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Maul!” zu antworten.

      Als Lucca immer fordernder und lauter geworden war, hatte der falsche Polizist einen abgelegenen Parkplatz aufgesucht, die Kinder wie zwei Päckchen verschnürt in den Kofferraum geworfen und war dann eine ganze Weile mit ihnen durch die Gegend gefahren. Lucca hatte sich gefragt, wofür sie seit vier Jahren Karate lernte, wenn es ihr am Ende doch nicht half.

      Irgendwann hatten sie das Fahrzeug gewechselt und es war noch ein weiteres verschnürtes Kind hinzugekommen. Musti hieß der kleine Junge, der so alt war wie ihr Bruder Giuliano, so viel hatte sie inzwischen aus dem völlig verängstigten Mitgefangenen herausbekommen.

      Und nun saßen sie hier, in diesem unheimlichen Kellerloch, ohne zu verstehen, wie ihnen geschah. Allerdings begann das Mädchen allmählich zu begreifen, warum ihre Mutter immer behauptet hatte, der Job ihres Vaters würde irgendwann die ganze Familie in Gefahr bringen. Denn, dass sie ihre Gefangenschaft dem abgrundtiefen Hass des Narbenmannes, der hier anscheinend das Sagen hatte, auf ihren Vater verdankten, hatte er den Kindern sehr deutlich zu verstehen gegeben.

      Lucca wunderte sich, warum sie selber kaum Angst verspürte. Bis jetzt hatte sie sich wirklich tapfer gehalten und ihr Vater wäre sicher stolz, seine Große so mutig zu sehen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Irgendwer musste sich schließlich um die beiden Kleinen sorgen. Die einzig erwachsene Person, die diese Aufgabe hätte übernehmen können, war so mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, dass Lucca schon überlegt hatte, ob der Frau überhaupt aufgefallen war, dass sie nicht alleine in ihrem Gefängnis saß. Wenigstens dass sie mindestens so alt wie ihre Oma war und dass sie Helen hieß, hatte das Kind herausgefunden, aber auch nur, weil der Narbenmann sie so genannt hatte, bevor er das Licht löschte.

      “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen...”, leierte Helen dieses verfluchte Gebet weiter runter. Lucca hätte es bereits auswendig mitsprechen können, ohne jemals in die Kirche gegangen zu sein, so oft hatte sie es inzwischen gehört.

      Wenigstens wurde es rechts und links von ihr endlich etwas ruhiger. Giuliano und Musti hatten sich in den Schlaf geweint und ihre Köpfe ruhten nun auf Luccas Beinen, die vom langen Stillsitzen ganz steif geworden waren.

      Als sie schon glaubte, Helen sei endlich fertig mit der offenkundig nutzlosen Beterei, fing diese gleich wieder von vorne an.

      “Der Herr ist mein Hirte“, schluchzte die Frau mit brüchiger Stimme. “Mir wird an nichts mangeln...”

      “Wie lange Helen wohl schon hier drin sitzt, um so verrückt zu werden?”, dachte das Mädchen. Immerhin, wenigstens hatte sie mal eine andere Platte aufgelegt.

      Die Minuten krochen ereignislos dahin und weder Gott, noch die Polizei kamen, um sie zu retten. Jetzt, wo die Jungen schliefen und sie keine Aufgabe mehr hatte, merkte Lucca, dass auch sie die Angst vor dem, was sie noch erwartete, nicht länger unterdrücken konnte. Sie waren verdammt lange mit dem Auto unterwegs gewesen. Wie sollte ihr Vater sie da finden?

      Der Narbenmann hatte so gemein gelacht, als er sie ansah. Und er hatte lauter komische Dinge zu dem Muskelmann gesagt. Er hätte da wen an der Hand, der würde für eine Nacht mit ihr ein Vermögen hinlegen. Sie wäre in genau dem richtigen Alter, um eingeritten zu werden. Lucca hatte keine Ahnung, wie er das gemeint hatte und wahrscheinlich war es auch besser so. Aber dass es gewiss nichts Gutes war, soviel hatte sie schon verstanden.

      Je länger sie ohne sich zu bewegen da saß, desto mehr kroch die feuchte Kälte ihr in die Glieder. Sie konnte es nicht verhindern, dass sie anfing zu zittern. Ihr Bruder und Musti würden sicher bald aufwachen von ihrem Gezappel, aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie hatten ja nicht einmal eine Jacke, geschweige denn eine Decke um sich zu wärmen.

