfach alles abgenommen, Behördengänge, Kindererziehung, Wohnungssuche, Arbeitssuche, einfach alles. Ich kam mir vor wie ein Kind. Nur im Haushalt durfte oder musste ich mithelfen, und das mir, einem Afrikaner! Und was unsere Freizeit anging, wollte sie alles gemeinsam machen. Für sie gab es nur uns zwei. Okay, später dann eben uns drei, mit dem Kind. Und noch etwas: Als wir gerade mal drei Monate zusammen waren, hat sie doch tatsächlich von mir verlangt, meine Freunde nicht so oft zu treffen.“
Beifall heischend wegen dieser Ungeheuerlichkeit lässt er seinen Blick der Reihe nach über die Köpfe aller Anwesenden schweifen. Einige nicken erbost. Die Eifersucht der deutschen Frauen auf ihre durch nichts, aber auch wirklich nichts zu beeinflussende Männergemeinschaft ist ihnen allen ein Begriff.
„Als ich dann versucht habe, meine Probleme selbst in die Hand zu nehmen“, fährt Malik fort, „hat sie mich böse beschimpft: ‚Du bist undankbar, ich habe alles für dich getan,