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Eine irische Ballade. David Pawn
Читать онлайн.Название Eine irische Ballade
Год выпуска 0
isbn 9783847661757
Автор произведения David Pawn
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wir bogen am Steigenberger Hotel in Richtung Innenstadt ab, wenn man die paar Geschäftsstraßen in der Fußgängerzone euphemistisch so nennen will. Ich nahm Daniels Hand, und wir schlenderten durch die stillen Straßen mit den dunklen Fenstern.
„Vielleicht stimmt das Sprichwort ja wirklich.“ Daniel schaute in die Auslagen eines Juweliers, offenbar ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
„Welches Sprichwort?“
„Pech im Spiel … du weißt, wie es weitergeht. Ich kam heute Abend an den Tisch, und dann …“ Daniel schluckte und sprach nicht weiter.
„Ja? Was dann?“
„Ich weiß auch nicht. Liebe auf den ersten Blick? Nein, nein … Das ist zu hoch gegriffen. Aber es war schon so, dass ich mir vorgestellt habe, wie es wäre …“ Er brach wieder ab, und ich musste lachen.
„Das sind die Hormone“, frotzelte ich.
„Wahrscheinlich, wir Männer sind wohl so.“ Daniel nahm es mit Humor und stimmte in mein Lachen ein. „Was wird jetzt?“
„Wir gehen in mein Hotel. Die geben dir immer ein Doppelzimmer, auch wenn du allein bist. Vermutlich haben die gar keine richtigen Einzelzimmer. Ich habe jedenfalls noch nie eins gehabt und ich habe schon in vielen Hotels übernachtet. Ich bin ja sozusagen immer auf Dienstreise.“
„Muss ein tolles Leben sein. All diese noblen Kurbäder mit den Reichen und Schönen, die durch die Parks flanieren und am Abend im Casino sitzen.“
„Schmus. Es ist ein Zigeunerleben. Heute hier, morgen da. Wie einer vom Zirkus. Am Tag schläft man lange, man hat ja immer bis spät in der Nacht am Tisch gesessen. Und man muss ausgeschlafen und fit sein, wenn man erfolgreich sein will. Wer müde ist, verliert.“
Wir passierten den Leopoldplatz mit seinem Frühaufsteherimbiss. Am Augustaplatz bogen wir wieder Richtung Grünanlagen ab. Ich wollte lieber durch den Park laufen als die Straße entlang. Es war ein Anfall von Romantik, den ich mir gar nicht recht erklären konnte. Verwaiste Parkbänke, verwaiste Tennisplätze. Alles still und friedlich. Auch die Vögel hatten schon lang die Köpfe unter die Flügel gesteckt und schliefen.
„Du weißt ja, wie ich mein Geld verdiene“, sagte ich, als wir Brenners Parkhotel passierten. „Was machst du eigentlich?“
„Ich bin Koch. Zurzeit arbeite ich am Mummelsee, aber in so einem feinen Hotel“, er deutete nach links zu Brenners, „das wäre es natürlich.“
„So schlecht ist es da oben aber auch nicht“, wandte ich ein. Ich hatte vor zehn Jahren dort nachts gesessen und Tränen vergossen für den Großvater von Emerson. Wenn man sich im Schwarzwald irgendwo eine Banshee vorstellen kann, so gewiss an diesem tiefen See mit seinem dunklen Wasser.
Am Tage, wenn die Touristen über den See herfallen, ist es laut und hektisch, aber wenn die Dämmerung sich niedersenkt, kehren Ruhe und Beschaulichkeit an diesem Ort ein. Zur blauen Stunde kommen auch die ursprünglichen Bewohner des Mummelsees, die Mümmlein, zu ihm zurück. Ich glaube einer der Gründe, warum ich nach Baden-Baden zurückgekehrt war, bestand in der Tatsache, dass hier im Schwarzwald, so wie in Irland, die alten Sagengestalten noch immer lebendig waren.
Als ich am See gesessen hatte, hatte ich darüber nachgedacht, wie seltsam die Menschen doch waren. Sie suchten die Stille und den Frieden des Waldes – aber in Massen und natürlich mit erstklassigem Service. Ich erzählte Daniel von diesen Gedanken.
