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Löwe, sondern auch ein ziemlich störrischer Esel, weißt du das?«

      Léun war nicht zum Lachen zumute.

      »Und anstatt Entwarnung zu geben, muss ich mir jetzt irgendein Märchen ausdenken. Oder willst du, dass Sárim und der Talwart weiter bei euch rumschnüffeln?«

      »Wie wär’s damit: Der Löwe ist in die Rockenberge entschwunden?«, schlug Léun vor.

      »Keine gute Idee«, brummte Héranon. Wie um sich zu vergewissern, dass sie niemand belauschte, warf er einen Blick über die Obstwiesen. »Keinen halben Tag nach der Sache mit Grantis Hunden sieht der Reishändler Káor. In seinem eigenen Haus. Und wer weiß, was dein Freund danach den anderen Dörflern erzählt hat.«

      »Nichts«, rief Arrec, ohne sich umzudrehen. »Ehrenwort!«

      »Wenn schon.« Héranon senkte die Stimme. »Die Sache ist verzwickt genug. Morgen weiß das ganze Tal davon. Tu ich so, als wäre alles in bester Ordnung, kann sich Sárim an zwei Fingern abzählen, dass ich lüge. Dann hab ich bald selber die Talwartschaft am Hals.«

      »Und wenn wir es ihnen einfach sagen?« Léun schluckte. »Das mit Káor und mir … was immer es auch ist.«

      »Du besitzt die Gabe der Verwandlung, das ist es«, erwiderte Héranon prompt. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Kerl. Außer Lóhan sagen wir niemandem etwas davon. Glaub mir, es ist besser so.«

      Arrec wandte sich um und lief rückwärts vor ihnen weiter.

      »Na gut, ich sag auch niemandem was«, verkündete er.

      »Augen und Ohren hat er ja wie ein Adler, dein Freund«, bemerkte Héranon mit einem grollenden Unterton. »Aber hat er auch Flügel? Oder wenigstens Beine wie ein Reh?« Er preschte auf Arrec zu, der lachend und mit schlaksigen Bewegungen die Flucht ergriff.

      Froh, dass das Gespräch fürs erste beendet war, rannte Léun los, um den beiden auf den Fersen zu bleiben.

      Der Talwart hatte sich aus Grünhag zurückgezogen. Sárim, der Jäger, schlich dagegen noch immer durch das Dorf, als hoffte er, der Löwe würde auf derselben Fährte zurückkommen, die er am frühen Morgen hinterlassen hatte.

      »Hol ihn sich Rástan!«, fluchte Héranon leise, als sie den grüngekleideten Mann zwischen den Hütten patrouillieren sahen. »Was er auch sagt, ihr zwei seid still, klar?«

      Sie folgten dem Pfad ins Zentrum des Dorfes. Als sie gerade die Dorfstraße erreichten, tauchte Sárim auf der anderen Seite auf. Er salutierte, holte ein Messer aus dem Gürtel und begann, sich die Daumennägel zu trimmen.

      »Na, Waldhüter, was gefunden?« Der Jäger streckte den Ellbogen in Léuns Richtung aus. »Abgesehen von dem Ausreißer da.«

      »Er hat Glück, noch am Leben zu sein«, entgegnete Héranon. »Die Bestie scheint ihn zu verfolgen. Schätze aber, wir haben sie abgehängt. Wenn überhaupt, erwischst du sie drüben in Mittelhag.«

      Sárim musterte Léun. Er biss den Rest seines Daumennagels ab und spuckte ihn auf die Straße.

      »Was ist passiert?«

      »Das Vieh hat sich anscheinend auf das Nachbardorf verlegt. Es muss sich unbemerkt in die Hütte von Erric geschlichen haben. Du weißt schon, der Reishändler.«

      Léun schielte zu Arrec hinüber. In wortloser Übereinkunft nickten sie heftig zu Héranons Worten.

      Der Jäger schnaubte trocken.

      »Und du hast es vertrieben, Waldhüter?«

      »Glaubst du mir etwa nicht?«

      »Wenn du behauptet hättest, dass der Bursche da selber der Löwe sei«, der Jäger hob das Messer und deutete mit der Klinge auf Léun, »klänge das noch glaubwürdiger.«

      Héranon schaute ihn ruhig an, schob Léun und Arrec hinter sich und ging festen Schrittes auf Sárim zu.