      Ohne Vorwarnung wurde die Tür zu ihrem Gefängnis plötzlich aufgestoßen und grelles Licht blendete die Gefangenen. Als Lucca endlich etwas erkennen konnte, stand der Narbenmann mit einem fiesen Grinsen im Gesicht vor ihr, packte sie an ihrem Zopf und riss sie rücksichtslos vom Boden hoch. Erschrocken wachten die beiden Jungen auf und fingen sofort wieder an zu schreien und zu weinen, doch das nahm Lucca nur am Rande wahr.

      Über ihre kläglichen Versuche, sich mit einem Karategriff zu befreien, lachte der Narbenmann herzhaft.

      “Wie süß”, sagte er zu seinem Kumpanen mit einer Stimme, die genau das Gegenteil meinte. “Das wird ihr schon noch vergehen!”

      Dann sah er ihr ins Gesicht und grinste wieder so gemein, dass Lucca sofort wusste, dass ihr etwas sehr schlimmes bevorstehen würde.

      “Es ist so weit, meine Süße! Dein erster Kunde wartet auf dich. Jetzt machen wir dich zur Frau und mich zu einem reichen Mann!”

      “Lassen Sie das arme Kind in Ruhe”, schrie Helen unerwartet auf. “Sie Untier! Lassen Sie sie sofort los!” Sie zog und zerrte an der Kette, die sie am Boden festhielt und versuchte tatsächlich, dem Mädchen zu Hilfe zu eilen. Erst da sah Lucca, dass der Frau eine Hand fehlte. Zu entsetzt, um noch an Gegenwehr zu denken, starrte sie auf den blutverkrusteten und eitrigen Stumpf.

      “Du bist auch noch dran”, fuhr der Narbenmann die arme Frau an, die doch mutiger war, als Lucca ihr zugetraut hatte. “Man soll es nicht für möglich halten, aber es gibt tatsächlich Männer, die sogar Verwendung für so eine alte Schachtel wie dich haben. Also zieh dich schon mal aus!”

      Er klemmte sich das inzwischen wieder tretende und um sich schlagende Mädchen wie ein Paket unter den Arm und trug es zur Tür.

      “Aber jetzt kümmern wir uns erst mal um dich”, flüsterte er Lucca ins Ohr.

      Die Tür schloss sich hinter ihnen und ließ die restlichen Gefangen wieder in der Dunkelheit zurück.

      Es war das letzte Mal, dass Lucca die alte Frau gesehen hatte.

      Köln Domplatte, gegen 1.30 Uhr nachts

      “Wie viel kriegst du von mir?”, fragte der Kunde mit gedämpfter Stimme.

      “150”, antwortete Tolja Grzyek und sah sich nervös um. Er würde wohl nie abgebrüht genug sein, um solche Geschäfte zu erledigen, ohne sich aus Angst vor den Drogenfahndern, fast in die Hose zu machen.

      Ein bisschen Hasch verkaufen, das war in den Augen des Zwanzigjährigen absolut in Ordnung, auch wenn seine Schwester das berufsbedingt natürlich anders sehen würde. Dabei hatte er noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Ohnehin hielt er das deutsche Betäubungsmittelgesetz für vollkommen überholt.

      Aber harte Drogen? Chemie?

      Das war schon eine andere Hausnummer!

      Er hasste sich dafür, wenn er sah, wie die zumeist jugendlichen Junkies mit zitternden Händen das geklaute oder auf dem Strich verdiente Geld übergaben, bloß um ein winziges Tütchen mit dem weißen Pulver zu erwerben, dass sie nur noch tiefer in die Spirale aus Kriminalität und körperlichem Verfall treiben würde.

      Und doch hatte Tolja keine Alternative.

      Es sei denn, es gelänge ihm, den Betrag für die monatliche Pflichtration auf anderem Wege zusammen zu bekommen. Doch wo sollte er jeden Monat 10000€ auftreiben? Das war schlichtweg unmöglich!

      Seit drei Monaten ging das nun schon so. Nacht für Nacht trieb er sich in der Stadt herum und mühte sich, das Zeug unter die Leute zu bringen, um das Geld für diesen Mistkerl, der ihn erpresste aufzutreiben. Als Gegenleistung dafür, dass man Rina am Leben ließ.

      Der muskelbepackte Riese, der Lorenz Botschaften stets überbrachte, hatte sich da unmissverständlich ausgedrückt. Egal, warum er die Summe nicht erbringen würde, die Konsequenz sei in jedem Fall Rinas Tod. Selbst wenn er die Polizei informieren würde, fänden sie Mittel und Wege, seine Schwester in ihre Gewalt zu bekommen und er selbst wäre dann auch gleich mit fällig.

      „Wer weiß“, hatte der Hüne gespottet. „Vielleicht lässt Tom dich ja dann zusehen, wenn er sie erledigt.“

      Nötigung und Schutzgelderpressung würde seine Schwester das nennen.

      Eine

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