Er nickte und sagte: „Das ist überall das Gleiche. Irgendwer findet einen goldenen Strand, ein atemberaubendes Korallenriff oder eine malerische Stelle im Wald, und dann klotzt er da ein Hotel hin und bestellt busladungsweise Touristen, die sich fragen, warum sie ausgerechnet dorthin gefahren sind, wo es doch genauso chaotisch ist wie an allen anderen Orten, an denen sie bisher waren. Aber ich kann mich nicht beschweren. Von diesen Leuten lebe ich.“
„Wie ich“, erwiderte ich und sah ihm von der Seite ins Gesicht. „Bloß bin ich eher für die Abendunterhaltung zuständig.“
Wir hatten das Hotel fast erreicht. Ich fragte mich, ob die Dame an der Rezeption sich etwas anmerken lassen würde. Ob ich Daniel vielleicht vorausschicken sollte, damit wir nicht gemeinsam dort vorbei mussten? Ich hatte nie zuvor einen Mann mit in mein Hotelzimmer genommen und wusste daher nicht, ob solcherart Doppelbelegung ein Problem sein würde.
„Ich nehme einfach einen Drink aus der Minibar und dann gehe ich wieder“, sagte Daniel, als ich ihm meine Überlegungen mitteilte. Ich guckte ihn mit gerunzelter Stirn an. Meinte er das jetzt ernst?
„Außer, du willst, dass ich bleibe“, ergänzte er eilig.
Ich atmete auf, denn für einen Moment hatte ich befürchtet, es würde so laufen wie sonst seit sechshundert Jahren. Daniel würde einfach einen Grund vorschützen und eilig verschwinden. Er wäre in diesem Fall allerdings nicht nur aus meinem Leben verschwunden, sondern auch aus seinem.
An der Rezeption war alles ganz einfach. Daniel blieb ein bisschen abseits in der Lobby stehen, wobei er interessiert die Wellnessangebote des Spa-Bereiches im Keller studierte, und ich holte den Schlüssel. Drei Minuten später waren wir in meinem Zimmer.
„Mein Reich“, verkündete ich und deutete mitten im Zimmer stehend um mich. Der Blick aus meinem Fenster ging auf einen kleinen Park, der zum Hotel gehörte. Jetzt allerdings lag der Park still und dunkel da. In der vorigen Nacht hatte ich am Fenster gestanden, dort hinaus geblickt und über die Carrs nachgedacht. Dabei waren mir einige Fledermäuse aufgefallen, die auf nächtlicher Insektenjagd gewesen waren. Das alles schien plötzlich Jahrzehnte her zu sein.
„Und jetzt?“ Daniel schaute mich erwartungsvoll, aber auch unsicher an. Ihm war so etwas wohl auch noch nicht passiert.
Ich sah ihn an und versuchte, seine Zukunft zu ergründen. Aber alles war verschwommen und chaotisch, wie beim Blick in einen Teich, in den man gerade Steine geworfen hat. Es gab da Szenen von einem Unfall. Aber es gab auch andere Dinge, und alles wirbelte durcheinander und führte einen irrsinnigen Tanz auf. Mir fiel ein Artikel ein, den ich mal beim Friseur in einer Zeitschrift gelesen hatte, die wohl eher für die Herren dort lag, Stern oder Spiegel oder Focus. Da ging es um Quanten und eine so genannte Vielwelttheorie. Genau das sah ich jetzt vor mir. Viele Welten, alle mit Daniel und alle voneinander verschieden.
Ich ging zu ihm, legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Es war erst nur ein vorsichtiger Kuss. Ich hatte seit einer Ewigkeit keinen Mann mehr geküsst. Ich musste es erst wieder lernen. Auch Daniel war vorsichtig, aber er zog sich nicht plötzlich zurück wie so viele Männer vorher.
Ich weiß nicht, wie lange diese, nennen wir es Phase des Kostens, dauerte. Ein, zwei Minuten, sicherlich nicht länger. Schließlich fanden sich unsere Zungen zu einem richtigen Kuss. Ich ließ mich von meinen Gefühlen treiben. Ich spürte seinen Körper, der sich an meinen drängte. Ich fühlte seine Hände über meinen Rücken streichen, hinauf zu meinen Haaren, die er zerwühlte, während wir uns küssten. Und dann wieder hinunter zu den Rundungen meines Gesäßes.
Es mag für eine Frau von über 600 Jahren seltsam klingen, aber ich war noch Jungfrau. Zu jener Zeit, als ich William Carr abwies, verschenkte sich eine Frau vor der Ehe nicht und danach, ich sagte es bereits, mieden die Männer mich in der entscheidenden Phase, als ginge der Geruch des Todes von mir aus.
Aber jetzt war alles anders. Daniel hatte mich fest umschlungen und küsste und streichelte mich. Ich spürte, dass er mich begehrte und mir ging es umgekehrt genauso.
Ich löste mich ein wenig von ihm und sagte „Warte.“
Er ließ es geschehen und sah mich mit treuem Hundeblick einfach nur an, als ich einen halben Schritt zurücktrat