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ZUGVOGEL. K. Uiberall-James
Читать онлайн.Название ZUGVOGEL
Год выпуска 0
isbn 9783847619789
Автор произведения K. Uiberall-James
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
„Klar, es gibt immer Ausnahmen; es gibt auch sehr nette junge Frauen, und natürlich haben wir alle im Laufe der Jahre auch gute Erfahrungen mit den älteren Frauen gemacht.“
Malik nickt und fügt hinzu: „Ist ja gut. Meine ‚Ex’ ist ja auch ein nette junge Frau, aber ich weiß von anderen Landsleuten, dass die Älteren wenigstens nicht meckern, wenn wir wegen Schichtdienst selten ausgehen können, und sie ziehen auch nicht alleine los. Sie müssen eben nicht mehr jedes Wochenende in die Disco, weil sie das alles schon hinter sich haben.“
„Ich mag an den älteren Frauen ihre Lebenserfahrung. Man kann mit ihnen über alles reden und wertvolle Ratschläge erhalten“, sagt Apollinaire, den Blick schüchtern auf seine Sneakers geheftet. Auch diese Aussage erntet weitestgehend Zustimmung in der Runde.
„Sie erwarten keine Geschenke und auch nicht, dass wir sie einladen, weil sie wissen, dass wir jeden übrigen Cent nach Hause schicken wollen“, sagt jemand neben Amadou, „sie verstehen unseren Wunsch, unseren Leuten in Afrika ein besseres Leben zu ermöglichen. Viele helfen uns sogar dabei, sei es mit Geld oder auch Gütern. Die meisten von ihnen sind sehr sozial eingestellt.“
Der ‚Professor’ grinst und meint: „Ich brauche meiner Freundin nur mit feuchten Augen zu sagen, dass ich Heimweh nach meiner Mama habe, schon wird sie butterweich und hilft mir finanziell mit dem Flugticket oder kauft zumindest eine Telefonkarte.“ Alle lachen.
„Seht ihr?“, sagt Henri Beifall heischend, „das ist nur möglich, weil seine Freundin einen guten Job hat. Eine arme Studentin oder ein junges Mädchen in der Ausbildung könnte gar nicht helfen.“
„Meine Freundin packt eigenhändig die Pakete für meine Familie. Sie sagt immer, dass sie lieber jemandem hilft, den sie kennt - sie war schon einmal mit mir in Afrika -, als anonym zu spenden. Komisch, manchmal denke ich, die älteren Frauen haben alle ein schlechtes Gewissen, und um es zu beruhigen, spenden sie irgendeiner wohltätigen Institution, am besten gleich mit Lastschrifteinzugsverfahren, dann brauchen sie keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden; oder sie machen es wie meine Freundin.“
„So sehe ich das auch“, meint Henri zu der Runde um den Tisch, „welche Freundin würde schon das Herz haben, nein zu sagen, wenn du sie um Geld für eine Operation deiner Mutter bittest?“
„Habt ihr auch mal an die Sprache gedacht? Mit einer deutschen Freundin lernt ihr viel schneller die Sprache, weil ihr natürlich daran interessiert seid, dass sie euch versteht. Da ist es zunächst auch egal, wie alt sie ist. Dazu kommt der nicht unwichtige Faktor, dass ihr leichter eine Arbeit finden könnt, wenn ihr in der Lage seid, euch zu verständigen. Aber nur die ältere Freundin wird mit euch üben, wenn sie Zeit hat und wenn nicht, weil sie berufstätig ist, organisiert sie einen Deutschkurs für euch, kümmert sich um alle Formalitäten, meldet euch an, bezahlt den Kurs wahrscheinlich auch noch und fährt euch, wenn sie ein Auto hat, sogar zum Unterricht.“
„Wow!!!“ kommt es dreistimmig von den Eingereisten. „Und was noch?“
„Sie waschen eure Wäsche, weil sie ja keine Maschine dafür haben und auch finden, dass es zu umständlich für euch wäre, in den Waschsalon zu gehen. Ihr braucht nur zu ihr zu sagen: ‚Liebling, du fehlst mir so und ich würde ja gerne zu dir kommen, aber ich muss noch in den Waschsalon; und du weißt ja, wie lange das dauert.’ Bisher hat noch keine meiner Freundinnen darauf gesagt: ‚Na, dann geh du mal schön in den Waschsalon und wir sehen uns vielleicht nächste Woche.’“
Auch dieser Wortbeitrag scheint die volle Zustimmung aller alten Hasen zu haben. Es hageln nur so die Bestätigungen: „Bei den älteren Frauen könnt ihr zum Beispiel bequem auf der Couch mit der Telefonkarte vom Festnetz telefonieren. Die Jungen haben meistens nur noch ihr Handy. Und manchmal, wenn ihr durchblicken lasst, dass ihr euch Sorgen um zuhause macht, lassen die älteren Ladys euch auch auf ihre Kosten telefonieren.“
„Ich habe auf diese Weise mal eine halbe Stunde mit meiner Freundin in Afrika telefoniert. Die Frau, mit der ich hier in Deutschland zu dem Zeitpunkt zusammen war, konnte ja meine Muttersprache nicht verstehen, aber irgendwann hat sie mich so komisch angesehen und hinterher war sie irgendwie schlecht gelaunt.“ Diesmal lacht keiner. Ibrahim macht ein saures Gesicht.
