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      Tim Özkilic zu finden war nicht schwer.

      Werter kannte den Journalisten aus dem Fernsehen, hatte sich aber keinen Begriff davon gemacht, was für einen Exot der blonde, blauäugige Mann zwischen seiner Verwandtschaft darstellte.

      Tims Vater war Türke, sein Aussehen hatte er jedoch eindeutig von seiner deutschen Mutter geerbt. Sein Vetter, Serkan Özkilic entsprach da schon eher Werters gängigen Vorstellungen von einem Mitbürger türkischen Namens.

      Beide kamen direkt auf Werter zu, als hätten sie schon auf seinen Besuch gewartet.

      “Das nenne ich aber mal einen Service”, scherzte Tim lachend. “Sie ersparen uns den Weg zu Ihnen. Das finde ich aber sehr zuvorkommend.”

      Sie reichten einander die Hände und Werter stellte sich vor.

      “Ja, wir haben ein paar von uns auf hellseherische Fähigkeiten trainiert”, lachte er. „Was hat mich verraten? Das Blaulicht vermutlich!“ Interessiert sah er sich um. Er war noch nie auf einer türkischen Hochzeit gewesen und war fasziniert von der ausgelassenen Stimmung, die vorherrschte. Überall wurde getanzt, gelacht und gesungen. Und gegessen. Das Buffet lockte mit einem reichhaltigen Angebot an türkischen Spezialitäten und Werter bereute ein wenig, dass seine Anwesenheit einen dienstlichen Anlass hatte.

      Durch eine Seitentür betraten gerade der Bräutigam und seine Angetraute eine Art Bühne und wurden mit ohrenbetäubendem Applaus begrüßt.

      “Er hat sie aber schnell gefunden”, bemerkte Serkan anerkennend.

      Fragend sah Werter ihn an.

      “Brautentführung”, sagte Özkilic. Mehr verstand Werter nicht, weil alles im tosenden Applaus der Gäste unterging, als der Bräutigam seine Liebste in den Arm nahm und sie leidenschaftlich küsste.

      „Sie kommen wegen der Handschuhe?”, fragte der Journalist, sobald es wieder etwas ruhiger geworden war.

      “Ja, in der Tat, deswegen bin ich hier. Sie haben also auch welche bekommen?”

      Özkilic prostete einer vorbeiziehenden Schar feiernder Verwandtschaft zu, dann wandte er sich wieder dem Kommissar zu.

      “Meiner kam gestern mit der Post. Ich fand es schon etwas merkwürdig, dass ich sonntags ein Päckchen mit solch komischem Inhalt bekam. Einfach nur der Handschuh, sonst nichts.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich hab es für einen dummen Scherz gehalten und mir gar nichts weiter dabei gedacht, bis Serkan mir gerade erzählt hat, dass er auch einen bekommen hat.”

      Serkan Özkilic lachte herzhaft.

      “Tim hat mir wahrscheinlich gerade das Leben gerettet”, rief er. “Sie glauben nicht, was bei uns gestern los war, als meine Frau das Päckchen bemerkte. Sie war felsenfest der Überzeugung, dass ich eine Verehrerin haben müsse und sie betrügen würde. So einen Handschuh würden nur Frauen zweifelhaften Rufes tragen, hat sie mir erklärt. Aber nachdem Tim ihr bestätigte, dass er auch so einen bekommen hat... Sagen wir, sie hat sich wieder abgeregt.”

      “Ihr Leben ist dadurch aber leider noch nicht gerettet”, sagte Werter vorsichtig. “Können wir hier irgendwo ungestört reden?”

      Mit einer ausladenden Geste zeigte Tim auf die feiernde Menge. “Hier drin? Ich denke nicht!”

      “Dann hatte ich also recht mit meiner Vermutung, dass die ganze Geschichte etwas zu bedeuten hat?”, fragte Serkan verunsichert.

      Sie suchten sich eine Stelle etwas abseits der feiernden Menge gelegen. Ohne auf die genaueren Umständen wie abgehackte Hände, skelettierte Leichen und verschwundene Kinder einzugehen, berichtete Werter von den anderen Handschuhsendungen und ihrer Vermutung, dass Tom Lorenz hinter dieser merkwürdigen Art Rache anzukündigen stecken müsste.

      “Sie meinen, wir sind ernsthaft in Gefahr?” Entsetzt sahen die beiden Cousins sich an. “Aber – warum?”

      “Nun, wenn ich richtig informiert bin, haben Sie im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass sein Versteck aufgeflogen ist. Wir haben es mit einem Psychopathen zu tun, meine Herren, das müssen Sie dabei bedenken. Er fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und will Rache. Nicht mehr und nicht weniger.”

