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rufe dich an“, sagte er noch einmal leise. „Bald.“

      In den nächsten beiden Tagen saß ich in meinem Hotelzimmer und starrte mein Handy an. Wider jede Vernunft hoffte ich doch auf einen Anruf von Daniel, hoffte seine Stimme etwas sagen zu hören, was die vergangenen achtundvierzig Stunden tilgen würde.

      Als dieser Anruf schließlich tatsächlich kam, hätte ich ihn beinahe verpasst, weil ich meinen Kummer an die Hotelbar getragen und in irischem Whisky ertränkt hatte. Ich war gerade mit schwerem Schritt wieder in mein Zimmer gekommen, als das Telefon klingelte. Dessen Bedienung war meinem benebelten Hirn ein nahezu unlösbares Rätsel. ‚Daniel‘ prangte auf dem Display, aber das war gar nicht nötig, denn ich erkannte den besonderen Klingelton. Panisch fummelte ich an dem Gerät herum, immer wieder das Mantra aller einen Anruf erwartenden, dann in Panik verfallenden Menschen vor mich hin murmelnd: „Leg nicht auf. Leg nicht auf.“

      Schließlich schaffte ich es doch.

      „Hallo!“

      „Síochána?“

      Wer sonst sollte an mein Telefon gehen? „Ja.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Liebst du mich noch? Kommst du zurück? Bleibst du bei mir? Alle diese Fragen blieben ungestellt.

      „Können wir uns treffen?“

      „Gern. Wann? Wo?“ Ich war schlagartig beinahe wieder nüchtern. Jedenfalls glaubte ich das in diesem Moment.

      „Jetzt. Ich stehe vor dem Hotel. Wir könnten einen kleinen Spaziergang machen.“

      „Ich komme sofort.“ Ich war schon unterwegs, während ich diesen kurzen Satz sagte.

      Der Fahrstuhl wollte nicht kommen, also nahm ich die Treppe und wäre beinahe hinuntergefallen. Mein Kopf schien zwar einigermaßen klar, aber die Motorik war noch immer gestört.

      Daniel stand im Foyer, blickte zum Fahrstuhl und rang die Hände. Er sah mich nicht, da ich einen anderen Weg genommen hatte. Mein erster Gedanke war, ihm von hinten um den Hals zu fallen, aber es meldeten sich rechtzeitig ein paar vernünftige Hirnzellen zu Wort, die das zu einer schlechten Idee erklärten. Also tippte ich ihm nur auf die Schulter.

      „Hallo Daniel“, sagte ich zaghaft.

      Er drehte sich um, sah mir in die Augen und sagte: „Hallo Síochána! Können wir gehen.“

      Ich nickte heftig. Es war eine dieser überzogenen Gesten, die Betrunkene machen, wenn sie sich um Kontrolle bemühen.

      Daniel bemerkte meinen Zustand offenbar nicht, er machte sich auf den Weg nach draußen und ich folgte ihm. Erst als ich auf dem Weg erneut ins Stolpern geriet und mich an ihm festklammerte, fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Er blieb stehen, sah mich an und fragte: „Was hast du?“

      „Nichts.“ Ich schüttelte vehement den Kopf, meine Haare strichen ihm durchs Gesicht. Mit diesem Wort flog offenbar auch eine Wolke Whiskydunst zu ihm hinüber und strafte mich Lügen.

      „Du hast getrunken. Síochána! So kenne ich dich gar nicht.“

      „Ich war auch noch nie so verzweifelt“, erwiderte ich.

      „Komm, gehen wir an die frische Luft. Halt dich bei mir fest.“ Ich hakte mich bei ihm ein und wir gingen nach draußen.

      Wie bekannt, ist frische Luft bei einem leichten Rausch eher ein Mittel, diesen kurzfristig zu verstärken oder massiver in seinen Auswirkungen sein zu lassen. Ich weiß nicht, was aus medizinischer Sicht hier korrekt ist. Und als ich mit Daniel nach draußen trat, wusste ich kaum noch, an wessen Arm ich da hing. Ich zerrte ihn nach rechts und links, und wir bewegten uns in sanften Kurven bis zur Oos und an dieser entlang zur Gönneranlage. Was mochten nur die Kurgäste von meinem Begleiter halten, der da eine sichtlich angetrunkene Person abschleppte.

      „Síochána, bitte“, sagte er. „Wir müssen wie erwachsene Menschen miteinander reden. Ich konnte zwei Tage lang kaum schlafen. Immer wieder habe ich dein Gesicht vor mir gesehen und mich gefragt, wie es weitergehen soll.“

      „Ich habe dich so vermisst“, gurrte ich und sah ihn schmachtend an. Der Whisky und ich waren einer Meinung.

