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      David Pawn

      Eine irische Ballade

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1. Strophe

       2. Strophe

       3. Strophe

       4. Strophe

       5. Strophe

       6. Strophe

       7. Strophe

       8. Strophe

       9. Strophe

       Danksagung

       Impressum neobooks

      1. Strophe

      Ich brauchte eine neue Familie. Leute wie ich gehören immer zu einer Familie, der sie mit Leib und Seele dienen. Nun war Emerson Carr in der vorherigen Nacht verstorben. Er war der letzte aus der Familie Carr gewesen, die ich so viele Jahre auf ihrem Weg begleitet hatte. Ich hatte es wie immer am Abend zuvor gewusst und mir die ganze Nacht die Augen aus dem Kopf geheult. Ich war so verzweifelt, dass ich am folgenden Tag nicht aus dem Zimmer gehen konnte. Mit meinen rotgeweinten Augen hätten die Leute mich für ein Gespenst gehalten, wenn sie mir ins Gesicht gesehen hätten und damit nur knapp danebengelegen.

      Natürlich war abzusehen gewesen, dass so etwas passierte. Emerson Carrs Beziehung zur Firma Jameson war inzwischen deutlich tiefer geworden, als für einen Menschen, selbst für einen Iren, gut war. In der Woche vor seinem Tod war es selbst seinem Chef zu viel geworden und er hatte Emerson entlassen. Es hilft einem Menschen auf dem Weg zum Trinker natürlich nicht, wenn er auch noch seine Arbeit verliert, insbesondere dann nicht, wenn er mit dem Trinken erst angefangen hat, nachdem er zuvor alles verloren hatte, was ihm im Leben teuer gewesen war. Bei Emerson Carr war das der Fall.

      Angefangen hatte es damit, dass er seine beiden Eltern verloren hatte als er gerade 16 geworden war. Sie wurden auf der Autobahn von einem Bus zerquetscht, der mit viel zu hoher Geschwindigkeit an ein Stauende heran gefahren war. Der Bus schob den Kleinwagen der Carrs und zwei vor diesem haltende Fahrzeuge ineinander, ehe er endlich zum Stillstand kam. Am Abend vor dem Unfall hatte ich es direkt vor mir gesehen. Ich schrie vor Entsetzen auf, als ich die entstellten Körper vor meinem inneren Auge sah, die sich mit den Teilen aus dem Motorraum zu einem einzigen neuen Ganzen verbanden, das jedoch nicht mehr lebensfähig war. Ich weinte die halbe Nacht und schlief erst kurz vor Sonnenaufgang ermattet ein. Als ich die Carrs am nächsten Morgen ihre Koffer in den Wagen laden und ihrem Jungen winken sah, brach es mir das Herz, doch sagen durfte ich nichts. Ich hatte geklagt, das musste genügen.

      Knapp ein Jahr später zog ich aus der Nachbarschaft der Carrs fort aufs Festland. Seit dieser Zeit tingelte ich durch Europa, war mal hier, mal dort zu Hause. Ich lebte von meiner Begabung.

      Ich muss erwähnen, dass ich eine besondere Fähigkeit besitze. Ich kann ein wenig in die Zukunft sehen. Eigentlich stimmt das nicht genau. Ich kann zukünftige Ereignisse sehen, wenn sie Menschen betreffen. Bezüglich bestimmter Situationen reicht diese Begabung sogar ziemlich weit. Ich nutze sie am Pokertisch. Ich weiß nicht, welche Karten jemand hat oder welche Karten in der Tischmitte für alle als Gemeinschaftskarten aufgedeckt werden, aber ich sehe voraus, ob sich jemand im Anschluss an eine Spielrunde freuen wird oder nicht. Das reicht für den Verdienst meines Lebensunterhalts in den Casinos.