In der nun eintretenden Gesprächspause erhebt er sich und versucht hinter den Vorhängen mit großer Anstrengung das verklemmte Fenster zu öffnen. Malik hilft ihm unaufgefordert. Als es einen Spalt geöffnet ist, verschafft sich die herbstliche Luft, die Dunkelheit schon im Schlepptau, mit beißender Kälte Einlass in die Lungen der Anwesenden; die Gemütlichkeit ist dahin. Jemand betätigt den Lichtschalter, eine nackte Glühbirne an der Decke flammt auf. Toucou gesellt sich mit einem Tablett voller Teegläser, einer alten Keksdose, die jetzt für Zucker herhalten muss, und der Teekanne wieder zu der Gruppe im Wohnzimmer.
„Und was ist mit den Tabus?“, will Sekou wissen, aber keiner hat Lust, darauf zu antworten.
„Mann, lass es gut sein für heute. Darüber reden wir vielleicht ein anderes Mal“, sagt Malik nachdrücklich.
„Aber eins möchte ich noch wissen“, sagt Ibrahim ruhig zu Malik, „wie alt sind denn so die älteren Frauen?“
„So um die 50.“
Die Neuankömmlinge sind wie vom Donner gerührt. Diese Aussage wirft nun wirklich viele neue Fragen auf.
Gedankenverloren genießen alle den starken Tee. Die ‚Neuen’ lassen immer so viele Erinnerungen hochkommen, an zu Hause oder an ihre eigenen ersten Tage im fremden Land.
Nach dem Tee erheben sich die ersten Gäste, um nach Hause zu gehen, „Ich habe heute Nachtschicht, muss noch etwas vorschlafen.“ „Wir reden nächstes Mal weiter.“ „Macht euch keine Sorgen.“ „Wir sehen uns morgen.“
Als alle weg sind, fragt Toucou die Freunde: „Seid ihr noch gar nicht müde?“ Sie nicken und er fährt fort: „Ich weiß noch genau, wie kaputt ich am ersten Tag war; die ganze Aufregung vorher und dann die Ankunft.“
Malik nimmt nun wieder die Fernbedienung des Fernsehers in die Hand und sie einigen sich stillschweigend auf einen relaxten Fernsehabend.
Bis in die späte Nacht flackert das bläuliche Licht des Fernsehbildschirms in der afrikanischen Enklave im vierten Stock des Hochhauses. Draußen, da ist der Dschungel, unbekannt und gefährlich.
Erstes Frühstück bei Malik
Amadou hebt unausgeschlafen zuerst ein Augenlid, dann gequält das zweite. Was er sieht, versetzt ihn in Panik: Er liegt auf einer Luftmatratze auf dem Boden und ist umzingelt von hölzernen Tisch- und Stuhlbeinen. Ruckartig setzt er sich auf. ‚Wo bin ich?’ Abgestandene, nach Zigaretten und Essensresten riechende kalte Luft streift seine Nase. ‚Igitt’, denkt Amadou. Es ist Tag. Immer noch orientierungslos lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht er zwei Personen auf einem ausgeklappten Sofa schlafen. Er versucht, seinen Blick zu schärfen: Sekou und Ibrahim. Und plötzlich schießt Adrenalin in seinen Körper und macht ihn hellwach. ‚Wir haben es geschafft! Wir sind in Deutschland.’ Beruhigt streckt er sich noch einmal genüsslich auf der Matratze aus und lässt den gestrigen Tag Revue passieren.
‚Also, so wie es scheint, läuft hier ohne Frauen gar nichts’, sinniert Amadou. Auf der anderen Zimmerseite beginnt Sekou sich zu rekeln. Amadou erhebt sich, um mit ihm zu reden, aber als er an die Couch herantritt, sieht er, dass seine beiden Freunde noch selig schlummern. Liebevoll lächelt er auf sie herab und lässt sie schlafen.
Leise geht er barfuß in die winzige Küche und sucht sich einen sauberen Becher, um etwas Wasser zu trinken. Mit dem Becher in der Hand lehnt er mit dem Rücken an der Spüle und trinkt in langen Zügen, während sein Blick in die Runde schweift. ‚Da gibt es noch einiges zu tun’, denkt er; denn gestern haben sie das Geschirr und die Töpfe nur grob vorgewaschen. Er stößt sich von der Spüle ab und tritt ans Fenster.
Was