      Wir erreichten eine Bank.

      „Komm, setz dich.“ Daniel hatte sich bereits niedergelassen und klopfte auf das Holz zu seiner Rechten. Ich versuchte, mich auf seinen Schoß zu setzen, aber er schob mich sanft zur Seite, so dass ich an seinem Schenkel abglitt und auf der Bank zu sitzen kam.

      „Versuch vernünftig zu sein, bitte.“ Daniel sah mich mit traurigen Augen an.

      Ich konnte nicht anders. Ich warf beide Arme um seinen Hals, drückte ihm jeweils einen Schmatz links und rechts auf die Wange und sagte: „Du bist zurückgekommen. Du bist zu mir zurückgekommen.“

      Erst schien mir, als wollte er sich aus der Umarmung befreien, aber er ließ mich doch gewähren. So saßen wir eine ganze Weile in der wärmenden Sonne – er gerade wie ein Stock und ich an seinem Hals hängend. Dann spürte ich plötzlich seine Hände auf meinem Rücken, die mich streichelten.

      „Wenn ich ehrlich bin“, hörte ich ihn sagen, „hätte ich es auch nicht mehr länger ohne dich ausgehalten. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum du mir diese Banshee-Geschichte aufgetischt hast. Ich habe keine vernünftige Erklärung gefunden.“

      „Es gibt einen ziemlich einfachen Grund“, sagte ich mit schwerer Zunge. „Es ist die Wahrheit.“

      „Aber das ist doch verrückt. Sieh mich an.“

      Ich gehorchte, nahm meinen Kopf von seiner Schulter, wo er gerade geruht hatte, und blickte ihm in die Augen. Alles drehte sich. Trotzdem versuchte ich, seinen Blick so fest und geradlinig zu erwidern wie möglich. Einmal mehr sah ich Williams Augen vor mir, seinen verzweifelten Ausdruck, als ich seine Werbung ausgeschlagen hatte. Obwohl dieser junge Mann aus Baden keine Beziehung zu den Carrs haben konnte, so musste er doch auf irgendeine Weise etwas mit William gemein haben, das weit über die Augen hinausging. Man sagt, die Augen seien das Fenster zur Seele. War es das? Waren sie seelenverwandt?

      „Es ist einfach so“, sagte ich. „Ich war eine Banshee. Du hast …“ Ich musste geistig Anlauf nehmen, um den Satz zu beenden. „… mich erlöst.“

      „Meine Güte, du bist verrückt. Mein Verstand sagt, ich müsse jetzt aufstehen und endgültig gehen. Entweder bist du irre oder ein Gespenst. Ich muss weg. Ich muss …“ Er brach ab und schluckte. Dann sagte er: „Aber meine Gefühle sagen alle was anderes. Ich habe es nicht ausgehalten, von dir getrennt zu sein. Ich kann nicht auf meinen Verstand hören. Ich brauche dich. Ich muss auch irrsinnig sein, wenn ich jetzt hier sitzen bleibe. Aber ich kann nicht anders.“

      Ich sagte nichts. Ich legte nur eine Hand an seine Wange, lächelte dümmlich und blies ihm Whiskydunst ins Gesicht. Schließlich kam mir eine Idee. Es war einer von diesen Einfällen, die einem im benebelten Zustand genial vorkommen, die man nüchtern betrachtet aber für völlig verrückt halten würde.

      „Ich will dir was zeigen“, sagte ich, sprang auf die Füße und schwankte erst einmal einen Schritt rückwärts. Dann winkte ich Daniel, mir zu folgen. „Komm mit.“

      Mit großen Schritten eilte ich voraus an den Tennisplätzen vorbei. „Síochána, wo willst du hin? Warte doch mal.“

      Ich blieb stehen und sah mich um. Daniel war drei bis vier Schritte hinter mir, jetzt schloss er zu mir auf. „Ich wollte mich mit dir aussprechen, nicht hinter dir herrennen.“

      „Du glaubst mir immer noch nicht. Ich muss es dir beweisen. Und dazu brauchen wir einen Platz, wo wir niemanden stören.“

      „Ähm, Síochána …“ Daniel dachte in eine ganz falsche Richtung.

      „Komm weiter.“ Ich nahm seine Linke. Gemeinsam überquerten wir die Oos und erreichten die Lichtentaler Allee. Hier gab ich Daniels Hand wieder frei.

      „Bleib ein Stück hinter mir“, sagte ich.

      Ich stolperte über den Rasen des Kurparks,

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