      Eine hochschwangere Frau arbeitete sich mühsam zu ihnen durch und winkte aufgeregt.

      “Ah, da kommt meine Frau Sirin”, sagte Serkan Özkilic leise. “Könnten Sie ihr das bitte auch noch mal erzählen? Sie macht schon wieder ein Gesicht, als würde sie diesem Tom Lorenz zuvor kommen wollen.”

      Sie war kaum bei ihnen angekommen, da redete Özkilic auch schon um sein Leben.

      “Sirin, Schatz, du kommst gerade richtig. Hier, der Kommissar hier, der kann dir auch bestätigen, dass ich für diesen Handschuh überhaupt nichts kann...”

      “Ach, lass mich doch mit deinem dämlichen Handschuh in Ruhe”, fauchte sie ihn an. “Sag mir lieber, wo Mustafa steckt. Ich kann ihn nirgendwo finden!”

      “Musti? Keine Ahnung, wo unser Nesthäkchen sich mal wieder herumtreibt. Ist wahrscheinlich wieder mit Onkel Harun unterwegs, was weiß ich?”

      “Musti ist unser Jüngster”, sagte er an Werter gewandt. “Hält uns ganz schön auf Trab, der Kurze!”

      “Onkel Harun hat ihn auch schon seit mindestens einer halben Stunde nicht mehr gesehen. Überhaupt hat ihn keiner mehr gesehen, seit er bei diesem Lieferanten von Duvan herumgeturnt ist.”

      Als Werter den Namen Duvan hörte, klingelten bei ihm sämtliche Alarmglocken. Und obwohl keine fünf Minuten später 875 Hochzeitsgäste nach dem Jungen suchten, blieb Mustafa Özkilic verschwunden.

      Polizeipräsidium Köln Kalk, gegen 19 Uhr

      “Ich würde Ihnen nur zu gerne glauben, Frau Meyer, aber solange Sie nichts zu Ihrer Entlastung vorbringen können, muss ich leider danach gehen, was die Indizien sagen. Und die belasten Sie doch erheblich!”

      Der Kommissar ihr gegenüber raufte sich die Haare. Seit Stunden saßen sie nun schon in dem kleinen kalten Raum und drehten sich im Kreis.

      “Also noch mal von vorne. Sie haben den Handschuh erkannt, als Frau Lorenz ihn erhielt und sind in den Club gefahren, um nachzusehen, ob Sie recht hatten. Ist das soweit richtig?”

      Vivien nickte nur.

      Sie war in einem Albtraum gefangen. Seit sie die an sie gerichtete Botschaft von Tom gefunden hatte, erlebte sie alles um sich herum wie unter einer Glasglocke eingesperrt. Alles drang nur noch gedämpft zu ihr durch und die nackte Panik hielt sie fest in den Klauen.

      Tom würde Anna töten, wenn sie dem Kommissar, der so geduldig versuchte, sie zum Einlenken zu bringen, auch nur ein Wort verraten würde. Von ihrem unfreiwilligen Deal mit Lorenz, zu dem er sie bereits vor Monaten gezwungen hatte.

      Tom hatte schon am Tag nach dem Überfall auf Anna einen Boten zu ihr in den Club geschickt. Steve, der sich als Kunde ausgegeben hatte, konfrontierte sie mit Toms Forderungen und kam seither regelmäßig um neue zu stellen.

      Um sie zur Kooperation zu zwingen, hatte er ihr eine Fotoserie vorgelegt, die zeigte, dass Lorenz über jeden ihrer Schritte informiert war und es ein leichtes für ihn wäre, Anna umzubringen, sollte Vivien sich ihm oder Steve in irgendeiner Weise verweigern. Egal, was man von ihr verlangen würde, sie hätte sich zu fügen - jederzeit!

      Zu ihren Aufgaben gehörte fortan hauptsächlich der Verkauf von harten Drogen auf dem Kinderstrich. Eine Demütigung und Zumutung, die Lorenz in Kenntnis um ihre eigene Vergangenheit auf eben jenem Kinderstrich, sicher nicht zufällig gewählt hatte.

      „Sieh es einfach als einen Rollenwechsel an“, hatte Steve zynisch gemeint. „Von der kleinen verlausten Stricherin zur Drogenbaronin. Du wirst für viele der Mädels ein Vorbild sein!“

      Sie ertrug es nur, um Annas Leben damit zu erkaufen. Für jedes Gramm, dass sie nicht verkaufte, würde Tom Anna eine Stunde länger

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