      Aber genug von mir. Kehren wir zu den letzten Carrs zurück. Es war so traurig, als ihr Sohn starb. Der Junge war fünf und geriet beim Spielen auf dem Feld unter eine Scheibenegge. Ich kenne die blutigen Details, will sie hier aber nicht auswalzen. Wer schon mal eine Scheibenegge gesehen hat, weiß, dass da nicht viel von einem kleinen Jungen übrig bleibt. In der Nacht vor dem Unglück hatte ich oben in meinem Hotelzimmer in Monte Carlo gesessen und geheult wie ein Schlosshund. Ich hatte geweint und gekreischt vor Schmerz über den Verlust. Irgendwann bummerten meine Nachbarn an die Wand, und ich hörte eine dumpfe Männerstimme, die „Seien Sie endlich ruhig. Ich muss früh raus.“ brüllte. Sehr mitfühlend sind die Leute heutzutage nicht.

      Veronica Carr, Emersons Frau, verkraftete diesen Verlust nicht. Sie war schon immer eine stille, zerbrechliche Person. Nach dem Tod des Jungen wirkte sie fast durchscheinend. Ihr Mann bemühte sich nach Kräften, ihr den Lebensmut zurückzugeben, doch es half alles nichts. Er überredete sie zu einer Therapie, sie ging jedoch nur zu fünf Sitzungen, dann brach sie diese ab. Zwei Jahre nach dem Tod ihres Jungen erhängte sie sich im Keller. Emerson kam von der Arbeit heim und suchte seine Frau im ganzen Haus. Als er sie endlich fand, nahm er sie vom Seil ab und brachte sie nach draußen in den Vorgarten, wo er sie ins Gras legte. Dann erst kamen die ersten Laute über seine Lippen. Er schrie die gesamte Nachbarschaft zusammen. Immer wieder rief er den Namen seiner Frau und „Nein!“.

      Auch ich konnte nichts weiter tun als zu weinen und zu klagen, als ich von dem schrecklichen Ereignis erfuhr. Ich erfuhr es wie immer im Vorhinein.

      Gestern war nun auch Emerson von uns gegangen. Man hatte ihm den Strom abgestellt, weil er drei Monate lang seine Rechnung nicht bezahlt hatte. Also behalf er sich mit Kerzen. Offenes Feuer und Suff waren noch nie eine gute Mischung. Er warf eine Kerze um, die Vorhänge seines Zimmers fingen Feuer und dann auch das Mobiliar. Carr versuchte in seinem Wahn, irgendwelche alten Fotos von seiner Frau und seinem Sohn zu retten statt sich selbst. Er ist an Rauchvergiftung verstorben, bevor er verbrannte. Das könnte man als eine Gnade betrachten, wenn es nicht insgesamt so traurig wäre.

      Mit Emerson war der allerletzte Carr gestorben und ich musste mich nach einer neuen Familie umsehen, deren Leben und besonders deren Sterben ich im Auge zu behalten hatte.

      Vor zwei Wochen war ich in Baden in der Schweiz und machte die dortigen Pokertische unsicher. ‚Rabenschwinge‘ nannten mich die Kollegen dort wegen meiner schwarzen Haare, die meinen sehr hellen Teint besonders hervorheben. Profipokerspieler, zumindest die guten, bekommen alle früher oder später einen Spitznamen verpasst oder geben sich selbst einen, um vor den anderen besser da zu stehen. Wer keinen Spitznamen hat, ist nicht wirklich gefährlich.

      Ich fand es eine lustige Idee, meine Wirkungsstätte zu verlegen und dabei aufzudoppeln: Ich ging von Baden nach Baden-Baden. Ich war vor zehn Jahren schon einmal hier gewesen und hatte gute Erinnerungen sowohl an das Casino als auch an das Queens Hotel. Letzteres gab es nicht mehr. Es gab noch das Haus, aber inzwischen firmierte es als Leonardo Royal. Mir sollte es egal sein, wenn nur die Kundschaft im Casino aus den gleichen reichen Fischen bestand wie damals. Fische, das ist die interne Bezeichnung der Pokerprofis für die armen Irren, die sich allzu bereitwillig ihr Geld abnehmen lassen, weil sie von Wahrscheinlichkeiten und Strategie keinen Schimmer haben und denken, Poker sei wie Roulette. Was für diese Leute auch stimmt, sie verlieren bei beiden Spielen.

      Ich saß also im Baden-Badener Casino und schaute mir sehr gründlich die Herren an, mit denen ich gemeinsam am Tisch war. Während dies sonst nur dazu dient, meine Gewinnchancen zu verbessern, hatte ich an diesem Tag noch ein weiteres

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