      »Steck dein Spielzeug weg«, befahl er, »oder ich sorge dafür, dass der Talwart es beschlagnahmt.«

      Der Jäger grinste ihn unfreundlich an, steckte sich das Messer jedoch gehorsam in den Gürtel.

      Léun atmete auf.

      »Du hast also die Gabe der Verwandlung?« Arrec funkelte ihn bewundernd an. »Wie machst du das – ein Löwe zu sein? Und kannst du es mir beibringen?«

      »Hab ich doch schon gesagt«, erwiderte Léun. Er hatte sich den Mund fusselig geredet, seit sie in der Hütte seines Großvaters angekommen waren. »Keine Ahnung.«

      »Und er kann es dir auch nicht beibringen«, ergänzte Héranon. »Eine Verwandlungsgabe hat man – oder man hat sie nicht.«

      »Schade.« Arrec leckte sich die Lippen und spähte in seinen leeren Becher. Lóhan goss ihm gesüßte Ziegenmilch nach. »Ich wär auch gern ein Löwe. Das stell ich mir toll vor.«

      »Ist es aber nicht«, murmelte Léun. »Ich wünschte, ich wäre nie zu euch nach Hause gekommen.«

      »Halb so wild. Mein Vater kriegt sich schon wieder ein.« Arrec grinste. »Und du lass mich demnächst mal auf dir reiten, ja? Da werden die Leute gucken!«

      »Mit so einer Verwandlungsgabe ist nicht zu spaßen, Kerl«, sagte Héranon und musterte Léun streng, als hätte er selbst den albernen Vorschlag gemacht. »Erst einmal musst du lernen, damit umzugehen. Und dann …«

      »Was, Waldhüter?« Léun bemerkte, wie sein Großvater Héranon einen mahnenden Blick sandte.

      »Dann kannst du Leute erschrecken, soviel du willst«, platzte Arrec heraus.

      »Was?«, wiederholte er. »Ich will wissen, was …«

      »Wir reden morgen weiter«, wiegelte Héranon ab. »Ich brauch dringend eine Pfeife. Und ich sorg dafür, dass Sárim und die alte Granti Ruhe geben. Nicht dass morgen früh die ganze Talwartschaft an deine Tür klopft, mein lieber Lóhan, um deinen Enkel abzuholen.«

      Léun fühlte, wie ihm heiß wurde. Auch Arrec wurde schlagartig ernst.

      »Warum sollten sie das machen? Er hat doch nichts getan!«

      »Bleib hier, rate ich dir.« Héranon beugte sich vor und senkte die Stimme. »Versuch, ruhig zu bleiben – was auch immer passiert. Unnötige Aufregung ruft Káor zu dir. In deiner jetzigen Lage wird alles nur noch …«

      »Héranon! Das reicht!«

      Der Waldhüter schaute ihn eindringlich an, ohne auf Lóhan zu achten. Aus seinem Blick sprachen Verständnis und eine unausgesprochen fortgesetzte Warnung.

      Dann wird alles nur noch schlimmer!

      Léun fröstelte und zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Héranon wandte sich Arrec zu.

      »Du bleibst bei ihm, bis ich zurück bin«, befahl er mit erhobenem Zeigefinger. »Sieh zu, dass dein Freund keinen Unsinn anstellt!«

      Arrec nickte eifrig.

      »Ich bin ja auch noch da«, bemerkte Léuns Großvater.

      »Also kümmer dich gefälligst um den ganzen Rest«, schnappte der Waldhüter barsch. »Und überlass mir die Dinge, von denen ich mehr Ahnung hab als du!«

      Lóhan senkte lächelnd den Blick. Die Geste wirkte, als fühlte sich der alte Mann verletzt. Mit einem Mal hatte Léun das Bedürfnis, ihn zu schützen. Wieder wallte Hitze in ihm auf.

      »Reiß das Maul nicht so weit auf, Waldhüter. Das hier ist die Hütte von Lóhan, meinem Großvater, und nicht die deine!«

      »Tatsächlich?«, knurrte Héranon wenig beeindruckt. »Sag deinem Großvater Lóhan mal einen schönen Gruß von seinem kleinen Bruder: Er täte gut daran, seinem vorlauten Enkel Manieren beizubringen, bevor der seine Helfer anblafft wie ein Halbdackel.«

      Léun blieb die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, im Halse stecken. Als er wieder sprechen konnte, hatte der Waldhüter

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